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Franz Beckenbauer, 68, ist vielen Lebenslagen gewachsen. Zwischen Sixdays-Startschuss und Mira-Award in Berlin blieb kurz noch etwas Zeit für ein Gespräch.

© dpa

Franz Beckenbauer: "Die Meisterschaft kannst du planen"

Franz Beckenbauer spricht über die Dominanz des FC Bayern, die Kofferpackerei von Mario Mandzukic und die Wüsten-Weltmeisterschaft 2022 in Katar.

Herr Beckenbauer, sehen wir in den nächsten fünf Jahren einen anderen Meister als den FC Bayern?

Es wird schwierig werden, die Bayern zu bedrängen, wenn sie sich weiter so verstärken. Und das werden sie. Sie werden nicht aufhören damit. Es passt alles. Pep Guardiola ist der ideale Trainer, Matthias Sammer ist einer, der sie immer wieder weckt. Im Kader ist genug Konkurrenzkampf, um in allen Wettbewerben zu bestehen. Ich sehe keinen Grund, warum sich etwas in den nächsten Jahren ändern sollte. Im Gegenteil. Es werden Verstärkungen kommen, wie Lewandowski.

War es denn nötig, Robert Lewandowski aus Dortmund zu holen? Droht da kein Ärger mit Mario Mandzukic?

Ärger wird’s keinen geben, dafür ist Guardiola als Person zu stark. Ich glaube, dass er allen Spielern die Möglichkeit geben wird, zu Einsätzen zu kommen.

Aber Mandzukic kann doch seine Koffer packen, oder?

Eigentlich schon. Ich kann mir vorstellen, dass der Lewandowski einschlägt. Von seiner Spielweise passt er eher zu Guardiolas Vorstellungen als ein reiner Mittelstürmer wie Mandzukic. Zumal da auch noch Thomas Müller und Mario Götze sind. Also, so gut aufgestellt war der FC Bayern noch nie.

Funktioniert die Bundesliga auch ohne Meisterkampf?

Es gibt doch andere interessante Wettbewerbe: den Kampf um die Champions-League-Plätze, den Abstieg. In Spanien ist es viel eklatanter als bei uns, da spielt seit Jahrzehnten die Musik nur zwischen Barcelona und Madrid. In Italien aber hat sich das Blatt ein bisschen gewendet. Nicht mehr nur Juve, Inter und Milan, da spielt plötzlich auch mal der AS Rom oder Neapel vorn mit. Also, das bleibt nie so. Warten Sie es ab, demnächst ist vielleicht auch der VfL Wolfsburg finanziell in der Lage für einen Wechsel an der Spitze.

Sie sagten mal, der HSV sei am ehesten in der Lage, dem FC Bayern Paroli zu bieten. Zumindest wollen sie den Fußballbetrieb auslagern und den Weg frei machen für frisches Kapital.

Paroli bieten ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber sie könnten sich annähern. Noch hat der HSV keine andere Struktur, die muss ja erst von der Vollversammlung genehmigt werden. Und 75 Prozent muss du erst einmal erreichen. Das, was man jetzt gemacht hat, ist ein Lippenbekenntnis. Ich weiß nicht, ob das hält? Wenn die Hamburger das schaffen, haben sie andere Möglichkeiten. Das ist schon mal damit getan, dass nicht mehr alle mitreden. Wir haben es damals geschafft, dass wir zu zweit oder zu dritt entscheiden konnten.

Wo sehen Sie den FC Bayern im internationalen Vergleich?

Die Bayern haben aufgeholt. Und die anderen sind nicht besser geworden. Mit Ausnahme von Arsenal vielleicht.

Ist es Zufall, dass Arsenal immer deutscher wird und der FC Bayern internationaler?

Dass Özil, Mertesacker und Podolski dort spielen, ist gut für sie. Die passen besser zu Arsenal – weil sie da spielen! (lacht)

Im Achtelfinale muss der FC Bayern wieder gegen sie ran. In der vorigen Saison wären die Münchner dort fast ausgeschieden.

Sie sind nicht schlecht. Arsenal ist Tabellenführer, der Klub hat sich erholt. Aber wenn man den Titel verteidigen will, trifft man früher oder später immer auf Mannschaften wie Arsenal, Barcelona oder Chelsea.

Die Meisterschaft gilt als der ehrlichste Titel. Doch muss es dem FC Bayern nicht darum gehen, den Titel in der Champions League zu verteidigen?

Die Meisterschaft kannst du planen. Wenn du jetzt mal Punkte liegen lässt, ist das nicht so schlimm. Du sagst dir: nächstes Mal machst du es besser. Aber jetzt in der K.-o.-Runde der Champions League kannst du dir keinen Aussetzer leisten, dann bist du draußen. Deswegen ist dieser Wettbewerb so verteufelt schwierig. Womöglich ist das auch der Grund, warum niemand den Titel verteidigen konnte.

"Ich wüsste jetzt keine Mannschaft, die besser ist."

Ein anderer Titel wird in Deutschland herbeigesehnt. Oder glauben Sie auch, dass es in Brasilien zu heißt ist, um Weltmeister zu werden?

Da ist doch dann Winter. Im Süden Brasiliens herrschen angenehme Temperaturen, so 20, 25 Grad. Im Norden ist es etwas wärmer und feuchter. Du musst dich halt drauf einstellen. Sie sollen rechtzeitig hinfliegen und sich akklimatisieren.

Das sagen Sie so leicht.

Ich weiß noch, wie wir 1976 den Weltpokal mit Bayern gegen Belo Horizonte gewonnen haben. Das erste Spiel in München fand Ende November bei minus 20 Grad statt. Da war eine Eiskruste auf dem Rasen, was die Brasilianer nicht lustig fanden. Vier Wochen später mussten wir zum Rückspiel. Wir sind mittags bei über 40 Grad angekommen – und haben abends gespielt. Also: Mit etwas Energie kann man alles schaffen.

Ist Deutschland titelreif?

Sagen wir es mal so: Ich wüsste jetzt keine Mannschaft, die besser ist.

Richtig heiß wird es bei der WM 2022 in Katar. Was wäre das größere Übel: bei 50 Grad im Sommer zu spielen oder in den Winter zu gehen, aber sämtliche Ligen durcheinander zu wirbeln.

Jetzt wird viel diskutiert, weil niemand zufrieden ist. Man hat Probleme. Die einfachste Lösung wäre im Winter zu spielen. Wir haben noch acht Jahre – genug Zeit, um die Welt darauf vorzubereiten.

Haben Sie dem Emir den Floh von einer WM in der Wüste ins Ohr gesetzt?

Sie werden lachen, ich war damals ein paar Mal beim Emir zu Hause, beim alten Herrscher, bevor er die Macht an seinen Sohn übergeben hat. Sie sind voller Begeisterung. Das Einzige, was sie halt nicht kontrollieren können, ist das Wetter. Ich habe ihn gefragt, wie er sich das vorstellt. Er sagte, wir kühlen alles runter, Geld spiele keine Rolle. Aber die Frage ist, muss das sein? Denen ist’s wurscht. Sie sagen: Sagt’s uns, wie wir es machen sollen. Spielen wir im Sommer, dann kühlen wir runter; spielen wir im Winter, dann ist es euer Problem, wie ihr mit den Ligen zurechtkommt. Die machen alles mit.

Aber vielleicht machen einige andere Länder nicht alles mit?

Mei, wenn die Fifa ein Machtwort spricht, dann machen alle mit. Wenn einer mault, dann bleibt er eben zu Hause. Aber das wird niemand machen. Wissen Sie, die Kataris waren schlau. Sie bauen zwölf neue Stadien mit je 40 000 Plätzen und mehr. Natürlich können sie sie dann nicht mehr brauchen. Höchstens eins vielleicht. Aber sie haben zugesagt, dass sie jedes Stadion nach der WM abbauen und in verkleinerter Version in Entwicklungsländern wieder aufbauen. Auf diese Weise entstehen fast 50 neue Stadien in der Dritten Welt. Die haben sich was einfallen lassen.

Und was fällt Ihnen zum Coming Out von Thomas Hitzlsperger ein?

Ich war überrascht über das Echo. Ich dachte, in unserem Land müssten wir eigentlich so weit sein, damit umgehen zu können. Ob einer auf die Straße rausrennen und rufen muss: ,Ich bin schwul, ich bin schwul!’, das interessiert mich nicht.

Sondern?

Allein, dass ein Mensch sich outen muss, ist doch an sich schon diskriminierend. Mich interessiert der Mensch, nicht seine sexuelle Orientierung. Und ich weiß, wovon ich spreche.

Zu Ihrer New Yorker Zeit Ende der Siebziger waren Sie im Studio 54 umgeben von schwulen Künstlern. Rudolf Nurejew war ihr Nachbar. Warum ist Homosexualität im Fußball immer noch ein Tabu?

Vielleicht haben die Spieler Bedenken, weil sie die Reaktionen im Stadion nicht absehen können. Fußballpublikum ist kein Opernpublikum. Ich kann Ihnen mal erzählen, wie es in den Sechzigern war ...

... zu Beginn der sexuellen Befreiung ...

... damals waren nur Männer in den Stadien. Wenn etwa einer pinkeln musste, hieß es nur ,Geh mal auf die Seiten’, und dann pinkelte der da hin, weil es keine Toiletten gab. Und wenn wir in Oberhausen spielten, sangen sie : ,Bec-ken-bau-er ist homosexuell … homosexuell … homosexuell’. Da lachten meine Mitspieler und sagten: ,Man kann viel über dich sagen, Franz, aber das, das stimmt net’.

Aufgezeichnet von Michael Rosentritt.

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