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Sport: Freundliche Übernahme

Unter Klinsmann hat sich die Atmosphäre in der Nationalelf stark verbessert

Die modernen Zeiten bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft führen gelegentlich auch zu unschönen Begleiterscheinungen. Als Bundestrainer Jürgen Klinsmann den Nationalspielern am Sonntag einen freien Nachmittag gewährte, fühlte sich Oliver Kahn offenbar zu einem Ausflug ins normale Leben genötigt, und man macht sich ja keine Vorstellung davon, was es bedeutet, Oliver Kahn zu sein. Kaum hatte er die fast menschenleere Leipziger Innenstadt betreten, zog er einen Schwanz von sieben Bewunderern hinter sich her. Seinen Kollegen aus der Nationalmannschaft ist es in diesen Tagen nicht anders ergangen. In der Viertligastadt Leipzig wurden die prominenten Fußballer so eingehend begutachtet wie Pinguine auf dem Fahrrad.

Es ist nicht lange her, dass die Nationalspieler ihre Fans nur aus dem Fernsehen kannten. Da hieß ihr Trainer noch Rudi Völler, ein eher ländlicher Typ, der am liebsten irgendwo tief im Wald logieren ließ; das Freizeitprogramm bestand vornehmlich aus Rekordjagden an der Playstation, und das Schlimmste, was den Fußballern passieren konnte, war, dass die Spielkonsolen nicht funktionierten. Inzwischen tasten sich die Nationalspieler aus der virtuellen Welt wieder ins reale Leben, und es gefällt ihnen dort sehr gut. „Das macht den Kopf frei“, sagt Arne Friedrich von Hertha BSC. „Da kann man gar keinen Lagerkoller kriegen.“

Jürgen Klinsmann, Völlers Nachfolger, hat einiges verändert seit seiner freundlichen Übernahme der Nationalmannschaft. Er ist vom Land in die Stadt gezogen, hat das Spielsystem revolutioniert, auch trainiert er intensiver als Völler und zieht Spezialisten aus allen Bereichen hinzu: Sportpsychologen, Leistungsdiagnostiker, sogar Fitnesstrainer aus den Vereinigten Staaten. Klinsmann ist für manches belächelt, für manches auch heftig kritisiert worden. Paul Breitner zum Beispiel, der Querulant der Nation, hat seine Sorge geäußert, dass die deutschen Fußballer noch zu Leichtathleten degenerieren. „Über so etwas lächeln wir“, sagt Klinsmanns Assistent Joachim Löw.

Die sportliche Führung der Nationalelf kann sich diese Gelassenheit erlauben, weil ihre Maßnahmen bei denen, auf die es wirklich ankommt, große Zustimmung finden – bei den Spielern. Als Klinsmann die Profis mit Gummibändern malträtierte und lustige Bilder von watschelnden Millionären die Öffentlichkeit erreichten, witterte mancher Boulevardjournalist eine gute Geschichte: Diese Turnübungen aus der Mittelstufe würden sich die ausgebufften Profis wohl kaum gefallen lassen. „Wir machen solche Sachen bei den Bayern das ganze Jahr über“, sagt Torsten Frings. „Verkehrt ist das nicht.“

Entscheidend ist, dass die Spieler nicht nur den Zweck der Maßnahmen erkennen, sondern auch deren Wirkung registrieren. „Während des Spiels merkt man, dass da noch was kommt“, sagt Frings über den Erfolg des Fitnesstrainings. Der 21 Jahre alte Neuling Mike Hanke will nun in der kommenden Saison einen privaten Fitnesstrainer engagieren.

Die Spieler registrieren auch, dass der von Klinsmann verordnete Offensivfußball das deutsche Publikum begeistert. Klinsmann hat eine umfassende Wohlfühlatmosphäre geschaffen, in der seine Maßnahmen ihre Wirkung entfalten. Beim Essen bleiben die Nationalspieler unter sich. Funktionäre und Honoratioren, die sich früher im Glanz der Fußballer gesonnt haben, speisen separat.

Seit Ende Mai sind die Nationalspieler zusammen durch Deutschland gereist, die Stimmung ist erstaunlich harmonisch geblieben. „Uns kommt es gar nicht so vor, als wenn es schon vier Wochen wären“, hat Jürgen Klinsmann am Tag vor dem Spiel um Platz drei gesagt. „Ich habe in keiner Weise das Gefühl, dass es schon zu Ende gehen muss.“ In dieser Angelegenheit könnten die Spieler ausnahmsweise anderer Meinung sein.

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