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Sport: Frieden mit der Rotation

Dortmund entdeckt die Vorzüge des zuvor verfemten Systems

Von Erik Eggers

Eindhoven. Das Opium des Erfolgs auf der großen Bühne des Fußballs hatte auch Sebastian Kehl in Besitz genommen. Gerade hatte die Dortmunder Borussia mit einem verdienten 3:1 (1:0) beim PSV Eindhoven den ersten Auswärtssieg seit fünf Jahren in der Fußball-Champions-League erreicht, da täuschte der Nationalspieler in den Katakomben des Philips-Stadion einen Ausflug in eine andere Sportart an. „Wollt Ihr auch etwas essen?", fragte er übermütig die Journalisten, und dann setzte er mit seinem (leeren) Plastikteller zu einer imaginären Frisbee-Flugkurve an. Siege, zumal die souveränen, fallen doch leichter als Niederlagen.

Dabei war Kehl recht spät, nämlich erst elf Minuten vor Schluss, zum Einsatz gekommen. „Natürlich spiele ich lieber von Beginn an", sagte der extrem ehrgeizige 21-Jährige. „Aber okay, der Trainer hat nun einmal so entschieden.“ Und sein Unterton war dabei völlig frei von Ironie, jenem Stilmittel, das ein angefressener Kehl im Bedarfsfall gern als geschliffene Waffe benutzt. Nein, die Worte durften als Anerkennung für ein System gewertet werden, dessen gängiger Fachterminus beim BVB kürzlich noch in das Reich der verbotenen Vokabeln gehörte: Die Rotation, das Zauberwort, ist in Dortmund angekommen. Zwar wird sie von Trainer Matthias Sammer momentan nur sehr sanft, weil noch nicht konsequent in allen Mannschaftsteilen, angewandt, doch ist sie auf Kehls Lieblingsposition schon fast schöne Regelmäßigkeit. Im defensiven Mittelfeld, diesem konditionell äußerst anspruchsvollen Part im modernen Fußball, agierten Kehl und Torsten Frings in den vergangenen Spielen nur noch als Teilzeitkräfte. „Jeder braucht auch seine Pause", sagte Kehl. „Torsten war zuletzt auch zweimal draußen, und wie man gesehen hat, tut das allen ganz gut.“

Abwartend, fast leidenschaftslos

Nun hatten die Dortmunder in Eindhoven wahrlich keine spektakulären Zaubereien abgeliefert. Der Deutsche Meister spielte abwartenden, kühlen, auf den ersten Blick fast leidenschaftslos wirkenden Ergebnis-Fußball. Die Gäste kontrollierten den PSV Eindhoven, dessen Trainer Guus Hiddink angesichts der heiklen Gruppensituation ein „Spiel auf Leben und Tod" angekündigt hatte, und sie kontrollierten diesen Gegner mit der Kälte einer Tiefkühltruhe. Allein die statistischen Werte der von Metzelder, Madouni, Wörns und Dede gebildeten Viererkette sprachen für sich: Die hatte in der ersten Hälfte lediglich zwei brenzlige Situationen zu überstehen. Und auch in der hektischen Schlussviertelstunde, die überhaupt nur so zustande gekommen war, weil Remco van der Schaaf einen „Sonntagsschuss" (Sammer) aus 25 Metern zum Eindhovener Anschlusstor in den rechten Torwinkel platziert hatte, ließ die Abwehr kaum ernsthafte Chancen zu.

Überragend: Rosicky und Lehmann

Wer hinten so gut steht, der wartet in aller Ruhe auf Fehler, und aus haarsträubenden Fehlern der Holländer entstanden dann auch die Dortmunder Tore. So profitierte der an diesem Abend glänzend aufgelegte Rosicky beim 1:0 von einer Schlaftrunkenheit des Dänen Kaspar Bögelund am eigenen Strafraum, das anschließende, präzise Zuspiel brauchte Koller nur noch einzuschieben. Und auch dem vorentscheidenden 2:0 war ein taktisch desolates Abwehrverhalten der holländischen Innenverteidigung vorausgegangen: André Ooijer scheiterte kläglich mit seinem Versuch, dem schnellen Rosicky an der Mittellinie den Ball abzugrätschen. Der Tscheche lief unbedrängt die restlichen 40 Meter weiter zum Tor und schob den Ball aus halblinker Position über die Linie. Und auch das 3:1 durch den eingewechselten Amoroso entsprang nicht einem glänzend herausgespielten Spielzug, sondern einem holländischen Abspielfehler.

Sportdirektor Michael Zorc lobte später vor allem Torhüter Jens Lehmann („Weltklasse“) und Spielmacher Rosicky („sensationell“). Die Leistungen dieser beiden Ausnahmespieler stützen das neue System. Sie sind die beiden Konstanten in der Rotation, alle anderen Egoisten im gut besetzten Kader werden wohl auch in Zukunft zurückstecken müssen. Solange dies „von Erfolg gekrönt ist“, sagte Stefan Reuter, „ist das für die Mannschaft auch nachvollziehbar“. Die Brüchigkeit, das weiß der Dortmunder Mannschaftskapitän, zeigt sich erst im Antlitz der Niederlage.

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