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Sport: Frankreich - Algerien: Versöhnung endet im Fiasko

Es sollte ein Fest werden und wurde zum Desaster. Das Fußballspiel zwischen den Nationalmannschaften Frankreich und Algerien hatte schon Wochen vor der Begegnung den Charakter eines Superereignisses, das schon im Voraus weit über seine sportliche Bedeutung hinaus wies.

Es sollte ein Fest werden und wurde zum Desaster. Das Fußballspiel zwischen den Nationalmannschaften Frankreich und Algerien hatte schon Wochen vor der Begegnung den Charakter eines Superereignisses, das schon im Voraus weit über seine sportliche Bedeutung hinaus wies. Seitenlang haben die Zeitungen vorab über das Freundschaftsspiel im Pariser Vorort St. Denis berichtet.

Es ist das erste Treffen der Fußballer beider Länder seit der algerischen Unabhängigkeit 1962. 39 Jahre lang haben die Fußballer beider Länder gewartet, in den von vielen maghrebinischen Einwanderer bewohnten Pariser Vororten gab es seit Tagen kein anderes Thema mehr. Eintrittskarten gab es schon lange vorher nur auf dem Schwarzmarkt, die meisten Gastwirte räumten wenige Stunden vor dem Anpfiff ihre Kneipen um, Fernsehgeräte in der Mitte - nach dem Fiasko gibt es unter den aufgeregten Gästen nur noch ein Thema: War die Randale geplant, wie konnte es dazu kommen?

Schon vor Beginn des brisanten Spiels kochten die Emotionen hoch, aber das hatten die Veranstalter im Stade de France erwartet. Tausende Polizisten kontrollierten bereits ab dem Nachmittag die Eingänge, denn außer diesem besonderen sportlichen Treffen galt es "Vigipirate" umzusetzen: Den Sicherheitsplan der höchsten Alarmstufe, der in Frankreich seit den Anschlägen auf Washington und New York gilt.

Umfragen von Boulevard- und Sportzeitungen vor dem Spiel haben die Befürchtungen der Sicherheitsexperten und Ängste der Politiker vertrieben: Es sieht so aus, als wollte der Großteil der 80 000 Zuschauer nichts weiter, als ein Fest feiern. In der 55. Minute, Frankreich hat gerade das Tor zum 4:1 erzielt, kippt die Stimmung: Flaschen und Stöcke fliegen in Richtung Ehrentribüne. Dort sitzt die politische Prominenz, angeführt von Premierminister Lionel Jospin. Wenig später wird das Spiel abgebrochen, algerische Fans haben den Rasen gestürmt. 17 Randalierer werden festgenommen.

"Das war doch zu erwarten", schimpft ein Lyoner Taxifahrer. Gegenüber vom Taxistand am Bahnhof Lyon-Perrache strömen hunderte frustrierter algerischer Fans aus dem Zug, der am frühen Morgen nach dem verpatzten Fußballspiel als erster aus Paris eintrifft. "In der derzeit politisch so angespannten Situation hätte das Spiel gar nicht stattfinden dürfen", sagt der Chauffeur und bestätigt damit, was viele Franzosen zurzeit insgeheim denken, aber nicht aussprechen wollen. Seit die Spur nach den Attentätern in den USA deutlich in Richtung arabischer Fundamentalisten führt, ist die Stimmung in Frankreich gekippt. Fünf Millionen Moslems leben hier, so viele, wie nirgendwo sonst in Europa. Viele der arabischstämmigen Mitbürger werden von den Franzosen im Alltagsleben neuerdings wieder eher mit Argwohn betrachtet, ähnlich wie nach den Anschlägen bewaffneter algerischer Terroristen, die 1995 das Land in Atem hielten.

Den algerischen Sportlern ist die Enttäuschung deutlich anzumerken. Vor allem Trainer Rabah Madjer. Er behauptet schon kurz nach dem Abbruch, die Randale sei vorbereitet gewesen: "Die wollten uns unser Fest verderben." Alles habe "wunderbar" angefangen, das Gemeinschaftsfoto, das Spiel während der ersten Stunde, "die Stimmung war prima. Nun ist Algeriens Image in der Welt angeschlagen."

Auch bei der französischen Mannschaft ist die Stimmung schlecht. Ihr Star Zinedine Zidane ist in Algerien geboren. In einem Interview mit der Zeitung "Le Parisien" geben die französischen Spieler zu, sie hätten "ein bisschen Angst, ein mulmiges Gefühl" gehabt. Verteidiger Marcel Desailly eröffnet noch in der Umkleidekabine die Debatte: "Darüber wird zu diskutieren sein, wie konnte das passieren?" Doch keiner seiner Kollegen hat richtig Lust, sich mit den Ursachen des Gewaltausbruchs auseinander zu setzen: "Wir machen hier Sport und nicht Politik." Als sich ein algerischer Journalist beschwert, man lasse die algerischen Reporter nicht in die Umkleidekabinen, um die französischen Spieler zu interviewen, wird der Ton schärfer.

Kleinlaut heißt es bei den Politikern, Eskalationen seien nicht zu erwarten gewesen. Innenminister Daniel Vaillant sagte, "wenn die Gefahr auch nur im mindestens abzusehen gewesen wäre, hätte die Regierung das Spiel nicht stattfinden lassen". Aus Verfassungsschutzquellen ist anderes zu gehören.

Ein algerischer Fan hat "Le Parisien" ein aufschlussreiches Interview gegeben. "Wir haben uns vorher am Gare de Nord getroffen - ungefähr 300 Leute", sagt der junge Mann und erläutert die "Strategie". "Wir wollten vor allem, dass uns die Fernsehkameras im Bild haben, auf einen sportlichen Sieg kam es uns gar nicht an, das war klar, dass die Franzosen gewinnen." Aus diesen Sätzen spricht der Frust der vielen Jugendlichen, Kinder algerischer Einwanderer, die arbeitslos in den trostlosen Banlieus leben. "Wir sehen die sportliche Überlegenheit von Frankreich als schwerwiegender an, es ist nicht, ein Spiel zu verlieren, es ist eine Erniedrigung, wieder einmal, es ist ein bisschen, wie einen Krieg zu verlieren." Und, so fügt er fast ein wenig drohend hinzu: "Falls die Regierung glaubt, sie könnte uns mit einem netten Match besänftigen, hat sie sich getäuscht."

Sabine Heimgärtner

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