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Angelique Kerber nach ihrem Sieg über Serena Williams.

© AFP/Nic Bothma

Finale in Wimbledon: Angelique Kerber: Von der Krise zum Sieg

Angelique Kerber ist Wimbledonsiegerin, davon hatte sie schon als Kind geträumt. Doch mit ihr und dem heiligen Rasen war es keine Liebe auf den ersten Blick.

Angelique Kerber kann sich noch gut daran erinnern, wann sie daheim im Kieler Stadtteil Kronshagen ihre ersten Wimbledonendspiele im Fernsehen geschaut hat. "Ich habe mir immer Steffi angesehen, wie sie so oft gewonnen hat – und das meistens ganz schnell in zwei Sätzen", erzählt sie heute.

Damals ging Kerber noch zur Grundschule, aber Tennis gehörte da längst zu ihrem Alltag. Ihre Eltern Beata und Slawek Kerber betreiben bis heute das Tennis-Center Kiel und wohnten damals noch über der Gastronomie der Halle. Angelique brauchte von ihrer Wohnungstür aus nur zweimal umzufallen, dann stand sie schon mitten auf dem Tennisplatz. Und der wurde schnell ihr Zuhause und Wimbledon eine fixe Idee. "Es wirkte alles ganz besonders, weil alle in Weiß spielten", erzählt Kerber, "und als ich dann selbst Tennisprofi wurde, wollte ich da unbedingt spielen. Ich habe schon als Kind immer davon geträumt, einmal Wimbledon zu gewinnen."

Und nun ist dieser Traum für sie wahr geworden, Angelique Kerber ist Wimbledonsiegerin. Mit 30 Jahren und 22 Jahre nach dem letzten Triumph von Steffi Graf im Londoner Südwesten. "Ich habe meinen Lebenstraum erreicht", schwärmte Kerber, nachdem sie Serena Williams mit 6:3 und 6:3 bezwungen hatte: "Der Traum meiner Träume hat sich erfüllt – was will ich mehr?"

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Der dreimalige Wimbledonchampion Boris Becker begrüßte Kerber gleich via Twitter quasi als neue Mitbewohnerin in seinem "Wohnzimmer", in dem neben Graf auch Michael Stich ja schon einmal "wohnte". Der heilige Rasen des All England Clubs war jahrelang ein sehr gutes Pflaster für deutsche Tennisprofis, doch obwohl sich der Untergrund sofort natürlich für Kerber anfühlte, war es mit ihr und Wimbledon keine Liebe auf den ersten Blick.

Für nicht-förderungswürdig befunden

Schon im Junioren-Wettbewerb lief es gar nicht gut und später "habe ich hier über die Jahre einige schwere Matches gehabt", erinnert sich Kerber. Überhaupt hatte sie keinen ganz einfachen Start. Mit 14 Jahren beispielsweise, da befand sie der Deutsche Tennisbund nach einem Lehrgang für nicht förderungswürdig, da es ihr an Fitness und Athletik mangelte. "Ich habe trotzdem immer an mich geglaubt", sagt Kerber.

Heute ist sie eine der fittesten Spielerinnen der Tour und eine der härtesten Arbeiterinnen. Aber die ersten Profijahre waren hart, auch für ihre Familie, die lange draufzahlte. Doch sie alle glaubten an Angelique, das schweißte zusammen. Kerber wollte es unbedingt schaffen, aber in Wimbledon wollte sie es immer ein bisschen zu sehr.

"Ich denke, ich habe mich in den ersten Jahren zu sehr unter Druck gesetzt", sagte sie, "ich habe es dieses Mal am Anfang auch wieder gemerkt." Gegen die Qualifikantinnen Vera Zwonarewa und Claire Liu tat sich Kerber in den ersten beiden Runden enorm schwer. Aber sie profitiert inzwischen von ihrer Erfahrung. "Ich weiß einfach, dass ich da nicht verkrampfen darf und mich nur auf jeden einzelnen Punkt konzentrieren und ruhig bleiben muss", sagt sie.

Ruhig bleiben, das ist ihr neues Mantra. Denn Kerber neigt dazu, sehr schnell zu negativ zu sich zu sein und sich selbst runterzuziehen. In dieser Saison, auch dank der Arbeit mit ihrem neuen Trainer Wim Fissette, sieht sie das Glas inzwischen öfter halbvoll. Und sie hat gelernt, dass ein Grand-Slam-Titel kein Sprint, sondern ein Marathon ist.

Raus aus der Komfort-Zone

Viele dieser Erfahrungen musste Kerber in der vergangenen Saison auf leidvolle Art machen, im Jahr nach ihrem furiosen Lauf, als sie in die Krise schlitterte. Und obwohl Kerber ein Gewohnheitsmensch ist, der mit Veränderungen und neuen Menschen nur schlecht zurechtkommt, fasste sie den Mut zum Neubeginn. "Angie musste aus ihrer Komfortzone raus", meinte die deutsche Tennischefin Barbara Rittner, "ohne die Krise hätte sie diesen Schritt nie gemacht."

Rittner hatte Kerbers Weg von Teenagerbeinen an begleitet und ist nun natürlich "mega stolz" auf ihre Wimbledonsiegerin. Andere hatten Kerber ihren dritten Grand-Slam-Titel aber nicht mehr unbedingt zugetraut. "Keiner hätte damit gerechnet, dass ich nach 2017 so zurückkomme", sagte sie fast ein bisschen trotzig. Wieder einmal hatte sie es sich und aller Welt bewiesen. Und immer dann, wenn eigentlich niemand mit ihr rechnete.

Bei den Australian Open 2016 hatte für Kerber alles angefangen, mit einem Finalsieg über eine Serena Williams, die damals unbezwingbar schien und in deutlich stärkerer Verfassung war, als nun in Wimbledon, bloße elf Monate nach der Geburt ihrer Tochter Olympia. "Damals ging alles los", erinnert sich Kerber, "und diesen Moment des ersten Sieges , den werde ich nie vergessen."

Mit dem zweiten Titel bei den US Open wurde Kerber erstmals die Nummer eins der Welt und das nur fünf Jahre, nachdem sie eben in New York in eine so schwere Sinnkrise gestürzt war, dass sie eigentlich das Profidasein hinschmeißen wollte. "Das macht diesen Titel so besonders für mich", sagt sie. Und der Wimbledon-Triumph? "Der ist wie das i-Tüpfelchen – dieser Wimbledonsieg ist für die Ewigkeit, den kann mir keiner mehr nehmen."

Doch so recht mochte sie es noch gar nicht glauben, als sie die goldene Venus Rosewater Dish in Händen hielt, nach der sie sich so gesehnt hatte. War das wirklich real? "Du kannst es glauben", sagte Wimbledon-Chairman Philip Brook lächelnd zu ihr, als Kerbers Name traditionell in goldener Schrift an der ehrwürdigen Siegertafel angebracht wurde, "da steht es." Kerber strahlte und hielt die Siegerschale immer noch ganz fest umschlungen. Da standen sie, die Namen der großen Champions. Und ein paar Zentimeter neben dem von Steffi Graf nun auch ihrer: Angelique Kerber.

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