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Müde Begeisterung. Auch beim chinesischen Streckenpersonal in Schanghai hält sich das Interesse an der Formel 1 in engen Grenzen.

© afp

Formel 1 in China: Timo Boll statt Sebastian Vettel

Während Sebastian Vettel am Sonntag den Großen Preis von China gewinnen will, wird immer deutlicher, dass das Asien-Konzept der Formel 1 den Motorsport in China nicht wirklich voranbringt – doch das dürfte Bernie Ecclestone egal sein.

Zumindest optisch ist die Formel 1 in der Mitte der chinesischen Bevölkerung angekommen: Früher fuhr man zur Rennstrecke am Nordrand Schanghais, etwa 80 Kilometer vom internationalen Flughafen Pudong entfernt, Kilometer um Kilometer durch Ödland. Heute reichen die Wohnsiedlungen und Industrieparks der 23-Millionen-Einwohner-Stadt direkt an den vom Aachener Streckenarchitekten Hermann Tilke entworfenen Kurs heran. Der Motorsport ist logistisch zu einem Teil der Stadt geworden.

Seit zehn Jahren fährt die Formel 1 nun in Schanghai. Damals, 2004, war der China-Grand-Prix ein Meilenstein für Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, er sollte das Aufbruchssignal sein für die Osterweiterung der Formel 1. Für den Aufbruch nach Asien, auf die neuen Märkte. Inzwischen gilt der Grand Prix in China als richtungsweisend für Singapur, Korea und Indien, also für jene Kurse, die hinzukamen. Und für Thailand, das noch auf Ecclestones Osterweiterungliste steht.

Die chinesischen Veranstalter betonen zum zehnjährigen Jubiläum immer gern, dass der Motorsport sich auch tatsächlich im Land weiterentwickelt hat und das Interesse daran gestiegen ist. Als Beispiel dafür muss Ma Qing Hua herhalten, der mit seinem Freitagseinsatz für Caterham als erster Vertreter seines Landes bei einem offiziellen Event in seiner Heimat ein Formel-1-Auto bewegen durfte. Was er zwar halbwegs ordentlich ohne größere Fehler tat, aber mit 1,5 Sekunden Rückstand auf den Vorletzten, seinen Teamkollegen Giedo van der Garde.

An Selbstbewusstsein mangelt es Ma trotzdem nicht. Er erzählt wie gut es insgesamt um den chinesischen Motorsport-Nachwuchs bestellt sei. Er könne sich durchaus vorstellen, dass es einmal einen chinesischen Grand-Prix-Sieger geben könne. „Ich hoffe schon, dass ich das sein kann“, sagt er mutig. Sein Bekanntheitsgrad in China steigt jedenfalls, in seiner Heimatstadt Schanghai habe er inzwischen Probleme, in Ruhe in der City unterwegs zu sein. Und bald, glaubt der chinesische Rennfahrer, kämen noch viele wie er.

Einer, der darüber nur grinsen kann, ist Winfried Matter, über Jahrzehnte ein Begriff als Teamchef im deutschen Motorsport, vor allem in Nachwuchskategorien. Seit 2003 arbeitet er in Schanghai, um hier am Aufbau einer Motorsportszene mitzuwirken. „Ma war einer von drei Fahrern, die ich 2004 nach Japan in die Formel BMW geschickt habe und von denen war er mit Abstand der Schlechteste.“ Doch Mas Vater betreibt in Schanghai eine Kartbahn. Eines Tages tauchte dort ein reicher Chinese mit seinem Sohn zum Kartfahren auf. Den Jungen, der in England in die Schule geht, habe Ma sich gegriffen, erzählt Matter, er sei mit ihm zum Kartfahren gegangen – woraufhin offenbar dessen Vater die Millionen locker gemacht habe, mit denen Ma sich als dritter Fahrer bei Caterham einkaufen konnte.

"Das mit dem Motorsport bringt nichts – es interessiert die Leute hier absolut nicht.“

Eigentlich sehe die Zukunft nicht gut aus, sagt Matter. Nachwuchsserien, vernünftige Nachwuchsmeisterschaften, da bewege sich in Wahrheit nichts. 2003 wurde in China auf politische Anweisung ein Motorsportverband gegründet, der von oben eingesetzte Vorsitzenden besetzte die Verbandsspitze, hauptsächlich mit Familienmitgliedern, geschehen sei seitdem nichts. Er will in Zukunft sogar den Begriff „Motorsport“ aus dem Titel seiner Consulting Firma herausnehmen, sich auf andere Bereiche rund um Auto-Events konzentrieren: „Weil das mit dem Motorsport nichts bringt – es interessiert die Leute hier absolut nicht.“

Sicher kämen ein paar Reiche für 5000 Dollar mal in den exklusiven Paddock Club der Formel 1. „Aber auch nur, um sich zu präsentieren, mal zu gucken und zu schauen, und auch zu zeigen dass man es sich leisten kann“, sagt Matter. So glaubt er nicht an die auch von Ecclestone aufgestellte Theorie über die große Bedeutung der Formel 1 in China für Automobilhersteller und Sponsoren. Da werde auch viel schöngeredet, was Werbewirksamkeit und Reichweiten angehe: „Was keinen wirklich interessiert, bewirkt auch nichts.“ Und im Rest von Asien – mit Ausnahme von Japan–, sehe es wohl nicht anders aus. Immerhin gab jetzt Ecclestone zu, dass er mit den Fernseh-Zuschauerzahlen in China „im Verhältnis zur Einwohnerzahl“ nicht zufrieden sei, sie seien enttäuschend.

Und auch die Gesamt-Umsatzzahlen der Formel 1 scheinen die Theorie vom Riesenmarkt in Asien nicht wirklich zu stützen. Angesichts des geplanten, dann aber verschobenen Börsengangs im Jahr 2012 wurden Zahlen von 2011 öffentlich, die besagten: Von den 1,5 Milliarden Dollar Gesamtumsatz der Formel 1 entfielen auf neun Europarennen 902 Millionen, auf die sieben Rennen in Asien, Australien und im arabischen Raum 402 Millionen. „Man kann eine Pyramide nicht von oben bauen wollen“, sagt Matter. Es ist schwierig, die Formel 1 Ländern und Regionen einfach überzustülpen, in denen es keinerlei Rennsporttradition gibt. Die Stimmung an der Strecke und im Fahrerlager „entspricht auch irgendwie mehr der bei einer Messe, da ist nicht viel Begeisterung“, stellt Nico Hülkenberg fest. Eine nicht repräsentative Umfrage nach dem bekanntesten deutschen Sportler unter den Mitarbeitern des Formel-1-Pressezentrum bringt ein interessantes Ergebnis: Nicht Michael Schumacher, nicht Sebastian Vettel, auch nicht Dirk Nowitzki oder Boris Becker – nein, mit Abstand ist Tischtennisspieler Timo Boll am bekanntesten.

Trotzdem sieht es nicht so aus, als würde Ecclestone von seinem Asien-Konzept abrücken. Womöglich auch, weil ihm das Thema Popularität des Rennsports und der damit verbundenen Marketingchancen dort in Wahrheit ziemlich egal ist. Wie sagte doch kürzlich jemand aus seinem engsten Umfeld: „So lange es dort Leute und vor allem Regierungen gibt, die bereit sind, Bernie die entsprechenden Antrittsgelder zu zahlen, ist doch alles in Ordnung.“

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