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Sport: Fußball-Bundesliga: Das Tor des Negerkindes

Die siebte Flanke passte. Sie kam von rechts, endlich einmal hatte der Außenstürmer das richtige Gefühl gehabt.

Die siebte Flanke passte. Sie kam von rechts, endlich einmal hatte der Außenstürmer das richtige Gefühl gehabt. Er hatte den Verteidiger ausgespielt und lief nun unbedrängt an der Außenlinie entlang. Dann schaute er, rief und schlug den Ball nach innen. Das hatte er sechsmal zuvor auch schon so gemacht, aber immer war der Ball entweder zu hoch gekommen, zu flach, zu scharf, zu weich, wurde Beute des Torwarts oder landete im Aus. Der Außenstürmer sah die Sache natürlich anders, maulte, der Mittelstürmer springe zu spät oder zu früh, laufe zu schnell oder zu langsam, schätze die Flugbahn des Balles falsch ein.

Jetzt aber passte alles. Der Ball hatte den Fuß des Außenstürmers verlassen und war angestiegen. Zeit genug für den Mittelstürmer, einen Plan zu fassen. Er werde, so dachte er blitzschnell, den Ball nach unten drücken und den eigentlich unüberwindlichen Torwart mit einem Aufsetzer überwinden. In einem langen Bogen drehte sich der Ball ein wenig vom Tor weg, und als er einen Augenblick auf Höhe des kurzen Pfostens seine Flugbahn beibehielt, bevor er zu sinken begann, war ich, der Mittelstürmer, zur Stelle. Noch im Lauf sprang ich hoch, gewann durch den Schwung die entscheidenden Zentimeter, sah den Ball näher kommen, spürte, wusste, dass ich ihn diesmal erwischen würde. Im Sprung bog ich den Oberkörper nach hinten. Dann, der Ball stand vor meiner Stirn in der Luft, klappte ich mich in der Mitte zusammen. Die Beine schnellten nach vorn, die Brust, der Kopf, mit ihm die Stirn. Mit der ganzen Wucht meines Körpers traf ich die schwere Lederkugel. Alles trat ein wie geplant. Von meinem Kopf prallte der Ball zu Boden, landete kurz vor der Torlinie, knapp links neben dem rechten Pfosten. Doch irgendwie war dieser Teufelskerl im Tor ins Eck gewischt, ich sah ihn schon wieder grinsen, den Ball unter sich begraben. Aber ich hatte ja zu einem Aufsetzer angesetzt. Das hatte der Irrwisch zwischen den Pfosten nicht bedacht. Leichtsinnig geworden durch seine vorherigen Großtaten, vergaß er, den Ausfallwinkel zu berücksichtigen. Er lag in der richtigen Ecke, das ja. Doch der Ball, dirigiert von meinem Willen und meiner Stirn, verhöhnte ihn. Kurz vor dem Torwart sprang er in den Staub, erhob sich sofort wieder, viel schneller, als der Torwart mit seinen Greifarmen zupacken konnte, und hüpfte fast fröhlich über den Hilflosen am Boden hinweg.

Ins Tor.

Was für ein Tor!

So kam ich zum Fußball.

F luchen, wie Fußballer eben fluchen

Das war an einem heißen Sommertag, irgendwann Anfang der Sechziger. Es muss heiß gewesen sein, denn ich hatte kurze Hosen an und ein kurzärmeliges Hemd. Niemals hätte Mutter erlaubt, dass ich an kühlen Tagen so rumgelaufen wäre. Mutter war sehr besorgt und deswegen froh, dass mein erster Spielplatz, ich meine, mein erster Spielplatz, zu dem ich allein und gern ging, schräg gegenüber der Wohnung lag. So konnte sie immer mal wieder einen Blick werfen.

Bis dahin waren die Spielplätze für mich allesamt ungeeignet gewesen. Überall standen Klettergerüste, in denen sich der Ball verfing, Schaukeln, die jede Flanke zunichte machten, Sandkästen, in denen der Ball liegen blieb. Und überall wachten Mütter. Es war furchtbar peinlich, vor denen zu jubeln wie die Großen, blöd zu gucken und ins Tor zu treffen wie etwa Peter Meyer und zu fluchen, wie Fußballer eben fluchen, wenn sie sieben oder acht sind und Fußballer sein wollen. Und den Gegner verhauen durfte man auch nicht.

Dann allerdings zogen wir um, von Derendorf nach Bilk, und dieser neue Spielplatz war eine weite Welt. Eigentlich war er nur eine Brache, eine freie Fläche, ein Trümmergrundstück, etwa vier Fußballfelder groß, geräumt vom Schutt, eingegrenzt an einer Seite von einer Brandmauer und an den anderen von einer Art Koppelzaun mit einem Durchlass für Autos. In einer Ecke lagerten Pflastersteine, Tausende teerverschmierte Pflastersteine. Warum, weiß ich nicht, aber es war gut, dass sie dort waren, denn wir konnten uns daraus ein Spielfeld legen. Die Mittellinie und die Linien für den Strafraum kerbten wir mit der Ferse in den Sand, die Steine schleppten wir für die Außenlinien und Torpfosten heran. Es war eine höllische Arbeit, aber sie lohnte sich. Manchmal muss man sich eben mühen für so ein Kopfballtor.

Der Heimweg, obwohl nur 300 Meter lang, geriet zum Triumphzug. Erwachsene, die uns begegneten, lachten, schauten uns nach, schüttelten die Köpfe. Die Nachbarjungs schlugen mir auf die Schulter. "Klasse Tor!" sagten sie, und selbst der Rechtsaußen, in der Überzeugung, durch seine Flanke zur Hälfte daran beteiligt gewesen zu sein, jubelte mit. Ich war der Meinung, sein Beitrag sei marginal gewesen, aber das sagte ich ihm nicht. Im Moment des Erfolgs ist es leicht, freigebig zu sein. Auch war er größer.

Vom Balkon aus warf die Mutter mal wieder einen Blick. Dann schrie sie auf. Der Triumphzug war zu Ende.

Als ich im zweiten Stock angekommen war, schrie Mutter immer noch, zerrte mich vor den Spiegel, wo ich den Grund für ihre Aufregung sah. Ich war ein Negerkind geworden: schwarz die Beine, die Arme, die Hände, das Gesicht, auch Hose und Hemd. Der Teer war nicht an den Pflastersteinen geblieben, als wir aus ihnen ein Spielfeld geformt hatten. Wir schauten alle so aus, gemerkt hatten wir es nicht. Man kann daraus durchaus die Lehre ziehen, dass der Fußball einen die Wirklichkeit vergessen lässt.

Und dann stand ich in der Badewanne. Nackt, mit sieben, acht Jahren. Mutter, immer noch wütend, vor mir, mit Margarine in der Hand. Von Kopf bis Fuß rieb sie mich ein mit diesem stinkenden Zeug. Das vertrieb den Teer, nicht aber die Schmach. Ich, der Held des Strafraums, dem schon bald die Massen zujubeln würden, ich, nackt in der Wanne, nackt vor der Mutter und der älteren Schwester, gedemütigt also von der ganzen Welt.

Immerhin, später im Bett, als der Margarinegestank sich langsam verzog, siegte der Triumph doch. Kurz vor dem Einschlafen schoss ich noch drei Tore, zwei mit dem Kopf auf ähnliche Weise wie am Nachmittag, eins per Fallrückzieher. Mit den jubelnden Massen wurde es später trotzdem nichts. Aber dass Fußball nicht einfach nur ein Spiel ist wie Federball oder der in der Schule erlittene Völkerball, das habe ich damals begriffen.

Im Übrigen stand ich mit dieser Einschätzung keineswegs allein in der Republik. Ein Großteil der Bevölkerung war durchaus der Meinung, dass Fußball nicht bloß ein unterhaltsamer Spaß sei, was zum Beispiel darin zum Ausdruck kam, dass der Vater ganz begeistert erzählte, wie Tausende der Fortuna Düsseldorf und insbesondere Peter Meyer, "dem Pitter", zugejubelt hätten, als der auf einem Schimmel durch die Altstadt geritten sei. Der Pitter war ein wunderbarer Mittelstürmer, nicht gerade der Kopf der Mannschaft, doch das, was man höflich einen treffsicheren Instinktfußballer nennt. Später wechselte der Pitter nach Mönchengladbach, ließ sich von Günter Netzer Vorlagen geben, wurde Torschützenkönig, Nationalspieler gar, brach sich ein Bein und wurde vergessen. Triumph und Niederlage sind eben Geschwister.

Allerdings erzählte der Vater von seiner Begeisterung nur daheim, weil der Junge ja so einen Spaß am Fußball hatte. Ansonsten arbeitete er bei Mannesmann in der Werkszeitung und nebenbei als lokaler Theaterkritiker für eine Tageszeitung. Und in dieser Welt kam Fußball dann doch nicht vor. In dieser Welt war Fußball Proletensport, zu dem man sich allenfalls heimlich und öffentlich nur zu besonderen Anlässen bekannte. Etwa 1954, als, wie der Vater berichtete, Menschenmassen vor Radiogeschäften standen und zuhörten, wie Helmut Rahn das 3:2 gegen Ungarn erzielte und anschließend alle, auch er, mächtig stolz waren, weil Deutschland wieder obenauf war nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft. Oder andersrum, wenn dieses Deutschland gedemütigt wurde, zum Beispiel 1958, als die Schweden das deutsche Team auf rüde Weise aus der Weltmeisterschaft kickten. Da habe man kein Schwede sein dürfen auf der Durchreise durch Deutschland; selbst der Vater und seine gebildeten Freunde fanden Schweden, wie Jahre später auf einem Fest bei uns zu Hause nach mehreren Bieren für die Erwachsenen rauskam, kurzzeitig nicht mehr so toll. Aber als es spannend wurde für mich und sie sich über den Platzverweis des Erich Juskowiak zu ereifern begannen, da merkte der Feuilleton-Chef eines Lokalblattes an, man sei doch wohl schon reichlich betrunken, wenn nun Fußball das Thema sein solle.

Bei uns daheim ging es nicht wirklich großbürgerlich zu, aber immerhin gab es ein gutbestücktes Bücherregal, und darin stand ein Foto von Gottfried Benn, dem Lieblingsdichter des Vaters. Aus beidem leitete sich ein gewisser Anspruch ab, und in dem hatte Fußball keinen Platz. Fußballer werden? Nein, sagte die Mutter, das schlag dir aus dem Kopf, Fußballer, die sind dumm, "von denen war doch keiner auf der Schule". Was bei uns den Gymnasiumsbesuch meinte.

Meine Mutter hatte andere Sorgen. Solche, wie sie zum Beispiel am 22. November 1963 zutage traten. Die Eltern waren bei Nachbarn fernsehen, und ich durfte im Zimmer und im Bett der Schwester schlafen, wie immer, wenn die Eltern ausgingen. Mitten in der Nacht weckte Mutter uns und hatte Tränen in den Augen. "Kennedy ist ermordet worden. Jetzt gibt es den dritten Weltkrieg." John F. Kennedy hatte im Sommer 1962 vor 400 000 Berlinern behauptet, auch ein Berliner zu sein, und wurde, weil der Vater tatsächlich in Berlin geboren worden war, bei uns zu Hause besonders verehrt und wie überall im Lande erstaunlicherweise als Garant des Weltfriedens angesehen.

Angesichts der Ungeheuerlichkeit, dass Fortuna in der drei Monate zuvor gestarteten neuen Bundesliga nicht dabei war, kam mir Mutters Angst doch eher unerheblich vor. Wie ich später lernte, besaßen die USA andererseits um diese Zeit herum 475 einsatzfähige Interkontinentalraketen und reichte der Kernwaffenvorrat der Atommächte schon damals aus, 200 Großstädte der Erde 1200-mal zu pulverisieren. Rückblickend kann ich also die Anspannung der Erwachsenen durchaus verstehen. Obwohl - vielleicht war ja die Angst der Großen und die Lust, sich davon abzulenken, einer der Gründe, warum in dieser Zeit die Bundesliga eingeführt wurde.

Und doch. Wie konnten die Gründer der Bundesliga die Fortuna übergehen? Wie konnten sie sie ignorieren bei der Auswahl der 16 besten Klubs des Landes? Aufgenommen war der 1. FC Köln, was, so weit war meine rheinische Sozialisation bereits gediehen, für Düsseldorfer ohnehin schon mal unhaltbar sein musste. Dann der Meidericher SV, was insofern in Ordnung ging, als Duisburg in meinem Bewusstsein irgendwie zu Düsseldorf gehörte, denn es konnte mit der Straßenbahn erreicht werden. Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund, der VfB Stuttgart und der Hamburger SV, dagegen war nichts zu sagen, auch 1860 München wurde akzeptiert wie natürlich Schalke 04, Hertha BSC, der 1. FC Nürnberg und der 1. FC Kaiserslautern. Von allen hatte ich ja schon etwas gehört, was aber, bitte schön, konnten Eintracht Braunschweig, Preußen Münster, der 1. FC Saarbrücken, der Karlsruher SC oder gar Werder Bremen, was Fortuna nicht konnte? Mein Gott, Werder Bremen.

Ehre, Ruhm, Heimat, so was halt

Auch anderenorts gab es Empörung über die Zusammenstellung der neuen Liga. Alemannia Aachen, Kickers Offenbach und der FK Pirmasens wollten sogar vom Gericht klären lassen, ob ihre Nichtaufnahme rechtlich haltbar sei. Das ging so weit, dass der erste Spieltag gefährdet war. Woraufhin Eintracht Braunschweig und der Karlsruher SC Regressansprüche ankündigten, sollte sich der Start verzögern. Es ging um Geld, was aber nur Franz Krämer, der Vorsitzende des 1. FC Köln, offen zugab: "Selbst wenn man das Recht der Klubs anerkennen würde", gemeint waren Aachen und Offenbach, "sollten sie das allein mit dem DFB bereinigen. Ein Prozess kann sich über Monate hinziehen. So lange müssten die Vereine mit dem Start der Bundesliga warten. Woher sollen sie das Geld nehmen, um die Spieler zu bezahlen?" Woran man sieht, dass die Motive der Aachener und Offenbacher grundsätzlich anderer Natur waren als die meiner Empörung. Irgendwie viel niederer und unbedeutender. Geld, gute Güte! Mir ging es um Ehre, Ruhm, Heimat, so was halt.

Am Ende allerdings zählte das nicht viel. Was zählte, war, dass die Bundesliga im August 1963 angepfiffen werden sollte - ohne Fortuna, aber das sagte ich wohl schon - und dass die Gründerväter von einer neuen Ehrlichkeit träumten, die allerdings schon vor dem ersten Spieltag ein wenig in Vergessenheit geriet. Mutter war ja immer schon der Meinung gewesen, dass die Fußballer fürs Nichtstun viel zu viel Geld bekämen. Sie war in diesem Punkt ihrer Zeit weit voraus, wenn auch etwas unfair. Ich war durchaus der Meinung, dass die Fußballer etwas für ihr Geld taten. Außerdem gab es ja Regularien, wonach in den fünf Oberligen, in denen sich der Fußballbetrieb vor der Bundesliga abspielte, Gehälter und Prämien 400 Mark monatlich nicht überschreiten durften. Gewiss, das war gar nicht so wenig, wenn man bedenkt, dass Wohnungsbauminister Paul Lücke, wie Mutter sagte, höchstselbst Anzeige wegen Wucherei gegen einen Hausbesitzer aus Schleswig-Holstein erstattet hatte, weil der den Mietzins für eine 32 Quadratmeter große Wohnug von 44,60 Mark auf 184,70 anheben wollte. Man kam also in diesen Tagen mit 400 zusätzlichen Mark im Monat durchaus über die Runden und stand damit in gesunder Relation etwa zu den 20 000 Mark, die der 1. FC Kaiserslautern 1963 an Werbe- und Fernsehhonoraren einnahm. Aber selbst dem überaus stimmigen Argument des Vaters, dass die Fußballer-Gehälter doch ein Klacks seien gegen die 200 000 Mark, die die Zeitschrift "Quick" gerade für die Memoiren von Soraya, der Kaiserin von Persien, bezahlt habe, war Mutter nicht zugänglich.

Sie lag ja auch nicht ganz falsch mit ihrer Skepsis. Denn dass die Gehaltsobergrenze von 400 Mark nicht überschritten wurde, glaubte ohnehin keiner, und 16 Klubs der Republik mussten denn auch bald vor dem DFB ihre verbotene Handgeld-Praxis offenlegen. Schalke 04 vorneweg, wo man sozusagen übertarifliche Zuschläge von 283 000 Mark an die Spieler bezahlt hatte, die wiederum vergaßen, die Zuschläge beim Finanzamt anzugeben. Oder der weitgehend unbekannt gebliebene Willy Schröder, der schon 1953 von Werder Bremen zum Hamburger SV hatte wechseln wollen, ein im Grunde voll und ganz verständliches Vorhaben, das aber platzte, weil er dafür 15 000 Mark Handgeld verlangte. Nicht einmal Fritz Walter, der Kapitän der Weltmeisterelf und damit der Heilige des deutschen Fußballs, konnte den Verlockungen widerstehen. Eigentlich wollte er 1957 zu Atletico Madrid wechseln, was ihm 225 000 Mark Handgeld und ein Monatsgehalt von 6000 Mark gebracht hätte. Aber Walter, dessen Weltläufigkeit sich in Italia, dem Vornamen seiner Gattin, erschöpfte, blieb am Ende doch in der Pfalz. Erleichtert wurde ihm die Bodenständigkeit durch 45 000 Mark, die ihm der Verein als Darlehen für eine Wäscherei und ein Kino gewährte.

Es wurde also gemauschelt und betrogen, was auch nicht weiter verwundern müsse, meinte Vater, weil ja etwa in der Affäre um die Fibag-Bau AG und um Verteidigungsminister Franz Josef Strauß im Jahre 1960 und in vielen anderen Skandalen der Republik ebenfalls gemauschelt und betrogen worden sei und der Fußball nur der vorherrschenden Stimmung folge. Demnach ist eher unwahrscheinlich, dass die 129 Delegierten, die sich am 28. Juli 1962 im Dortmunder Hotel "Westfalenhalle" zum Bundestag des Deutschen Fußball-Bundes einfanden, um die Gründung der Bundesliga zu beschließen, wirklich daran glaubten, dass nun endlich - wenigstens im Fußball - Schluss sei mit der Undurchsichtigkeit.

Die 54er waren schon Mythen

Zumal es ja mehr um den Zustand der fußballerischen Nation ging. Und der war zuletzt keineswegs so munter wie die allgemeine Gefühlslage im Lande, wo der Wohlstand sich mehrte und die Urlaubsreisen nach Italien und Spanien sich häuften. Die Weltmeister von 1954 waren bereits Mythos geworden, international war die Mannschaft von Bundestrainer Sepp Herberger kaum noch konkurrenzfähig, national der Oberligabetrieb sportlich wenig förderlich und trotz aller Schwarzgelder für die Spieler finanziell wesentlich unattraktiver als die Ligen des Auslands. Die Nationalspieler Horst Szymaniak, Klaus Stürmer, Helmut Haller und Albert Brülls waren schon in Italien, Charly Schulz und Karl-Heinz Schnellinger standen in Verhandlungen. Eine konzentrierte Liga mit allwöchentlichen Begegnungen der Besten sollte den Geldfluss beschleunigen und das Niveau heben.

Um 17.14 Uhr wurde abgestimmt: Zwei Stimmen waren ungültig, 26 Delegierte dagegen, 103 DFB-Bundestagsabgeordnete votierten für die neue Liga. Als Aufnahmekriterien dienten die sportliche Qualifikation aus den vergangenen zehn Jahren und die aktuelle wirtschaftliche Lage des Klubs. Der geplante Finanzhaushalt sah vor, dass Ablösesummen 50 000 Mark nicht überschreiten sollten, dabei war an Spitzenkräfte gedacht. Maximal zehn Prozent durften die Spieler für sich behalten, und wer zwei Jahre Vereinstreue bewies, strich eine Treueprämie von bis zu 5000 Mark ein. Des weiteren war geregelt, dass ein Spieler bei 500 Mark Bruttogehalt plus Prämien nicht über 1200 Mark im Monat verdiente.

Schalke 04, natürlich Schalke 04

Die Republik ihrerseits war ja, wie Vater sagte, auch schon in Europa angekommen, ebenfalls in der Überzeugung, dass Regeln nur unverbindliche Vorschläge seien. Die Gehaltsregeln etwa der Bundesliga. Sie war nämlich noch gar nicht angepfiffen, da fiel Schalke 04, natürlich Schalke 04, unangenehm auf. Der Klub, für dessen undurchsichtiges Finanzgebaren sich schon in den dreißiger Jahren ein Schatzmeister voller Scham in die ortsnahe Emscher und dadurch in den Tod gestürzt hatte, hatte dem Karlsruher SC den Nationalspieler Günter Herrmann abgekauft. Für 50 000 Mark, was den Regeln entsprach. Dann legte der Verein noch mal 50 000 Mark dazu und bekam Hans-Georg Lambert, einen Spieler, für den die Bezeichnung Talent doch etwas beschönigend war. Lambert spielte genau einmal, und das ließ die Kontrollinstanz beim DFB naheliegenderweise vermuten, dass Schalke für Nationalspieler Herrmann 100 000 Mark hingeblättert hatte und Lambert nichts weiter als eine täuschende Dreingabe war.

Auch Engelbert Kraus mochte die neuen Regeln nicht akzeptieren. Der gute Mann spielte bei 1860 München und wollte zum Karlsruher SC. 100 000 Mark erhielt er für den Transfer - und, nachdem das ruchbar geworden war, noch acht Monate Sperre dazu. Immerhin hatte er eine triftige Entschuldigung für die frevelhafte Tat parat: "Ich habe das Statut doch gar nicht gelesen."

Christian Netzer hatte. Der hatte mit dem damaligen Regionalligisten Borussia Mönchengladbach einen recht bescheiden aussehenden Vertrag für seinen Sohn Günter ausgehandelt. Am 19. Juli 1963 unterschrieb der 18-jährige Junioren-Nationalspieler den Kontrakt mit dem Grundgehalt von 160 Mark pro Monat plus einer Spielzulage von zehn Mark pro Einsatz. Das für einen jungen Mann üppige Handgeld reichte allerdings schon damals für einen ersten Ferrari: 50 000 Mark.

Aus meiner Sicht ging dieser Verbindung von Netzer und Borussia Mönchengladbach im Übrigen eine weitere ungeheure Ungerechtigkeit voraus. Netzer war sich nämlich längst mit meiner Fortuna einig gewesen. An einem Samstag sollte der Vertrag unterschrieben werden, doch erschien der damalige Fortuna-Präsident Bruno Recht nicht rechtzeitig am vereinbarten Treffpunkt. Eine unfassbare Schlamperei: Mit ein wenig mehr Pünktlichkeit wäre die Geschichte des Fußballs, die Geschichte der Bundesliga und selbst die der Republik völlig anders verlaufen. Fortuna, meine Fortuna, hätte im Zentrum gestanden. Was diesem Präsidenten, diesem Bruno Recht, gebührt, sei besser verschwiegen, nur so viel: Ginge es gerecht zu in der Welt, hätte dieser Herr niemals mehr Düsseldorfer Boden betreten dürfen.

Aber es geht eben nicht gerecht zu in der Welt. Anderenfalls wären die Fortunen und ich dabei gewesen an jenem 24. August 1963, als Timo Konietzka für Borussia Dortmund im Bremer Weserstadion gegen Werder das erste Tor der Bundesliga schoss. Wenigstens ging es gegen Werder, wenigstens das, auch wenn die Liga fernsehtechnisch noch nicht ganz auf der Höhe war, die Kameraleute vergessen hatten, einen Film einzulegen, und es daher kein Dokument von diesem historischen Treffer gibt.

Wirklich trösten konnte mich das Tor gegen Werder allerdings nicht: Am Ende gewann Bremen 3:2. Objektiv gesehen begann die Bundesliga also ziemlich blöd für mich. Ich hätte ihr den Rücken zukehren sollen.

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