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Sport: Fußball, der Falten schlägt

Herthas Trainer Lucien Favre ist in Berlin noch nicht richtig glücklich geworden

Berlin - „HSV – oh!“ Lucien Favre wirft die Arme in die Luft, und jetzt könnte eigentlich ein längerer Vortrag über den heutigen Gegner von Hertha BSC folgen. Aber der Fußballlehrer Favre lässt die Arme schnell fallen, er sagt, die Hamburger hätten „eine gute Mannschaft, aber wir müssen keine Angst haben“. Das erzählt er über so ziemlich jeden Gegner, aber wer Favre genauer beobachtet, der interpretiert in diese Floskeln mit jeder Woche mehr Realismus und weniger Höflichkeit. Dann erwähnt er noch, dass Hertha auswärts schon einmal in dieser Saison gewonnen hat und die vier Niederlagen in der Fremde stets nur mit einem Tor Differenz zustande kamen. Eine Bilanz so bescheiden wie der Fußball, den die Berliner zuletzt gespielt haben.

Gestern ist Lucien Favre 50 Jahre alt geworden. Als er Anfang Juni zum Antrittsbesuch nach Berlin kam, wirkte er so jugendlich-frisch, als wolle er das Personal nicht als Trainer anleiten, sondern selbst noch mitspielen in der Bundesliga. Der Schweizer Meistertrainer, unter einigen Mühen losgeeist vom FC Zürich, war Herthas charmantes Versprechen auf eine sportlich bessere Zukunft.

Ist das wirklich erst fünf Monate her? Favres Teint ist bleicher geworden, das Haar wirkt grauer. Beides kann an der Jahreszeit liegen, im November strahlt keiner wie im Juni. Aber die Falten auf der Stirn, die waren damals noch nicht zu sehen. Es sind genau fünf, und wenn er spricht, graben sie sich wie Narben in seine Haut. Favre spricht nicht viel, und wenn doch, dann spielt er mit seinen Finger, sie verhaken sich ineinander wie die Worte seines Vortrags. Richtig glücklich ist er in Berlin noch nicht geworden.

Vor ein paar Monaten schaute einmal Arsene Wenger bei einem Testspiel der Herthaner vorbei. Der Trainer des FC Arsenal stand auf einer Traverse, als Favre ihm vom Rasen kommend die Hand gab. Weil der Berliner Schweizer ein paar Stufen tiefer stand, musste er den Blick nach oben richten, was der Szene einen Hauch von Ehrfürchtigkeit verlieh.

Wenger ist Favres großes Vorbild. Er bewundert den One-Touch-Football, den der Elsässer in London spielen lässt. Dabei berührt jeder Spieler im Optimalfall den Ball nur einmal, die Laufwege sind perfekt aufeinander abgestimmt, und manchmal geht es so schnell, dass die Fernsehkameras kaum mitkommen. Der One-Touch-Football gilt als neuer Stil der Premier League, aber er funktioniert eigentlich nur bei Arsenal. Für Liverpool ist er zu schnell, Chelsea und Manchester United spielen andere Systeme. Und wenn sich minder begabte Mannschaften wie etwa Tottenham Hotspur (wo der frühere Herthaner Kevin-Prince Boateng seinen Vertrag auf der Tribüne absitzt) am schnellen Direktspiel versuchen, schaut man lieber nicht so genau hin.

Es handelt sich also um eine anspruchsvolle Variante des Spiels, Favre würde sie dennoch gern in Berlin spielen lassen. Wie soll das funktionieren mit Spielern, die oft schon beim gemäßigten Bundesligatempo überfordert wirken? Vor seinem Engagement in Berlin hat Favre Hertha auf unzähligen DVDs studiert, er wusste, worauf er sich einlässt. Er hat den Verkauf der Boateng-Brüder hingenommen, die Ausmusterung des Abwehrchefs van Burik fand seine Zustimmung, er war auch nicht gegen den Verkauf von Torjäger Gimenez. Favre hat wohl darauf gehofft, in der knapp bemessenen Transferperiode eine neue Mannschaft zusammenzustellen. Der „Neuen Zürcher Zeitung“ hat er mal gesagt: „Die Transfers und die Mischung im Team entscheiden 85 Prozent. Wenn Sie dort gut arbeiten, ist der Trainer nicht mehr so wichtig.“

Die Momentaufnahme im November 2007 deutet an, dass Hertha eher suboptimal gearbeitet hat. Manager Dieter Hoeneß mag noch keine Bilanz ziehen, „das tun wir in der Winterpause“. Am ehesten genügt noch Steve von Bergen Favres Ansprüchen, er hat ihn ja auch zwei Jahre lang in Zürich angelernt. Fabian Lustenberger hat bislang zehn Minuten gespielt, Favre nennt ihn „eine Investition in die Zukunft“. Tobias Grahn kann viel am Ball, wirkt aber gedanklich zu langsam, als dass er One-Touch-Football spielen könnte. Favre hat seine Verpflichtung mehr akzeptiert denn gewollt. Ähnlich verhält es sich mit Andre Lima, der nach den bisherigen Eindrücken nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Beinen nicht schnell genug für die Liga ist. Sein brasilianischer Landsmann Lucio fällt wohl für den Rest der Saison aus.

Favre hätte gern andere geholt. Spieler, die One-Touch-Football beherrschen. Flinke Burschen wie den Brasilianer Raffael, den er in Zürich zum besten Stürmer im Schweizer Fußball gemacht hat. Es heißt, Favre liege den verantwortlichen schon seit Wochen in den Ohren mit dem Wunsch, zur Transferperiode im Winter noch zwei, drei neue Leute zu holen.

Zwei Tage vor dem Spiel beim HSV hat Dieter Hoeneß seinem Trainer erzählt, wie er vor ein paar Jahren den kroatischen Nationalspieler Ivica Olic unter falschem Namen in Berlin mittrainieren ließ, um dessen Verpflichtung nicht durch zu viel Anteilnahme der Öffentlichkeit zu gefährden. „Ha, die Journalisten dachten alle, der heiße Dikic, aber das war nur der Name seines Beraters.“ Hoeneß lacht, Favre nickt höflich. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Olic hat nur zweimal für Hertha gespielt. In dieser Saison hat er in elf Spielen schon vier Tore geschossen. Ivica Olic spielt jetzt beim Hamburger SV, dem Tabellenzweiten, vor dem Lucien Favre heute keine Angst haben will.

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