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Christian Lell, 28, spielt seit Sommer 2010 für Hertha BSC. Hier übt er unter Beobachtung von Trainer Michael Skibbe (l.) und Manager Michael Preetz. Der aus der Jugend von Alemannia München stammende Verteidiger war zuvor seit 1998 beim FC Bayern, von dem er von 2004 bis 2006 an den 1. FC Köln ausgeliehen wurde. Seine Verpflichtung war nicht unumstritten. Der ehemalige deutsche U-21-Nationalspieler kam in München ein Jahr lang nicht zum Einsatz und hatte zeitweise psychische Probleme. Foto: dapd

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Sport: „Früher war mir wichtig, was andere dachten“

Christian Lell über sein Image, seine Zeit bei Bayern München und die Vertragsverlängerung bei Hertha BSC “.

Herr Lell, wir wollen Abbitte bei Ihnen leisten.

Abbitte? Wofür?

Als Sie vor anderthalb Jahren nach Berlin gekommen sind, haben wir Sie für einen ganz schrecklichen Menschen gehalten. Inzwischen ist der Eindruck eindeutig positiv.

So ist es halt: Der Ruf eilt einem voraus. Den kann ich nicht dementieren. Will ich auch nicht. Und vor allem will ich nicht mehr dagegen ankämpfen. Wenn sich jemand ein Bild von mir nur aus den Medien macht, ist das in Ordnung. Aber eigentlich sollte man einen Menschen persönlich kennen, um ihn wirklich beurteilen zu können. Wenn man dann immer noch meint, der Lell ist ja tatsächlich so ein Arschloch, so wie überall zu lesen ist – dann kann ich damit gut leben.

Aber jeder Mensch möchte doch positiv wahrgenommen werden.

Früher war es mir extrem wichtig, was andere von mir dachten. Ich wollte einfach ein gutes Image haben. Und was meinen Sie, wie das ist, wenn zum ersten Mal eine richtig negative Geschichte über Sie in der Zeitung steht? Wenn Sie sich ausmalen, dass das jetzt Millionen Menschen gelesen haben und die das natürlich erst einmal glauben? Du betrittst einen Raum und erwartest, dass die Menschen dir eigentlich positiv gegenüberstehen – stattdessen spürst du sofort eine negative Energie. Das kostet enorm viel Kraft. Deswegen verfolge ich die Berichterstattung über Christian Wulff gerade auch sehr intensiv.

Inwiefern?

Ich finde es einfach menschlich, dass der Bundespräsident diese negative Berichterstattung über sich verhindern wollte. Aber ich weiß inzwischen, dass es nichts bringt. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. So etwas kannst du nicht verhindern, du kannst nur lernen, damit umzugehen. Und das kann ich inzwischen.

Sie wirken sehr gelassen.

Das bin ich auch. Ich habe eben alles schon erlebt, in extremen Ausmaßen und in beide Richtungen: positive Schlagzeilen, die dich in den Himmel heben, genauso wie negative, die dich zum Deppen der Nation machen. Mich persönlich kann negative Berichterstattung nicht mehr treffen und auch nicht mehr beeinflussen. Als junger Spieler hängt man sich da viel mehr rein, lässt sich davon auch ablenken. Du musst einfach das gesunde Mittelmaß finden – oder eben für dich entscheiden: Es ist mir egal, was andere denken.

Haben Sie den Wechsel nach Berlin mit Ihrer Vorgeschichte auch als Neuanfang begriffen?

Überhaupt nicht. Für mich gibt es keinen Neuanfang. So denke ich nicht. Ich habe ja vorher auch schon gelebt, und ich nehme das Schicksal so an, wie es ist. Der Wechsel nach Berlin war ein neuer Weg. Mich haben damals auch viele gefragt: Wie kannst du von den Bayern in die Zweite Liga gehen? Für mich war das gar kein Thema. Ich war davon überzeugt, dass das die richtige Abzweigung in meinem Leben ist.

Würden Sie denn sagen, dass Sie sich in den anderthalb Jahren in Berlin verändert haben?

Auch nicht. Oder zumindest nicht wesentlich. Natürlich gewinnt man Lebenserfahrung hinzu, aber im Großen und Ganzen habe ich mich nicht verändert. Und das habe ich auch nicht vor.

Wie sind Sie denn?

Ich bin jemand, der sich in eine Gruppe einbringen kann, der nicht als – in Anführungsstrichen – Ich-AG oder Alphatier auftritt. Ich bin bei Hertha gut integriert, bin Ansprechpartner und verstehe mich mit allen Jungs.

Ist so etwas einfacher bei Hertha BSC als bei Bayern München?

Jein, es ist auf jeden Fall anders. Aber auch bei den Bayern gibt es inzwischen viele junge Spieler. In München geht es viel harmonischer zu als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Der Trend ist: Wir wollen einen guten Teamgeist haben, eine flache Hierarchie und eine harmonische Struktur. Da gab es einen Wandel.

Sie haben bei den Bayern unter lauter Nationalspielern und Superstars gespielt. Haben Sie sich da fußballerisch manchmal überfordert gefühlt?

Nein, ich habe auch in München 30 Saisonspiele gemacht, und da lief es auch gut für die Mannschaft. Wenn man da drinsteckt, macht man sich solche Gedanken überhaupt nicht. Ich habe es so genommen, wie es war. Manches wird einem erst im Rückblick bewusst. Wenn ich jetzt sehe, wie viel über Bayern berichtet wird, wie groß und wichtig dieser Klub ist, da fragt man sich schon mal: Hey, war ich wirklich vier Jahre dabei und habe so im Fokus gestanden? Das habe ich damals gar nicht so realisiert.

Aber als ehemaliger Bayernspieler waren Sie bei Hertha, gerade in der Zweiten Liga, schon etwas Besonderes. Hat das Ihrem Ego geschmeichelt?

Dafür bin ich nicht der Typ. Es ist ganz wichtig, dass man sich nicht zu wichtig nimmt. Ich bin fußballerisch nicht so gesegnet, dass ich mich mit, sagen wir, Raffael vergleichen könnte. Das weiß ich, und das ist auch wichtig, dass ich das weiß. Mir wurde nichts geschenkt. Ich musste mir alles selber erkämpfen. Deswegen habe ich auch nicht die Möglichkeit zu sagen: Ich lass das jetzt mal so ein bisschen laufen.

Wollten Sie sich mit Ihrem Wechsel zu Hertha bewusst abkapseln von München?

Auch nicht. Im Nachhinein hat es sich so entwickelt. Und das war auch sehr gut so.

Sie fliegen also nicht jedes Wochenende nach München?

Anfangs habe ich das gemacht, die Nähe zur Familie und zu den Freunden gesucht. Aber nach zwölf Monaten hat sich das komplett verändert. Wir haben in Berlin ein neues Umfeld aufgebaut, wir fühlen uns zunehmend heimisch. Natürlich ist München ein ganz besonderes Pflaster. Aber ich merke jetzt, dass ich auch woanders ein tolles, zufriedenes, glückliches Leben haben kann. Der sportliche Erfolg hat auch einen großen Teil dazu beigetragen. Alles in allem war es eine gute Entscheidung. Aber ich habe eben nicht gesagt: Ich mache jetzt einen Neuanfang. Oder: Ich muss weg aus München. Es ist aus einem Flow heraus entstanden – ohne dass ich mir bewusst Gedanken darüber gemacht hätte.

Kann ein überzeugter Münchner denn überhaupt zum überzeugten Berliner werden?

Das kann man, weil ich es gerade an mir selbst merke – ohne zu vergessen, dass ich in München aufgewachsen bin und deshalb eine besondere Bindung zu der Stadt habe. Aber München wird mir ja nicht weglaufen, ich kann da immer hin, es gibt fünf Mal am Tag Flüge. Berlin ist wirklich eine Stadt, in der ich mich unheimlich wohl fühle. Ich habe ja auch zwei Jahre in Köln gelebt. Da war es nicht so. Aber Berlin tut mir einfach gut.

Ihr Vertrag bei Hertha läuft noch bis 2013. Stimmt es, dass Sie sich eine vorzeitige Verlängerung vorstellen können?

Ja, es gibt von beiden Seiten Interesse, die Richtung stimmt. Ich spiele da auch mit offenen Karten. Ich muss nicht pokern, von wegen: Es gibt auch andere Angebote. Vielleicht kostet mich das den einen oder anderen Euro, aber das ist mir egal.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

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