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Football: Weiße Tiger gegen Rechts

Ein Footballklub aus Neuruppin integriert gefährdete Jugendliche und verhindert Gewalt.

Dass er später einmal auf der Straße angesprochen und nach Autogrammen gefragt werden würde, war für Ludger de Wendt unvorstellbar, als er im Sommer 2005 nach Neuruppin kam. De Wendt ist keiner, der den Rummel sucht. Die Liebe hatte den 1,95 Meter großen Hünen in die Stadt gezogen, die direkt an der A 24 zwischen Berlin und der Mecklenburger Seenplatte liegt. Damals studierte der gebürtige Westfale noch Sozialpädagogik in Neubrandenburg und die Diplomarbeit stand ins Haus. Thema: „Die Funktion von American Football in der Gewaltpräventionsarbeit mit jugendlichen Straffälligen“. Der passionierte Sportler de Wendt erhoffte sich in der Abgeschiedenheit der Kleinstadt die nötigen Innovationen, um seine Gedanken zu Papier zu bringen. Ein täglicher Lauf am Morgen sollte die geistige Frische bringen.

Drei Kilometer Luftlinie entfernt hatte Margot Franz* im Sommer 2005 andere Sorgen. Die kleine Frau mit den weinrot gefärbten Haaren sitzt in der Küche und spricht gestenreich über jene Zeit, in der sich ihr jüngster Sohn zu verändern begann. „Seine Haare wurden immer kürzer und sein Musikgeschmack war auf einmal anders.“ Beim Abendessen fielen neue Namen vermeintlicher Freunde. Robert Franz* steckte mitten in der Pubertät und war dabei, sich eine eigene Sicht der Dinge zu erschaffen. Roberts Weltbild und das seiner Clique basierte auf einer einfachen These: Ausländer sind schlecht und nehmen den Deutschen die Arbeit weg. Und es gab einen älteren Herren namens „Opa Lange“, der den Jugendlichen seine Version von der NS-Zeit einbläute. Robert war in die rechte Szene gerutscht. Seine Eltern versuchten, sich der Sache anzunehmen, doch weder ein Ausflug nach Buchenwald noch das Ansehen des Films „Schindlers Liste“ schienen zu helfen.

Der ehemalige Kugelstoßer de Wendt wählte zum morgendlichen Joggen eine Strecke, die nur wenige Einheimische genommen hätten. Sein Weg führte ihn auf einen Hartplatz an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße. Hier treffen sich jene, die woanders in der Stadt keinen Platz finden. Auch Robert Franz und seine Freunde trafen sich hier oft.

Ludger de Wendt konnte sich ungefähr denken, wie es um Roberts Clique bestellt war, als er die Jugendlichen sah. Im Rahmen seines Studiums hatte er schon Erfahrungen mit rechts gerichteten Jugendlichen gesammelt, zuvor hat er Rechte und Linke in Anklam an der Ostsee dazu gebracht hat, ihre Kräfte im Football zu messen. Auch in Neuruppin nahm der heutige Diplom-Sozialpädagoge eines Morgens einen Football mit zum Platz an der großen Straße. Was als Versuch begann, ist heute ein offizieller Sportverein mit mehr als 60 Mitgliedern.

Die White Tigers, die über drei Abteilungen und eine eigene Cheerleadergruppe verfügen, sind der einzige Footballklub im Umkreis von 50 Kilometern. Inzwischen gehören sie zum MSV Neuruppin und spielen in der Jugendliga-Ost. Fast jeden Monat kommen neue Kinder, Ludger de Wendt versucht dabei bevorzugt Kinder aus Heimen oder sozial Benachteiligte zu integrieren.

Robert aber ist heute kein White Tiger mehr, sondern ein Krieger. Er spielt erfolgreich als Runningback bei den Warriors in Eberswalde. Seine Mutter sagt: „Gott sei Dank kam der Sport. Das hat ihn wieder auf den richtigen Weg gebracht.“ Die neue Gruppe gab Robert ein Gefühl, das er bisher nur von seinen rechten Freunden kannte. Das harte Training unter den strengen Augen de Wendts forderte die jungen Männer so sehr, dass sie keine Energie mehr hatten, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Und de Wendt kann sehr fordernd sein.

Wenn der muskelbepackte Hüne mit dem tätowierten Hinterkopf Anweisungen gibt, wagt keiner Widerworte. De Wendt ist sich seiner Wirkung bewusst, aber er kann auch loben, korrigieren, anfeuern, Punker und Skinheads gingen unter seiner Regie einem gemeinsamen Ziel nach, die Szenezugehörigkeit trat in den Hintergrund. „In der Mannschaft waren viele, die keine rechte Musik hören wollten. Auf einmal verlor auch Robert völlig das Interesse daran“, sagt seine Mutter. Ludger de Wendt weiß natürlich, dass es nicht immer so laufen kann wie in diesem Fall, doch der Pädagoge ist überzeugt davon, dass Sport für die Gewaltpräventionsarbeit unentbehrlich ist. „Nicht so sehr als Ventil, um Aggressionen abzubauen, sondern wegen des Gefühls, innerhalb einer Gruppe wichtig zu sein“, sagt er, „das erfahren viele Jugendliche außerhalb des Sports viel zu selten.“

Die Footballer wurden in der 40 000-Einwohner-Stadt achtzig Kilometer nördlich von Berlin schnell bekannt. De Wendt wurde gelegentlich nach Autogrammen gefragt, auch die Zeitung berichtete über die Footballer. Margot Franz hat alle Artikel über ihren Sohn in einem Hefter aufbewahrt. Auf einem Bild ist zu sehen, wie Robert die komplette gegnerische Verteidigung durchbricht. Doch das ist noch nicht alles, worauf sie heute stolz ist: Robert lebt inzwischen mit seiner Freundin in Potsdam und hat eine Lehre als Automechatroniker erfolgreich abgeschlossen.

* Namen von der Redaktion geändert.

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