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Olympisches Ärgernis. Londons Verkehrskonzept gilt schon vor Beginn der Spiele als gescheitert. Foto: AFP

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Sport: Freifahrt ins Chaos

Die Londoner sind schon jetzt völlig genervt vom VERKEHR. Während Sportler und IOC auf der „Olympic Lane“ fahren, steht London im Stau.

Zeit ist Geld im Vereinigten Königreich, besonders in London. Das spürt jeder, der zur falschen Zeit in die „Tube“ steigt. Auf der Rolltreppe im Weg zu stehen, gilt als Todsünde. Viele stürmen auf der Überholspur in die Tiefe oder im Eiltempo nach oben. Die Londoner arbeiten viel, um die unverschämt hohen Mieten zu zahlen. 400 Pfund für 50 Quadratmeter, pro Woche. Mobilität ist das Thema der Millionenstadt. Was passiert also, wenn plötzlich der riesige Olympia-Zug durch die Hauptstadt rollt? Schon jetzt zeigt sich: Das vielgelobte Verkehrskonzept funktioniert nur in der Theorie.

Wenn Olympia am heutigen Freitag beginnt, stören die Londoner nicht die 18 200 Soldaten in ihren gefleckten Tarnanzügen, die Dienst tun müssen, weil sich eine Sicherheitsfirma böse verkalkulierte. 4000 Mann in Uniform wurden abkommandiert. Nicht mal über den Hubschrauberträger Ocean, der bei Greenwich vor Anker liegt und als Schaltzentrale der Terrorabwehr gilt, regt sich irgendwer auf. Das scheint der Preis für das Ereignis zu sein, das mehr als zwei Millionen Besucher in eine Stadt spült.

Was die Menschen in London nervt, ist der Verkehr, der schon ohne Olympia gewöhnungsbedürftig ist. Mit den Spielen wird alles enger, lauter und chaotischer. Olympia-Mitarbeiter, Journalisten und Athleten können sich da kaum beklagen. Für sie fahren Doppeldecker-Busse an allen relevanten Punkten. Ganz zu schweigen von den Mitgliedern des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die in Hybrid-BWMs sitzen. Für sie alle gibt es die „Olympic Lanes“, Fahrspuren, die nur zugelassene Olympia-Fahrzeuge benutzen dürfen. Der Rest schwitzt im Stau, weil Fahrspuren fehlen, Durchfahrten gesperrt sind oder Umleitungen zu komplizierten Umwegen führen. Die Bierlieferanten reagierten als Erste: Sie beliefern die Pubs nur noch nachts.

Richtig sauer sind die Taxifahrer. „In der Bewerbung waren wir mittendrin im Paket, jetzt sind wir draußen“, klagt John, dessen Frau gerade aus dem anderen Taxi der Familie anrief, weil sie einen Strafzettel über 130 Pfund bekam – fürs Halten auf der reservierten Spur. Die „Black Caps“ dürfen nicht auf die Lane, nur in den Stau. Genervte Fahrgäste zu beruhigen gehört jetzt zum Service.

„Dann sehen die meisten viel mehr von ihrer schönen Stadt“, sagte Londons Bürgermeister Boris Johnson. Viele fanden das nicht lustig. Auf U-Bahnhöfen sieht man die Lage realistischer. Die Aufrufe zu Geduld und Besonnenheit plärren so häufig durch die Lautsprecher wie die Warnung, auf Taschendiebe zu achten. „Stellen sie sich auf mehr Fahrgäste ein, wir tun unser Bestes“, sagt die tiefe Stimme.

An den Wänden hängen gigantische Plakate, die auffordern, Reisen genau und lange im Voraus zu planen. Auf einer Webseite gibt es Tipps, wie man dem Olympiaverkehr entkommt. Die meisten Londoner ertragen die verstopften U-Bahnen mit Gleichmut und befolgen Tipps, aufs Fahrrad umzusteigen, daheimzubleiben oder im Ausland Ferien zu machen. Viele Firmen haben ihren Mitarbeitern Heimarbeit verordnet.

Wer Olympia entfliehen will. kann das trotzdem tun. Es gibt Stadtteile ohne Fahnen an den Häusern; Olympia findet hier nur im Fernsehen statt. Im Stadtteil Fitzrovia in einer Studentenkneipe behauptet Mark, der Kellner: „Kein Student interessiert sich für Olympia.“ Schlimmer findet er die Entscheidung, auch während Olympia die Sperrstunde bei elf Uhr zu belassen: Die „Last-Order“ wird streng kontrolliert. Vielleicht überlegt er es sich noch einmal anders, wenn es die ersten Medaillen für das „Team GB“ gibt.

Die große Olympia-Euphorie ist bisher nicht ausgebrochen. Was vielleicht daran liegt, dass weder Cricket, Pferderennen noch Wett-Trinken im Pub zum olympischen Programm gehören. Radrennen mit Tour-Sieger Bradley Wiggins und Tennis in Wimbledon, so hofft man, müssen die Stimmung retten, die der erdrückende Verkehr schon jetzt heftig getrübt hat.

Die Bierlieferanten liefern nur noch nachts, die Sperrstunde bleibt trotzdem erhalten

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