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Formel 1: Ein Stern auf Irrfahrt

Mercedes ärgert sich über sein Erstteam McLaren – und überlegt, sein Logo auch auf die Brawns zu kleben.

Ein Schrei hallte durch das Formel-1-Fahrerlager von Barcelona, lang und heulend wie der Gebetsaufruf eines Muezzins. Norbert Haug saß da in der Teamzentrale von McLaren-Mercedes und lauschte, und als das Geheul schließlich verstummt war, bemerkte er trocken: „Das war wohl die Rennauswertung vom Lewis Hamilton.“ Kurz zuvor war der Weltmeister in seinem McLaren beim Großen Preis von Spanien chancenlos um den Circuit de Catalunya geschlichen. „Ich bin mir die Seele aus dem Leib gefahren“, sagte Hamilton erschöpft, allein es half nichts: Er blieb als Neunter ohne WM-Punkte und musste sich am Sonntag sogar vom Sieger Jenson Button im Brawn überrunden lassen.

Haug empfand das als Demütigung und bemühte sich nicht mehr, den sonst üblichen Optimismus-Weichzeichner einzuschalten. „Überrundet zu werden, ist die Höchststrafe“, raunte der Motorsportchef von Mercedes. „Das ist absolut indiskutabel und bei weitem nicht unseren Ansprüchen entsprechend. Das lasse ich mir nicht bieten.“ Die Schuldfrage hat er auch geklärt: Während Motor und das neue Kers-System gut funktionierten, habe der Partner McLaren beim Bau des Chassis kräftig danebengelangt. „Die Luft kommt an unseren Vorderflügel und sagt: Huch, was ist denn das hier? Das sieht ja ganz anders aus als bei den anderen Autos.“ Das neue Reglement sei „von den anderen Teams besser verstanden worden“. Zum Beispiel vom Brawn-Rennstall, der mit seiner überragenden Aerodynamik die Formel 1 dominiert. Aber eben auch mit einem Mercedes-Kaufmotor im Heck.

Bisher ist das eher eine Randnotiz, doch das könnte sich demnächst ändern. Brawn möchte den Stern gern auf dem Auto anbringen, um ihn als Trumpf bei der anhaltenden Sponsorensuche einzusetzen. Bei Daimler hat man dies registriert, ist sich aber nicht sicher, inwieweit man sich und seinem Hauptteam McLaren damit selbst schaden würde. „Wir wollen nicht ablenken von dem, was beim Silberpfeil los ist“, sagt Haug. „Es gibt Überlegungen, aber keine Entscheidung.“ Dass das Mercedes-Logo auf den weißen Brawns aber keine völlige Utopie ist, zeigt auch die offizielle Gratulation des Autobauers an sein Kundenteam nach dem Doppelsieg in Spanien: „Wir freuen uns natürlich sehr, dass wir bei ihren vier Siegen in bisher fünf Rennen mit unserem Motor den Antrieb liefern konnten.“

In jedem Fall soll die Priorität jedoch auch weiterhin bei dem Rennstall liegen, mit dem Mercedes seit 1995 liiert ist. McLaren sei nicht nur das Stammteam, bekräftigt Haug: „Wir sind McLaren. Wir haben 40 Prozent der Anteile, keiner hat mehr.“ Ein Ausstieg stehe deswegen nicht zur Debatte: „Das wird nicht passieren. Wir müssen und wollen als Team zusammenstehen.“ Der Vorstand gebe ihm alle Unterstützung, aber „das, was wir abziehen, kann kein Dauerzustand sein“.

Selbst wenn Haug die WM längst abgehakt hat, setzt er seinem Team doch ein Ultimatum zur Rückkehr an die Spitze: „Ich glaube nicht, dass wir in vier Wochen zum Angstgegner der Brawns werden. Aber in einer Frist von zehn Wochen müssen wir wieder nach vorn kommen, das muss möglich sein. Ferrari hat’s ja auch geschafft.“ Daran müsse jetzt mit aller Kraft gearbeitet werden, zur Not müsse eben sogar ein komplett neues Chassis gebaut werden. „Wir haben unsere Limits noch nicht ausgeschöpft“, sagte Haug. Dann stand er auf und hatte noch die pastorale Antwort auf den Muezzin-Schrei parat: „Da, wo der Stern drauf ist, wird gefälligst weiter vorne gefahren als zurzeit. Wir werden wieder zum Sieg zurückfinden. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“

Christian Hönicke[Barcelona]

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