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Einer für alle und alle für einen. Die Spieler von Victoria Friedrichshain stehen hinter Zakaria.

© Georg Moritz

Flüchtlinge in Berlin: Sportvereine kämpfen um Bleiberecht ihrer Spieler

Entschieden wird auf dem Platz: Rund 5000 Geflüchtete sind in Berliner Klubs aktiv. Die wollen sich jetzt dagegen wehren, dass ihre Mitglieder abgeschoben werden.

Kleine Tore, Rosa gegen Grün, vier gegen vier. Gerade auf dem kleinen Feld zeigt sich, wer mehr kann als nur bolzen. Links täuschen, rechts vorbeispielen. Übersteiger und Finten. Zakaria Safi trainiert genau das, will sein Ballgefühl perfektionieren. Seit knapp einem Jahr spielt der 20-Jährige für Victoria Friedrichshain. Mittelfeld, linker Flügel, das ist seine Position. Der Kunstrasenplatz auf der Halbinsel Stralau ist für den Afghanen ein grünes Stück Wahlheimat geworden. „Wenn ich zum Fußball gehe, dann ist das meine Familie“, sagt Zakaria in gebrochenem Deutsch.

Vor zwei Jahren ist Zakaria aus Afghanistan geflohen, weil die Taliban ihn bedrohten. Weil sein Vater für die Vereinigten Staaten arbeitete, sei er in Gefahr gewesen und habe fortgemusst. Jetzt, da er sich in Berlin eingelebt hat, soll er wieder zurück. Asylantrag abgelehnt.

Härtefallregelung kann Lösung sein

Rund 5000 bis 6000 Geflüchtete sind laut Schätzungen des Landessportbundes derzeit in Berliner Sportvereinen aktiv. Nach und nach werden jetzt die Asylanträge abgearbeitet, und immer mehr werden von Ablehnungsbescheiden betroffen sein, wie Zakaria. Die Geflüchteten verlieren dann ihre neue Heimat, die Sportvereine wichtige Mitglieder. Victoria Friedrichshain will sich dagegen wehren.

„Wir müssen uns irgendwie bezirksweit, wenn nicht sogar berlinweit vernetzen, um uns über die Problematik von abschiebebedrohten Flüchtlingen auszutauschen“, sagt Robert Kiesel, Vorstandsmitglied bei Victoria. „Wir hoffen, dass in Einzelfällen die Härtefallregelung eine Lösung sein kann.“

Paragraf 23 a Aufenthaltsgesetz: Wird ein Asylantrag abgelehnt und geht auch die Gegenklage nicht durch, prüft die Härtefallkommission, ob im Einzelfall Umstände vorliegen, die einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet aus „dringenden humanitären oder persönlichen Gründen“ rechtfertigen. Das Engagement im Sportverein kann ein solcher Grund sein.

"Fußballspielender, ministrierender Senegalese"

Das Ablehnungsschreiben mit der Kennziffer 6086789-42 erreichte Zakaria Mitte Februar. Ein Brief von den Behörden, der ihm mitteilte, dass er nicht länger bleiben dürfe. Ich kann nicht zurück, sagt Zakaria. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, sagt das deutsche Gesetz. Doch Zakaria ist gekommen, um zu bleiben. Er hat sich einen Anwalt gesucht und Gegenklage eingereicht. Erst Klageversuch, dann Härtefallantrag. So ist die Reihenfolge. Sein Verein unterstützt ihn dabei.

„Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese. Weil, den wirst du nie wieder abschieben“, hatte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im vergangenen Jahr gesagt. „Und genau so einer ist unser Zakaria“, sagt Robert Kiesel heute. Er sagt das, als sei es ein Kompliment, wünscht sich, dass der Spieler bleiben darf. „Sein Fehlen wäre für uns ein schwerer Verlust.“

Die Geschichte von Zakaria ist selbst im Verein kein Einzelfall. „Bei uns in der Mannschaft warten fünf Spieler noch auf ihren Bescheid. Zack ist nur der erste Trauerfall“, sagt Philipp Ludwig, Trainer der Mannschaft. Die neuen Spieler seien für Victoria „lebensnotwendig, um zwei Teams zu stellen“. Probleme, den Kader vollzukriegen, gebe es immer wieder. Zakaria sei bei jedem Spiel dabei, ein Virtuose am Ball, und hänge sich voll rein. „So Leute brauchen wir“, sagt Ludwig.

Im Spiel kämpfen sie alle gemeinsam.
Im Spiel kämpfen sie alle gemeinsam.

© Georg Moritz

Dass die Geflüchteten überhaupt im Verein spielen dürfen, ist mit viel Aufwand verbunden. Um ihnen eine Spielerlaubnis zu erteilen, muss der Landesverband zunächst in den jeweiligen Herkunftsländern prüfen, ob sie dort noch gemeldet sind. Ist das nicht der Fall, kann ein Spielerpass ausgestellt werden. Sind die Geflüchteten minderjährig, gibt es noch mehr Hürden. All das kostet Zeit.

„Der Vorstand will die ganze Bürokratie und den ganzen Aufwand natürlich nicht betreiben, wenn wir nicht mal wissen, ob die Spieler bleiben dürfen“, sagt Ludwig. „Da mussten wir ganz schön Überzeugungsarbeit leisten.“ Einerseits wolle man die Spieler zwar integrieren, andererseits habe man keine Sicherheit. Nicht nur in seinem Verein, sondern in der gesamten Liga sei das ein Thema. „Wir haben alle die gleichen Probleme“, sagt Ludwig.

Sport spricht universelle Sprache

In Zeiten, in denen immer mehr Geflüchtete in die Stadt kamen, wurde viel gemacht, um die Neuankömmlinge in Berliner Sportvereinen zu integrieren. Fußball sollte Grenzen überwinden, Sport die Menschen zusammenführen. „Sportvereine leisten einen wichtigen Beitrag für die Integration von Geflüchteten. Der Sport spricht eine universelle Sprache und schlägt wichtige Brücken zwischen den Kulturen“, sagt Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Doch was, wenn die, die gerade richtig angekommen sind, jetzt wieder gehen müssen?

Andreas Geisel, Senator für Inneres und Sport, ist es, der das letzte Wort hat. Kommt es zum Härtefallantrag, entscheidet er auf Empfehlung der Härtefallkommission, ob ein Asylantrag in letzter Instanz genehmigt wird oder nicht. „Eine grobe Orientierung stellen die bisherigen Integrationsleistungen der Betroffenen und die Dauer ihres Aufenthalts dar. Eine längere und aktive Mitgliedschaft in einem Sportverein oder sonstige sportliche Integrationsleistungen im Einzelfall sind ganz sicher wichtige Kriterien“, sagt sein Pressesprecher.

Aufenthaltstitel durch sportliches Engagement

Geklappt hat es bei Ilir Hajredini. Der 24-Jährige hat seinen Kampf ums Bleiberecht bereits hinter sich gebracht. Und gewonnen. Noch im Juni 2016 war sein Asylantrag abgelehnt worden, im Dezember hatte sein Härtefallantrag Erfolg. Der Übungsleiter und Sportler der Leichtathletikgruppe von Fortuna Marzahn hat damit seinen Aufenthaltstitel erhalten.

Seit Januar 2015 ist Ilir in Deutschland. Aus dem Kosovo ist er nach Berlin gekommen, über das Flüchtlingsheim hat er im vergangenen Jahr Fortuna Marzahn kennengelernt. „Damals haben sie mich einfach gefragt, ob ich Sport machen will“, sagt Ilir. Seitdem ist er als Sportler in der Laufgruppe aktiv, trainiert außerdem unterschiedliche Kindergruppen. Flüchtlinge aus dem Heim, zehn Jungs aus Afghanistan und eine Gruppe deutscher Kinder. Sieben Mal die Woche macht er das. Sieben Mal die Woche wird er damit zum Vorbild für den Sportnachwuchs. „Das ist das erste Mal, dass ich Kinder trainiere. Das macht richtig Spaß. Das ist perfekt“, sagt er.

Ilir darf in Berlin bleiben und sich weiter bei Fortuna Marzahn engagieren.
Ilir darf in Berlin bleiben und sich weiter bei Fortuna Marzahn engagieren.

© Doris Nabrowsky

„Die Geschichte von Ilir ist eine Erfolgsgeschichte, weil sie zeigt, dass sich bürgerschaftliches Engagement auszahlt“, sagt Doris Nabrowsky, Vorstandsmitglied von Fortuna Marzahn. Die Härtefallkommission habe erkannt, dass Sport ein wichtiges öffentliches Interesse ist. Vorher hätten sie das nicht so im Blick gehabt. „Ilir ist ein gutes Beispiel für Integration durch Sport, die durch die Absurdität des Ausländerrechts nicht infrage gestellt werden darf. Gut, dass es solche Lösungen gibt“, sagt Klaus Böger, Präsident des Landessportbundes Berlin. Auch er hatte sich dafür eingesetzt, dass der junge Mann bleiben darf.

Ilir möchte jetzt die Schule beenden, studieren und ausgebildeter Sporttrainer werden. Dass er sein Bleiberecht auch dem Einsatz seines Vereins zu verdanken hat, weiß er. „Ohne Hilfe wäre das nicht gegangen. Wenn man aus einem fremden Land kommt, weiß man nicht, wie das hier alles funktioniert“, sagt er. Dann fügt er hinzu: „Ma-He ist jetzt meine neue Heimat.“ Ma-He, Marzahn-Hellersdorf. Er beginnt zu berlinern.

"Ich bin jetzt ein Deutscher"

Was Ilir bereits geschafft hat, steht Zakaria erst bevor. Noch ist nichts entschieden, noch kann er träumen. Seine gesellschaftliche Partizipation sei auf jeden Fall von Vorteil, erklärt sein Anwalt. Bis die Entscheidung getroffen wird, will Zakaria weiter Deutsch lernen. Irgendwann vielleicht mal Polizist werden. Und Trainer. Derzeit versucht seine Mannschaft, ihn erst einmal aus der Flüchtlingsunterkunft zu holen. Bei einem Mitspieler soll Zakaria ein vorläufiges Zuhause finden. „Mein Traum ist, dass ich hierbleiben kann. Ich denke, ich bin jetzt ein Deutscher“, sagt Zakaria. Dass er immer pünktlich sei, liefert er als Begründung gleich mit.

Wenn die Scheinwerfer nach dem Training ausgehen, verschwinden alle in der Kabine. Dass die Spieler Bier trinken und nur Zakaria zur Apfelschorle greift, bleibt an diesem Abend der einzige Unterschied. Sie sind eben ein Team. Und wer zum Team gehört, der soll auch bleiben.

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