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Der FC Bayern dominierte die 51. Saison der Fußball-Bundesliga.

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Fußball-Bilanz: Ein kritischer Rückblick auf die Bundesliga-Saison

Irgendwie komisch, diese Bundesliga-Saison. Einerseits dröge, durch passsüchtige Bayern. Andererseits gab es paranormale Phänomene wie doppelte Bälle. Unser Kolumnist blickt verwundert zurück.

Ballbesitz & Tiki-Taka

Was werden wir unseren Enkeln von der Saison 2013/14 erzählen? Natürlich von Bayern München etwas. Und von neuen Begriffen, die wir damals erlernten. „Ballbesitz“ zum Beispiel. Ich hatte von dem Wort schon mal gehört, wusste aber bis zu dieser Saison nicht, wie wichtig es ist. Die Münchener hatten in ihren Spielen teilweise 108 Prozent Ballbesitz! Wahnsinn! Und da sind die Einwürfe noch gar nicht mitgerechnet! Die Taktik war ein Entwurf ihres neuen Trainers. Ein Mann, von dem es hieß, er sähe aus wie George Clooney und sei schlau wie Hartmut Mehdorn. Oder noch schlauer. Die Taktik ging so: Die Bayern schoben sich den Ball zehn Minuten lang vor dem gegnerischen Strafraum hin und her. Dann erfolgte ein überraschender Pass in die Tiefe und daraus resultierte meistens ein Tor.

Nachdem sie mit dieser Methode sämtliche Spiele gewonnen hatten und schon frühzeitig Meister wurden, erfolgte allerdings ein unerklärlicher Bruch. Sie wurden überheblich wie die dekadenten Spätrömer. Plötzlich war die Liga ihrer nicht mehr würdig und nun ließen sie den Nachwuchs spielen, Bankdrücker, Junioren, Kinder, fragen Sie mich nicht. Der Ball zirkulierte zwar immer noch, aber jetzt die ganze Halbzeit. Was fehlte, war der Pass in die Tiefe. Sie schoben sich das Leder einfach nur noch hin und her. Das hört sich jetzt extrem langweilig an, tatsächlich aber war es unerträglich.

Startrainer Guardiola hatte dafür eine Erklärung. Ein kulturelles Problem! Wir Deutschen kennen die kontrollierte Offensive, den Konterfußball und vieles andere mehr. Aber „Tiki-Taka“ – nicht zu verwechseln mit „Bunga-Bunga“ – sei ein Spielsystem mit Migrationshintergrund, das bei uns noch nicht so richtig angekommen sei. Möglicherweise muss bei Bayern nächste Saison mit spanischen Spielern nachgebessert werden. So erhielt eine zunächst grandiose Saison einige veritable Kratzer. Höhepunkte waren ein tragisches 0:4 in der Champions League und die neue Postadresse ihres ehemaligen Präsidenten.

Das Fußvolk der Liga

Was bei der Dominanz der Bayern völlig übersehen wurde: Es spielten auch andere Mannschaften mit. Dortmund zum Beispiel oder Schalke, die sich beide fingen, in der Rückrunde. Sensationell war, was Augsburg und Mainz ablieferten. Nicht ausgeschlossen, dass sich die Mainzer nach der WM einen neuen Trainer suchen müssen.

Und Hertha?

Für Hertha war in dieser Saison vieles neu. Zum Beispiel, dass sie überhaupt mitspielen durften. Seinen Saisonhöhepunkt erreichte der Aufsteiger sehr frühzeitig, bereits am ersten Spieltag. Durch ein fulminantes 6:1 gegen Frankfurt übernahm man die Tabellenführung! Statistiker suchten nach Belegen, wann es so etwas je gegeben hatte und man stieß auf den Namen Hanne Sobeck. Viele, die den Verein noch von früher kannten, rieben sich verwundert die Augen. Manche sprangen von den Sitzen auf und riefen: „Guckt mal, sie bewegen sich!“ Was für eine Euphorie! Skjelbred, Cigerci und Hosogai liefen wie die Duracell-Häschen, Ramos traf, wie er wollte, und wenn Torwart Kraft an einer Flanke vorbeisprang, köpften Langkamp und Lustenberger den Ball aus der Gefahrenzone. Trainer Luhukay hatte fantastische Arbeit geleistet und die Berliner liebten ihn. Wären im Spätsommer Wahlen gewesen, es wäre eng geworden für Wowereit.

Nach einem unvergesslichen Auswärtssieg in Dortmund schlossen die Berliner die Hinrunde auf einem sensationellen sechsten Platz ab. Dann aber machten sie einen Fehler. Einen schweren Fehler. Sie spielten auch die Rückrunde. Leider. Sie wären besser in den Urlaub gefahren. Die erzielten Punkte der Hinrunde hätten gereicht, um den Abstieg zu verhindern. Die Mannschaft kämpfte zwar noch, aber der Spielaufbau hatte jetzt die Dynamik einer Schildkröte. Bis zum Schluss fand man nicht mehr in die Spur zurück. Gut, einige Spieler waren verletzt, andere standen nicht auf dem Platz, sondern vor dem Arbeitsgericht.

Kann sich etwas an zwei Orten gleichzeitig befinden?

In der Partie Hoffenheim gegen Leverkusen ereignete sich eine der wohl kuriosesten Szenen der Bundesligageschichte. Der Leverkusener Stürmer Kießling köpfte einen Ball neben das Hoffenheimer Tor. Dort sprang er, also der Ball, gegen eine Stange und fand durch ein Loch im Tornetz von der Rückseite den Weg ins Hoffenheimer Gehäuse. Der Schiedsrichter entschied zur Verblüffung aller auf „Tor“. Es kam zu einer Sportgerichtsverhandlung, in der die Justiziare des DFB den Treffer gelten ließen. Sie erklärten, der Ball sei zwar neben das Tor geköpft worden, hätte sich aber aus sportrechtlicher Sicht im Tor befunden. Weil der Schiedsrichter das so gesehen habe.

Im Fußball kann sich also ein Ball im Tor sowie neben dem Tor befinden. Und zwar gleichzeitig! Das war physikalisch als auch philosophisch einigermaßen verwirrend. Noch verwirrender war allerdings, warum der DFB die Fehlentscheidung nicht korrigieren wollte. Es hieß, damit würde die Autorität der Schiedsrichter untergraben werden. Hier klammerte sich der DFB an einen Begriff von Autorität, mit dem sich eigentlich Historiker beschäftigen.

Es hieß dann sogar, dem DFB seien die Hände gebunden, er folge hier nur den Fifa-Statuten und es drohten Sanktionen, würde man dem irregulären Treffer die Anerkennung verweigern. Schließlich gab es Gerüchte, Deutschland könne von der WM ausgeschlossen werden. Ich muss schon sagen, eigentlich schade, dass es dazu nicht gekommen ist. Stellen Sie sich das einmal vor! Deutschland wäre von der Weltmeisterschaft ausgeschlossen worden, weil wir uns weigerten, anzuerkennen, dass sich ein aufgepumptes Stück Leder an zwei Orten gleichzeitig befinden kann. Ich glaube, wäre Galileo Galilei Fußballer gewesen – er hätte auch Probleme mit der Fifa und dem DFB bekommen.

Das Prinzip „Romantik“

Es gibt wohl niemanden, der Eintracht Braunschweig nicht den Verbleib in der ersten Liga gewünscht hat. Eine Mannschaft mit einem Etat, für den Pep Guardiola nicht mal einen katalanischen Außenverteidiger finden würde. Ein Team, das den unerbittlichen Leistungskampf des Profisports mit einem lässigen Understatement unterlief. Wir brauchen keine Siege, wir wissen auch so, dass wir gut sind, lautete das Credo der sympathischen Braunschweiger. Mit dieser lebensklugen Haltung des „romantischen Weges“ (Trainer Lieberknecht) sortierten sie sich schon frühzeitig auf dem letzten Ligaplatz ein und alles schien gut. Problematisch wurde es erst, als sich zwei Mannschaften fanden, die mit aller Macht darauf drängten, den Braunschweigern diesen letzten Platz streitig zu machen: Nürnberg und Hamburg.

Es entwickelte sich ein kurioser Dreikampf, in dem jedes Team versuchte, die Leistungen der jeweils anderen durch eine noch größere Niederlagenserie zu unterbieten. Das nahm den Braunschweigern etwas die Leichtigkeit ihres romantischen Daseins. Diese Konstellation blieb bis zum letzten Spieltag erhalten. Nach dem Gesetz der Serie müssten alle drei auch ihr letztes Spiel verlieren. Trotzdem können nur zwei von ihnen direkt absteigen. Das mag hart erscheinen, aber so sind die Regeln. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die Romantik Braunschweigs in Paderborn weiterlebt. Oder geschieht am letzten Spieltag doch noch das große romantische Wunder?

Das Fazit

Alles in allem, was war das für eine Saison? Nun – zwar war die Meisterschaft schon sehr früh entschieden, aber dafür entwickelte auch der Abstiegskampf keine rechte Spannung. Wenn ich also die Spielzeit 2013/14 in einer knappen Formulierung zusammenfassen sollte, würde ich mich entscheiden für ein vorbehaltloses: na ja.

Der Berliner Kabarettist Frank Lüdecke kommentiert sonst jeden Montag für den Tagesspiegel die Spieltage der Fußball-Bundesliga

Frank Lüdecke

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