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Schön war die Zeit. In diesem Jahr ist erstmals seit 1969 kein einziger brasilianischer Stammpilot mehr am Start.

© picture alliance / dpa

Formel 1 in Brasilien: In der Rechtskurve

Während die Brasilianer sich verzweifelt neue Fahrer in der Formel 1 wünschen, machen die Ikonen Werbung für Präsident Bolsonaro.

Früher war nicht alles gut. Aber die Formel 1 war besser. So sehen das zumindest die Brasilianer. Im Moment blicken sie lieber in die Vergangenheit als auf die Gegenwart: Der 25. Jahrestag von Ayrton Sennas letztem Sieg in Adelaide 1993 ist im Moment ein größeres Thema als der aktuelle Grand Prix auf der Rennstrecke von Interlagos. Und das, obwohl dem Rennen das Aus droht. Zum ersten Mal in der Geschichte des Rennens ist an diesem Wochenende kein brasilianischer Fahrer dabei, zum ersten Mal seit 1969 überhaupt hat Brasilien nach dem Rücktritt von Felipe Massa Ende 2017 keinen Stammpiloten mehr in der Formel 1. Ohne eigenen Fahrer lässt das Interesse im Land immer mehr nach. Der große Sender TV Globo, der jahrzehntelang entscheidend war für die Verbreitung und Popularität der Formel 1 in Brasilien, hat seine Berichterstattung deutlich eingeschränkt.

Was einige brasilianische Motorsportfans auch verärgert und von der Formel 1 distanziert, ist die politische Haltung einiger früherer Rennsporthelden. Sehr viele der Idole – von früher, aber auch aus der Gegenwart – unterstützten im Präsidentschaftswahlkampf, der das ganze Land spaltete, den Rechtspopulisten Jair Bolsonaro. Mehr noch: Sie machten über ihre Social-Media-Kanäle, die auch in Brasilien vermehrt wichtiger werden für die Meinungsbildung, sogar sehr intensiv Wahlkampf für ihn. Von Emerson Fittipaldi über Nelson Piquet, Felipe Massa und Rubens Barrichello bis zum Audi-Formel-E-Werkspiloten Lucas di Grassi.

Brasilien verdient an den Rennen wenig bis gar nichts

„Sie sind halt Teil einer Elite, die auch unter einem autoritären Regime nicht wirklich etwas zu befürchten hätten und sehen auch nur ihre eigenen Interessen“, sagt Ademir Branco jr., ein Rechtsanwalt und großer Rennfan seit Senna-Zeiten. „Aber zur Elite zu gehören heißt hier nicht unbedingt, auch politisches und historisches Verständnis und Wissen zu haben, um die entsprechenden Zusammenhänge und Risiken überhaupt zu verstehen.“ Es ist wie bei anderen brasilianischen Bürgern. „Der ein oder andere ist bereit, faschistische Tendenzen kleinzureden oder zu ignorieren, solange es nur einen Wechsel gibt und die Linken abgewählt werden“, sagt Branco.

Was viele besonders enttäuscht hat: Auch Ayrton Sennas Schwester Viviane, die das „Instituto Ayrton Senna“ leitet, das sich vor allem um Bildungschancen für sozial Schwache kümmert, ließ nach einem Treffen wirkungsvolle Propaganda-Fotos mit Bolsonaro zu. Erst nachdem es einige Proteste gegeben hatte, machte sie einen halbherzigen Rückzieher und meinte, sie sei neutral. „Aber ich spreche mit jedem, der mit mir über Bildungspolitik reden will.“

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat auch in der Rennsportszene viele Fans.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat auch in der Rennsportszene viele Fans.

© dpa

Den langjährigen Formel-1-Anhänger Marcos Ferreira, der aus Curitiba zum Rennen nach Interlagos gekommen ist, stimmt das traurig: „Den Namen von Ayrton, für den Humanität so wichtig war, mit dieser Regierung verbunden zu sehen, das ist schon bitter.“ Die Politik ist das eine, viele beschäftigt aber auch die Zukunft des Rennens in Brasilien.

Obwohl die internationale Formel-1- Welt viel übrig hat für die klassische Strecke von Interlagos, wird jedes Jahr die Sicherheitsfrage gestellt. Nach den wiederholten Überfällen vor allem auf Teambusse und einzelne Medienfahrzeuge in den vergangenen Jahren wurde jetzt zwischen dem Automobil-Weltverband Fia, dem Veranstalter und den zuständigen lokalen Behörden ein neues Sicherheitskonzept erarbeitet. Alle am Rennwochenende beteiligten Akteure sollen möglichst wenig auffallen. Sie sollen beispielsweise nicht mehr in Teamkleidung zur und von der Strecke fahren. Wenn sie als Teil eines Formel-1-Trosses zu erkennen sind, sind sie potenziell gefährdet. Zudem soll die Polizei an den kritischen Stellen der Zufahrt endlich auch in den Abend- und Nachtstunden vor Ort sein.

Hinzu kommt, dass die Formel 1 bei den Rennen von 2018 bis 2020 an Brasilien wenig bis gar nichts verdienen wird. Das ist noch eine Hinterlassenschaft von Bernie Ecclestone. Der frühere Formel-1-Boss hatte vor seiner Absetzung den Vertrag mit dem brasilianischen Veranstalter, zu dem er schon immer gute persönliche Beziehungen hatte, noch einmal um drei Jahre verlängert – ohne aber die entsprechenden Zahlungsverpflichtungen in das Paragraphenwerk hineinschreiben zu lassen. Ob die neue Unternehmergruppe Liberty Media danach noch auf Brasilien setzt, darf bezweifelt werden.

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