
© Kai Heuser
„Frauenfußball ist doch kein Job”: Warum ich mich trotzdem dafür entschied – und heute davon leben kann
Anna Höfker ist Co-Kapitänin beim Zweitligisten Viktoria Berlin. Dass der Frauenfußball zunehmend Anerkennung erhält, hilft ihr. Doch mit der neuen Öffentlichkeit wächst auch der Erwartungsdruck.

Stand:
„This Club is a Game Changer” leuchtet als knalliger Slogan auf unserer Website. „Game Changer” ziert in Pink und Blau Shirts, Schals und Caps. Das progressive Motto ist kaum zu übersehen, sobald man mit unserem Frauenteam des FC Viktoria Berlin in Kontakt kommt. Er steht für Haltung, für den Anspruch, Fußball auf und neben dem Platz neu zu denken und aktiv zu gestalten. Aber wie lebt sich solch ein Slogan im Alltag, gerade für eine Spielerin?
Als ich 2023 fußballerisch zu Viktoria kam, war klar: Hier kann ich zum ersten Mal in meiner Karriere wirklich professionell Fußball spielen. „Frauenfußball ist doch kein Job“ hatte sich auch bei mir früh eingebrannt. Kurz vor der Volljährigkeit hatte ich den Leistungssport beendet. Zu weit der Weg zum nächstambitionierten Verein, zu groß der Aufwand und zu klein die Perspektive, Sport und die berufliche Zukunft zu vereinen.
Dann kam die Europameisterschaft 2022 und damit spürbarer Rückenwind für den Frauenfußball. In genau diesem Sommer kehrte ich, dank fortgeschrittenem Studium, zu meinem Jugendverein FSV Gütersloh in die Zweite Bundesliga zurück. Parallel startete beim FC Viktoria Berlin eine große Vision. Sechs Gründerinnen übernahmen das drittklassige Frauenteam, gewannen namhafte Unterstützer*innen, führten Grundgehälter für Spielerinnen ein.
Die Bedingungen verbesserten sich stetig
Während ich in Ostwestfalen vor rund 200 Fans und Bedingungen spielte, die mehr Leidenschaft als Ressourcen boten, wurde in Berlin erstmals ein Regionalligaspiel live im TV übertragen – für bis zu 400.000 Menschen. Mit mutigen Entscheidungen und selbstbewusster Kommunikation im eigenen Look lag Aufbruch in der Luft.
Für mich ist es neu und besonders schön, wenn nach unseren Spielen Kinder auf Autogramme und Fotos warten.
Anne Höfker
Ein halbes Jahr später wagte ich den Schritt in die Hauptstadt und erlebe seitdem hautnah als Spielerin, was Professionalisierung bedeutet. Unsere Bedingungen haben sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren stetig verbessert. Inzwischen gehören Videoanalysen, Kraft- und Athletiktraining, Physio- und Sponsorentermine genauso zum Alltag wie Team- und Individualtraining.
Seit dem Aufstieg in die Zweite Liga trainieren wir mit einem gewachsenen Staff tagsüber statt abends. Fast täglich mache ich mich mit dem Rad oder der Bahn vom Berliner Norden auf den Weg nach Lichterfelde. Es ist eine Struktur entstanden, die ich zum ersten Mal als Profifußball bezeichnen kann. Fußball ist hier ein echter Job geworden, der von allen Beteiligten genauso angenommen wird. Dass es dabei überwiegend Frauen sind, ist im Fußball an sich schon ein Game Changer.
Klarheit und Stärke im Kopf sind entscheidend
Fußballerin beim FC Viktoria Berlin zu sein, heißt nicht nur sportlich zu arbeiten, sondern auch persönlich zu wachsen. Unser Alleinstellungsmerkmal, das über 250 Personen starke Investor*innen-Netzwerk, bringt neben Kapital vor allem Interesse an unserer gemeinsamen wie individuellen Entwicklung ein. Im Mentoringprogramm können wir uns mit ihnen zu eigenen Interessen wie Finanzen und Selbstmanagement austauschen.
Diese Impulse helfen auch, mal bewusst aus der eigenen Fußballwelt zu treten. In den vergangenen Jahren ist durch den Hype um den Frauenfußball vieles öffentlicher geworden. Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Identifikation sind genau das, worüber wir uns alle freuen. Für mich ist es neu und besonders schön, wenn nach unseren Spielen Kinder auf Autogramme und Fotos warten, Fangruppen am Seitenrand entstehen und Menschen unsere Trikots tragen.
Mit der wachsenden Kulisse, im Stadion wie digital, steigen aber auch die Erwartungen. Dazu kommt der alltägliche Druck des Leistungssports mit Konkurrenz und Selbstanspruch. Da sind Klarheit und Stärke im Kopf so wichtig wie die Körperpflege.

© Kai Heuser
Ich selbst nutze, wie einige andere im Team, regelmäßig das Angebot unserer Mental Coaches.
Zu unserer Wahrheit gehört auch, dass (noch) nicht alles perfekt ist. Ein Team bringt man eben nicht von heute auf morgen nach oben. Erst recht nicht, wenn man bewusst unabhängig von einem profitablen Männerteam agiert und ohne bestehende Infrastruktur startet. Eigene Kabinen, moderne Kraft- und Regenerationsräume? Im städtischen, nur angemieteten Stadion Lichterfelde aktuell noch nicht drin.
Die Bundesliga-Topteams würden bei diesen Bedingungen und dem Claim „Game Changer“ wohl eher schmunzeln. Aber wir arbeiten damit und wollen mehr. Genau da sind auch wir Spielerinnen in der Pflicht. Im offenen Dialog mit den Verantwortlichen geht es darum, Bedürfnisse klar zu benennen und Veränderungen einzufordern, um gemeinsam den nächsten Schritt zu gehen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: