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Drei Sanitäter tragen eine Trage über einen Fußballplatz

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Folgekosten des Sports: Rechnung mit Schmerzen

Die Zahl der Sportverletzungen im Amateurbereich nimmt stetig zu, längst tobt ein Streit über ihre Folgekosten. Ein Kreuzbandriss kostet in der Behandlung beispielsweise etwa 30.000 Euro. Viele Beitragszahler sehen nicht länger ein, wieso sie die hohen Kosten von Sportverletzungen mittragen sollen.

Danny Kempter hatte Glück. Gut, nicht unbedingt, als der Torwart des SV Lichtenberg 47 in der Nachspielzeit eines Verbandsligaspiels bei einer Rettungstat mit einem Gegner zusammenprallte und sich das Jochbein mehrfach zertrümmerte. Doch Kempter war gesetzlich unfallversichert bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG). Die zahlte eine OP, bei der Kempter vier Titanplatten eingesetzt wurden, sowie eine Schutzmaske. Schon fünf Wochen später stand der Stammkeeper, im Hauptberuf Polizist, wieder zwischen den Pfosten und trug entscheidend zum Aufstieg in die fünftklassige Oberliga bei. „Danny ist ein positiv Fußballverrückter, er will immer spielen“, lobt Abteilungsleiter Nico Dörr den heute 25-Jährigen, der anderthalb Jahre später weiter für Lichtenberg spielt.

So viel Glück im Unglück wie Kempter hat nicht jeder. Bei Verletzungen im Sportverein müssen Hobbyathleten oft mit der eigenen Krankenkasse klären, wer die Kosten übernimmt. Und die Hilfe bei der Gesundung hält sich oft in Grenzen. Doch wer von seinem Verein ein Gehalt bekommt – und wenn es nur bescheiden ist –, ist automatisch bei der VBG versichert. Die gesetzliche Kasse übernimmt Leistungen, um ihre Versicherten – darunter eben Sportler – wieder arbeitsfähig zu machen. Doch das kostet oft auch eine Menge – die Versicherung selbst und irgendwann auch die Beitragszahler, wenn die Kosten auf sie umgelegt werden. 77,6 Millionen Euro hat die VBG 2012 an 29.000 Versicherte im bezahlten Sport ausgezahlt, ein Sechstel all ihrer Ausgaben für Rehabilitation.

Zwei Drittel aller Sportunfälle geschehen im Fußball

„Die Zahl der Unfälle und die dadurch entstehenden Kosten sind in den letzten Jahren überproportional angestiegen“, klagt VBG-Geschäftsführer Bernd Petri. 30.000 Unfälle gab es vergangenes Jahr im bezahlten Sport. Zwei Drittel dieser Unfälle geschehen beim Fußball. Doch die VBG versichert nicht nur 2500 Sportvereine, sondern insgesamt neun Millionen Arbeitnehmer in mehr als 100 Branchen, zum Beispiel Banken über Theater oder Kirchen. Und viele Beitragszahler, allen voran die Zeitarbeitsbranche, sehen nicht länger ein, wieso sie die hohen Kosten von Sportverletzungen mittragen sollen.

Denn während etwa Mitarbeiter von Finanzdienstleistern bei der Berechnung der Beiträge mit einem Unfallrisiko von unter 0,4 eingestuft werden, liegen Berufssportler bald beim Faktor 52, Fußballprofis sogar bei 54. Als die VBG den Vereinen vor kurzem eine Verdoppelung der Beiträge ankündigte, ging ein Aufschrei der Entrüstung durch den Sport. Vor allem kleinere Klubs sahen ihre Existenz bedroht. Gerade im Fußball, wo es bis in die sechste Liga Gehälter und Prämien und damit oft Versicherungspflicht gibt. Bei Klubs machen die Beiträge zur Unfallversicherung jetzt schon die Hälfte der Personalkosten aus. Das ist sehr viel, wenn man einem Fußballer nur 300 Euro im Monat bezahlt.

Auch Amateure möchten abgesichert sein, wenn sie ihre Knochen hinhalten

„Die Tendenz in der Oberliga geht in die Richtung, dass es weniger Amateurverträge gibt“, sagt daher Nico Dörr von Lichtenberg 47. „Daraus ergibt sich, dass wir Spieler nicht nehmen können, die auf einen Vertrag bestehen. Aber vor allem gestandene Spieler sagen, wenn sie ihre Knochen hinhalten, möchten sie auch abgesichert sein.“ Einen Schutz wie Torwart Kempter genießen nur noch wenige Amateurkicker und wenn, dann müssen sie Unfallversicherungsbeiträge oft von ihrem kleinen Gehalt abziehen. Am Ende einigten sich sich die Sportvereine statt einer Beitragsverdoppelung auf moderate Steigerungen von fünf Prozent. Mit der Verpflichtung, mehr für die Verletzungsvorsorge zu tun. Doch nicht jeder Klub will sich bei Training oder Spielerauswahl reinreden lassen.

Spitzenreiter bei den Verletzungen sind Fußball und Eishockey

Spitzenreiter bei den Verletzungen ist der Fußball mit jährlich durchschnittlich 206 Verletzungen pro 100 Spieler, sowie Eishockey, wo durchschnittlich sogar 260 Verletzungen registriert werden. „Ein solches Verhältnis gibt es in der gesamten Wirtschaft weltweit nicht“, sagte VBG-Chef Petri bei einem Symposium für Sportmediziner vergangene Woche in Berlin. Dort nahm Bundesministerin Kristina Schröder die Klubs in die Pflicht, mehr für Prävention zu tun: „Es geht auch um den guten Ruf der Vereine.“

Einige Sportarten tun da schon viel. Vor allem im Eishockey sind die Standards nach vielen Kopfverletzungen gestiegen. Die VBG half finanziell bei der Einführung von besseren Schutzhelmen oder eines vierten Schiedsrichters. „Eishockey ist vorbildlich beim Einsatz verschiedener Präventionsmaßnahmen“, lobt Petri, „wir würden uns wünschen, dass andere Sportarten, vor allem der Fußball, da nachziehen.“ Vor allem Schnelltests auf Schädel-Hirn-Traumata sollen überall direkt am Spielfeldrand durchgeführt werden.

Ein Kreuzbandriss kostet in der Behandlung etwa 30.000 Euro

Doch anders als im Eishockey, wo fast ein Viertel der Verletzungen im Kopfbereich stattfinden, geschehen zwei Drittel der Unfälle im Fußball im Beinbereich. Mit der Kampagne „Sei kein Dummy“ wirbt die VBG für mehr Verletzungsprophylaxe, gerade bei Amateurfußballern. Ein Jochbeinbruch wie bei Torwart Kempter lässt sich kaum im Vorfeld verhindern, manch andere Verletzung hingegen schon. Durch Übungen im Training oder mehr Rücksicht bei Vorverletzungen etwa. Denn die Unfälle sind nicht nur schmerzhaft und folgenreich, sondern auch teuer: Ein Kreuzbandriss kostet in der Behandlung etwa 30.000 Euro.

Der Wunsch der Versicherer: Wettkampf und Training sollen sicherer werden, Regeln strenger, medizinische Kontrollen höher und Schiedsrichter konsequenter. Aber oft ist das Wunschdenken, die VBG informiert mit Broschüren über bessere Kunst- und Naturrasenplätze, bei den Vereinen wird aber oft noch auf Asche gespielt. „Ein normales Trainingspensum, wie beispielsweise Muskelaufbau, ist schon eine gute Präventionsmaßnahme“, sagt Dörr, der in Lichtenberg auch mit einer Physiotherapeutin arbeitet. „Und unser Trainer ist offen für Neues. Wenn es die Möglichkeit gäbe, sich über kostenlose Seminare zu Präventionsmaßnahmen fortzubilden, würde man das annehmen.“ Am Ende läuft auch bei der Unfallversicherung alles auf die Frage hinaus: Gesundheit gerne, aber wer soll dafür bezahlen?

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