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Schiedsrichter gesucht. Fifa-Präsident Joseph Blatter (l.) und DFB-Chef Wolfgang Niersbach haben sich auseinander gelebt. Foto: dapd

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Fifa-Präsident Blatter attackiert DFB: Wenn wir streiten Seit’ an Seit’

Nach den neuesten Korruptionsenthüllungen und dem Vorwurf, die WM 2006 sei gekauft, ist das Verhältnis zwischen Fifa-Präsident Blatter und dem deutschen Fußball wohl nicht mehr zu kitten.

Berlin - In Frankfurt am Main suchen sie jetzt den Brief. Gerüchten zufolge ist er am Montag schon gefunden worden in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), eine offizielle Stellungnahme gab es dazu jedoch nicht. Ein zwölf Jahre altes Schreiben des inzwischen verstorbenen neuseeländischen Fußballfunktionärs Charles Dempsey soll beweisen, dass die Weltmeisterschaft 2006 nicht gekauft war, wie der Präsident des Weltverbandes Fifa Joseph Blatter behauptet. Demnach war der 12:11-Sieg Deutschlands über Blatters Favorit Südafrika im Jahr 2000 wegen Dempseys Enthaltung zustande gekommen – obwohl ihn doch seine ozeanische Fußballföderation zur Abstimmung für Südafrika aufgefordert hatte. Dempsey erzählte später, er sei damals von allen Seiten unter Druck gesetzt worden, selbst Nelson Mandela soll sich eingeschaltet haben – mit dem Ergebnis, dass Dempsey völlig verunsichert war und vor der entscheidenden Abstimmung entnervt den Saal verließ. War das der entscheidende Swing für die deutsche Bewerbung – oder doch nicht? „Dempsey hatte dem DFB zugesichert, zuerst für England zu stimmen und nach einem Ausscheiden Englands für Deutschland“, sagt Fedor Radmann, Vizechef des WM-Organisationskomitees und engster Vertrauter von Organisationschef Franz Beckenbauer. Nach Tagesspiegel-Informationen hatte Dempsey seine Stimmabsicht dem DFB sogar schriftlich zugesichert. Würde der DFB diesen Brief finden, würde Blatters Kritik an Dempseys Enthaltung ins Leere laufen.

Dennoch tauchen jetzt noch einmal die Fragen auf, wie das knappe Rennen überhaupt zu Deutschlands Gunsten ausgehen konnte. Neben den acht europäischen Vertretern stimmten auch die vier asiatischen Gesandten gegen Südafrika. Bewiesen ist inzwischen, dass es rund um die Bewerbung ein verstärktes wirtschaftliches Engagement deutscher Firmen, die auch WM-Sponsoren waren, in Asien gab. Auch die Entwicklungshilfe, etwa in Ozeanien, wurde in jener Zeit gut ausgeschöpft. Zudem ließ sich damals der FC Bayern für Freundschaftsspiele einspannen, die sonst eher nicht stattgefunden hätten. Einen Zusammenhang mit der WM-Bewerbung weisen alle damals Beteiligten zurück, aber mancher gab im Laufe der Jahre augenzwinkernd zu, dass die Kampagne mit allen Mitteln und viel politischer Hilfe ausgeführt worden sei. Mancher Vorwurf geht weit darüber hinaus (und womöglich übers Ziel hinaus) – etwa der, dass die Vergabe mit einem gleichzeitig aufgehobenen deutschen Waffenembargo gegen Saudi-Arabien zusammenhängt. Eindeutig nachweisbare Korruption? Auch Blatter kann hier keine Beweise liefern.

Anders liegt der Fall, der gerade die Fifa erschüttert und Blatter arg in Bedrängnis bringt. Die Schweizer Justiz hat bewiesen, dass hochrangige Funktionäre bis hinauf zum ehemaligen Präsidenten Joao Havelange Mitte der Neunzigerjahre Schmiergelder in Millionenhöhe vom inzwischen bankrotten Fifa-Vermarkter ISL angenommen hatten. Es wurde auch publik, dass Blatter von den Geldbewegungen zumindest in einem Fall Kenntnis hatte. Umgehend erhoben sich Rücktrittsforderungen, etwa in England, wo Blatter spätestens seit der Abstrafung der fachlich hervorragenden, aber an Russland gescheiterten WM-Bewerbung für 2018 in der Kritik steht. Nun ist Blatter ein neuer starker Feind erwachsen: der DFB.

Wütend reagierten die WM-Organisatoren um Beckenbauer und die DFB-Spitze um Wolfgang Niersbach (einst Vize des WM-Organisationskomitees), als Blatter die „Provisionszahlungen“ an Funktionäre als Kavaliersdelikt abtat: Da Bestechungsgelder einst steuerlich absetzbar gewesen seien, habe es sich doch um gar kein Vergehen gehandelt. Reinhard Rauball, Chef der Deutschen Fußball-Liga, rief Blatter am vergangenen Freitag an und forderte seinen Rücktritt – und sagte das danach auch öffentlich. Blatter sei wutentbrannt gewesen, heißt es aus der Fifa-Zentrale, und habe umgehend Schweizer Journalisten vom „SonntagsBlick“ bestellt, um per Interview zurückzukeilen und den Deutschen ihre angeblich gekaufte WM um die Ohren zu hauen. Niersbachs Stellungnahme vom Samstag, der sich zwar geschockt zeigte, aber einen Rücktritt Blatters ausdrücklich nicht fordern wollte, kam offenbar zu spät.

Warum er als Fifa-Präsident damals nicht eingeschritten sei, warum er überhaupt angebliche Unregelmäßigkeiten geduldet habe, danach fragten die Schweizer Reporter nicht. Aber nun wird diese Frage virulent. „Blatter war immer dabei. Wenn er den Deutschen jetzt Vorwürfe macht, dann treffen die auf ihn zu“, sagte der einstige Fifa-Direktor Guido Tognoni am Montag der ARD. Tognoni ist einer der wenigen kritischen Köpfe mit Fifa-Vergangenheit – und er sieht das Problem nicht beim DFB, sondern bei Blatter: „Tatsache ist, dass in der Fifa unter der Präsidentschaft von Blatter Dinge geschehen sind, die eigentlich in einem Fußballbetrieb nicht geschehen sollten.“ So harren immer noch die Doppelvergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland und Katar der Aufklärung. Hier hatte auch der DFB nach Korrekturen und nachträglichen Kontrollen gerufen, in Person des früheren DFB-Präsidenten und jetzigen Fifa-Exekutivmitglieds Theo Zwanziger.

Das Tischtuch zwischen DFB und der Fifa ist zerrissen. Vieles hat sich bei Blatter, dem 76 Jahre alten Einzelkämpfer, angestaut: Blatter sitzt offenbar noch der Vorwurf des einstigen DFB-Chefs Egidius Braun im Nacken, nachdem der Schweizer seine erste Präsidentenwahl gekauft habe. 1998 gewann er überraschend gegen Europas Fußballchef Lennart Johansson, den auch der DFB unterstützt hatte.

Die WM 2006 war Blatter immer ein Ärgernis. Er war damals schon für Südafrika (was dann 2010 klappte), mit Unbehagen nahm er die Kritik der deutschen Öffentlichkeit am rigiden Geschäftsgebaren der Fifa wahr. Er neidete auch Beckenbauer die Rolle des WM-Zampanos und verwehrte ihm eine Rede zur Eröffnung; dafür wurde der Schweizer ausgepfiffen. In einem Tagesspiegel-Interview sprach Blatter Beckenbauer die Eignung als Fifa-Präsident ab: „Er will nicht, er kann das auch nicht.“ Beckenbauer konterte, Blatter habe nun mal keine Familie außerhalb des Fußballs. Später spielten beide Seiten wieder Frieden.

Wegen der neuen Fifa-Korruptionsskandale hat sich der Ton aus Deutschland erneut verschärft. Vor der Fifa-Sitzung, bei der es heute eigentlich um Ethikregeln gehen soll, bezeichnet Niersbach Blatters Vorwürfe als „Nebelkerzen“ und rät, man solle sich mit den Vorwürfen gegen die Fifa auseinandersetzen. Und Bayern-Manager Uli Hoeneß soll auf einer Geburtstagsfeier gewettet haben, Blatter werde das Jahr als Fifa-Präsident nicht überstehen. Es fand sich keiner, der dagegen setzen wollte.Leitartikel: Seite 1

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