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Sport: Fünf Minuten zu viel

Deutsche Handballerinnen unterliegen Norwegen im WM-Halbfinale 30:33 und spielen heute um Bronze

Paris - Die Enttäuschung stand Grit Jurack ins Gesicht geschrieben. Um sie herum tobten noch die 12 000 Zuschauer im Palais Omnisports von Paris-Bercy, aber Jurack nahm das schon nicht mehr wahr: Ganz bei sich, fast wie in Trance, schritt sie mit apathischem Blick durch den eigenen Wurfkreis, trat gegen den Pfosten und ging dann langsam zur Bank, um ihr Gesicht in den Händen zu verschränken. Selbst ihre gute Leistung in der zweiten Halbzeit, als sie acht ihrer zwölf Treffer erzielte und damit entscheidend mithalf, einen Sechs-Tore-Rückstand in einer Führung zu verwandeln, hatte nicht gereicht: Am Ende war das Halbfinale bei der Weltmeisterschaft verloren, mit 30:33 (16:19)-Toren unterlagen die deutschen Handballerinnen gegen Europameister Norwegen.

„Das Spiel war fünf Minuten zu lang“, sagte Jurack, „am Ende hat einfach die Kraft gefehlt.“ Heute (14 Uhr, live bei Eurosport) spielt Deutschland nun gegen Rumänien, das im ersten Halbfinale gegen Titelverteidiger Russland 20:30 verloren hatte, um Bronzemedaille. „Diese Medaille wollen wir jetzt unbedingt“, sagte Bundestrainer Armin Emrich. „Die Mannschaft hat großartig gekämpft. Am Ende haben nur Kleinigkeiten gefehlt.“

Es war vor dem Spiel vieles geschrieben worden über das Duell der Vereinskameradinnen vom dänischen Spitzenklub Viborg HK, der Deutschen Jurack und der norwegischen Torfrau Katrine Lunde Haraldsen. Das erste Zusammentreffen nach 22 Sekunden entschied die Torhüterin für sich, und als die sichtlich nervöse Jurack im zweiten Angriff den Ball ins Seitenaus warf, lag Deutschland nach 100 Sekunden schon 0:2 zurück. Gleich zu Beginn wurde es also knifflig – umso überraschender, dass nun Spielerinnen wie Linksaußen Nadine Härdter oder Anne Müller mit beherzten Einzelaktionen Verantwortung übernahmen. Als Jurack, die zunächst von Riegelhuth eng gedeckt wurde, ihre Freundin erstmals überwand, führte Deutschland 6:5.

Doch der skandinavische Europameister schlug zurück: Vor allem Regisseurin Gro Hammerseng, die sich zunächst mit dem aggressiven deutschen Verteidigung schwer getan hatte, riss nun das Spiel mit Einzelaktionen an sich: Durch ihre zwei Tore lag Deutschland wieder mit 7:8 hinten. Und als nun auch die deutsche Wurfquote schlechter wurde, weil Haraldsen viermal im Duell Frau gegen Frau siegte, konnte der Favorit seine Führung ausbauen. Beim 13:19 (28.) lagen gar sechs Treffer zwischen beiden Teams. In diesen kritischen Situationen wiesen die beiden deutschen Besten Jurack und Welthandballerin Nadine Krause, die trotz ihrer Kapselverletzung im Sprunggelenk spielte, ihre Klasse nach. Zur Pause (16:19) hatte sich das deutsche Team, das die Zeitstrafen des Gegners nun konsequent nutzte, wieder genähert.

In der zweiten Halbzeit wurde es hektisch, es gab eine Vielzahl von technischen Fehlern – aber die deutsche Mannschaft blieb dran. Endlich steigerte sich Sabine Englert im Tor, nachdem sie und Clara Woltering im ersten Abschnitt nur 14 Prozent gehalten hatten. Als Jurack mit einem krachenden Wurf unter die Latte zum 19:21 verkürzte, witterte das Team wieder die Finalchance. Und plötzlich lief Jurack heiß: Der Sprungwurf der 30-Jährigen zum 23:25 war bereits ihr neunter Treffer. Juracks elfter Treffer zum 26:25 in der 48. Minute schließlich ließ die deutschen Fans hoffen.

Nun wurde es dramatisch, beide Mannschaften lieferten sich einen Kampf auf Augenhöhe. Bis zum 29:29 durch die agile Aufbauspielerin Maren Baumbach hatten die deutschen Außenseiterinnen alle Chancen. Doch dann schwanden die Kräfte, auch bei Krause und Jurack, die entschlossenen Norwegerinnen hingegen zogen ihr Tempo noch einmal merklich an. Als Katja Nyberg 90 Sekunden vor der Schlusssirene zum 29:33 einwarf, war der große Traum von der ersten Finalteilnahme der deutschen Frauen seit 1993 endgültig zerplatzt.

Erich Eggers[Paris]

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