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Sport: Formel 1: Dostojewski und die Formel 1 als Fortsetzungsroman

Wer mit Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow" ins Bett geht, kennt es. Das Delirium, in dem Schlaf, Wahrheit oder Dämonen im Kopf auf ihr Recht drängen.

Wer mit Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow" ins Bett geht, kennt es. Das Delirium, in dem Schlaf, Wahrheit oder Dämonen im Kopf auf ihr Recht drängen. Fjodor Dostojewskis Bücher können als schmerzhafte Aufführungen dieser Gänge an die Grenzen des Menschlichen gelesen werden. Denn seine Kunst erzeugt mit sicherer Hand Situationen, in denen sich die Angesprochenen nicht mehr verbergen können.

Dostojewski kennt solche Grenzmomente ganz genau. Als zum Tode Verurteilter beispielsweise, den man, die Hand der Soldaten bereits am Abzug, noch einmal zurück ins Leben warf wie einen Fisch. Für den Zuschauer bergen solche Situationen eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Vielleicht, weil jedem klar ist, dass auch er sterben wird. Die Vergegenwärtigung dieses Bewusstseins scheint sich noch als sympathischste Antwort auf die Frage anzubieten, wie das Formel-1-Ensemble des Bernie Ecclestone die Welt fasziniert. Bei einseitiger Betrachtung ließe sich sogar ein ethischer Einfluss dieser perfekt inszenierten Dramen aus Pilot, Gummi, Maschine und Gummipuppen nachweisen. Die grundierende Losung der Rennzunft aber, die sich selbst gerne als Zirkus bezeichnet, scheint eine andere zu sein. Es drängt sich ja geradezu auf, aus Anlass des alle verzehrenden Bruderzwistes der Schumachers, Dostojewski einmal mehr ins Spiel zu bringen.

Letzte Wahrheiten

Nur schwer kann man der Versuchung widerstehen, die Figurenkonstellation der "Brüder Karamasow" direkt auf den ganzen Zirkus anzuwenden. Da wäre der kalte Analyt Iwan Karamasow (Michael), sein zarter, triebstarker Bruder Dmitri (Ralf), deren lüstern verzweifelter Vater Fjodor (Willi Weber) sowie dessen ungelungener Halbsohn Smerdjakow (Heinz-Harald). Verblieben der grundgut einfache Alexej (Mika) und schließlich der weise und siechende heilige Starez des unkeuschen Klosters (Niki Lauda). Die lückenlose Übertragbarkeit der Figuren des Romans auf die Formel 1 macht Autor Ecclestones dramatischem Talent alle Ehre. Schließlich war der Roman von Dostojewski als metaphysisch durchdrungenes Weltentheater konzipiert, in dem sich letzte Wahrheiten, an die er glaubte, aussprechen.

Man darf vermuten, dass auch Ecclestone Ähnliches anstrebt. Beide, Dostojewski und Ecclestone, kennen die Erfolgsfaktoren eines Fortsetzungsromans genau, beide erreichen damit hunderte Millionen, und beide errichten ihr Werk auf dem Fundament einer ethischen Ausrichtung, die sie als universell gültig erkannt zu haben glauben. Der Zentralgedanke, um den Dostojewskis Spätwerk kreist, spricht sich in dem Kapitel VI, des ersten Teils des Karamasow-Romans "Wozu lebt solch ein Mensch?" in aller Einfachheit aus: "Es gibt keine Tugend, wenn es keine Unsterblichkeit gibt".

Die bloße These mag uns heute fremd erscheinen. Aber zum einen ist es gar nicht so einfach, eine radikal diesseitige Moralkonzeption zu entwickeln, zum anderen kann man nicht behaupten, die Auseinandersetzung mit dem Themenkreis "Unsterblichkeit und Grenzen menschlichen Handelns" hätte sich für den Menschen des 21. Jahrhunderts erledigt. Ecclestone weiß das. Auch in seinem Drama geht es um Unsterblichkeit. Ecclestones fundamentale Abweichung von Dostojewskis Bekenntnis allerdings lässt sich an seinem Umgang mit den Helden erkennen. Dostojewskis Figuren führen ein Eigenleben, das ihr Schöpfer nicht beherrscht. Sie stehen ihm als Gleiche gegenüber. Ganz anders die Formel Ecclestones, deren Helden er gottgleich an den Fäden des Kapitals fahren lässt.

Ewige Verdammnis

Doch auch der Zentralgedanke des Ecclestonsschen Universums ist bestechend einfach. Denn er stellt, wie die Brüder Schumacher uns in Rennen 9, Teil 1 mit dem Titel "Großer Preis von Europa" in aller Deutlichkeit vorführten, nichts anderes als die Umkehrung der Karamasow-These dar. "Nur wenn alles erlaubt ist, wenn keine Tugend bindet, wird man unsterblich." Selbstverständlich, auch die Formel 1 hat ein Regelwerk, ein feines sogar. Das Überfahren der Linie aus der Boxengasse heraus wird - im Gegensatz zum Überfahren des Bruders - als schweres Verbrechen mit der schier ewigen Verdammnis von zehn Sekunden geahndet.

Die beiden Brüder mögen sich ja tatsächlich. Und jetzt jagen sie einander gemeinsam im Grenzbereich ans Limit. "Üppige Gastmähler, Vergnügungsfahrten, Equipagen, Rang, sklavische Untergebenheit - das alles wird schon für eine solche Notwendigkeit gehalten, dass man sogar sein Leben opfert, um diese Bedürfnisse zu befriedigen ... dass man sogar einander tötet, wenn man sie nicht befriedigen kann". So steht es in Dostojewskis Roman. Ecclestone hat ihn bestimmt gelesen. Hielte er sich fest an den Handlungsstrang, müsste Heinz-Harald Frentzen den Schumacher-Manager Willi Weber aus einer dunklen Laune heraus erschlagen, wofür Ralf Schumacher dann fälschlicherweise lebenslänglich in einer texanischen Todeszelle schmort. Indes, derart glimpflich wird es wohl nicht ausgehen. Schon allein deshalb nicht, weil wir dann unser Geld zurückfordern könnten. Schließlich wäre das Spiel so abgekatert und das Ende absehbar gewesen.

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