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Islands Eidur Gudjohnsen - sein Vorbild ist sein Vater.

© dpa

Fußball-EM 2016 - Island ist dabei: „Die Deutschen dachten, wir sind Kanonenfutter“

Islands spielende Legende Eidur Gudjohnsen über Völlers Wutausbruch, den Fußball in seiner Heimat zwischen Klischee und Wahrheit sowie sein Comeback im Nationalteam.

Herr Gudjohnsen, Sie haben die Primera Division, die Premier League und die Champions League gewonnen. Welchen Stellenwert hat die EM-Qualifikation mit Island?

Sie fühlt sich beinahe wie ein Titel an. Auch weil Island das kleinste Land ist, das je an einer EM teilgenommen hat.

Sie hatten 2013 unter Tränen Ihren Rücktritt aus der Nationalelf erklärt. Wieso sind Sie jetzt wieder dabei?

Das war kurz nach dem Aus in den WM-Play-offs gegen Kroatien. Die Niederlage war so bitter, denn wir hatten die WM um Haaresbreite verpasst. In diesem Moment fiel alles ab, und ich glaubte, dass es mein letztes Spiel für Island gewesen sein könnte. Dass ich meine letzte Chance verpasst hatte, mal bei einem großen Turnier mitzuspielen.

Sie waren zu dem Zeitpunkt bereits 35 Jahre alt.

Aber ich fühlte mich eigentlich noch fit. Kurze Zeit später wechselte ich zu den Bolton Wanderers, machte gute Spiele und eines Tages überredete Heimir Hallgrimsson (gemeinsam mit Lars Lagerbäck Trainer Islands, d. Red.) mich zu einem Comeback.

Island hat gerade mal 320.000 Einwohner. Ist die EM-Qualifikation ein Wunder?

Nein. Island hat im Fußball große Schritte gemacht, gerade im Bereich der Infrastruktur hat sich eine Menge getan, was einen enormen Einfluss auf die jüngere Generation hat. Die Kinder können heutzutage täglich in großen Fußballhallen trainieren und spielen – auch im tiefsten Winter. Dadurch haben sie ein besseres Spielverständnis.

Und durch das Wetter sind die Isländer robuster?

Durchaus. Außerdem haben wir immer eine gute Einstellung zum Spiel. Wir sind Kämpfer. Nicht nur im Fußball.

Nerven Sie eigentlich diese ständigen Fragen nach dem Wetter oder der Einwohnerzahl Islands?

Die Journalisten brauchen eben Geschichten. Es wurde ja auch oft und gerne über die Nebenjobs einiger Profis berichtet. Aber das ist okay. Mich macht es jedenfalls viel mehr stolz, als dass es mich nerven würde.

Der isländische Schriftsteller Jón Kalman Stefánsson sagte mal: „In Island gibt es mehr Chor-Mitglieder als Leute, die in einem Fußballverein spielen.“

(lacht) Ich mag dieses Zitat, wobei ich nicht genau weiß, wie viele Chöre wir in Island haben. Ich kann mir vorstellen, dass die Zahlen ungefähr gleich sind.

Fußball ist also so beliebt wie Singen?

Sport im Allgemeinen ist größer. In Island wachsen Kinder oft mit mehr Sportarten auf, sie spielen Fußball im Sommer und Handball oder Basketball im Winter. So war es auch bei mir.

Wer war Ihr Idol?

Mein Vater. Er spielte lange Zeit für den RSC Anderlecht in Belgien. Außerdem mochte ich den FC Barcelona und Romario. Er war extrem explosiv und vermittelte den Eindruck, dass Tore schießen gar nicht so schwer sei. Romario ließ den Fußball einfach aussehen, das gefiel mir.

Wollte Ihr Vater Arnor Gudjohnsen, dass Sie in seine Fußstapfen treten?

Ich konnte völlig unbeschwert und ohne Druck aufwachsen – was nicht immer einfach war, denn ich war der Sohn eines sehr bekannten isländischen Fußballprofis.

Wann hat Ihr Vater Ihr Talent erkannt?

Ich war neun Jahre alt. Wir wohnten damals in Belgien, und ich spielte für ein Dorf-Team. Eines Tages organisierte der Klub meines Vaters, der RSC Anderlecht, ein Freundschaftsspiel gegen meine Jugendmannschaft. Sie hatten meinen Vater davor immer wieder gefragt, wann ich denn endlich zu Anderlecht wechseln würde, aber mein Vater wiegelte immer ab, weil er mich noch nicht so weit sah. Eines Tages fuhren wir also zum Freundschaftsspiel nach Anderlecht. Wir gewannen 5:0 – und ich schoss alle fünf Tore.

Das war Ende der 80er Jahre. Wie haben Sie die isländische Nationalelf dieser Zeit in Erinnerung?

Wenn ich konnte, war ich bei jedem Spiel. Ich wollte meinen Vater spielen sehen. Ich finde, dass die Fußballgeschichte Islands oft ein wenig verkehrt erzählt wird. Viele Leute denken, dass die EM-Qualifikation eine große Sensation sei, da wir in den 20 Jahren zuvor nie gewonnen haben.

Stimmt das nicht? In den 80ern verlor Island sogar Spiele gegen Bahrain oder Kuwait.

Trotzdem: Wir haben in den letzten Jahren konstant auf einem guten Niveau gespielt, 2003 trotzten wir dem mehrfachen Weltmeister Deutschland sogar ein 0:0 ab.

Es war das Spiel, auf das Rudi Völlers legendäre Weißbier-Wut-Rede folgte. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Nein, aber ich kenne die Geschichte. Auch sie ist das Resultat dieser falschen Wahrnehmung: Die Deutschen dachten, wir sind Kanonenfutter, und jede Mannschaft der Welt müsste zweistellig gegen uns gewinnen. Dabei waren unsere Spieler damals schon in den europäischen Ligen unterwegs und verdienten mit Fußball ihr Geld. Es war jedenfalls nicht so, dass wir Isländer morgens zur Arbeit gingen und nach Feierabend kurz mal gegen Deutschland spielten.

Sie gaben 1996 Ihr Debüt für die Nationalmannschaft, als Sie im Spiel gegen Estland für Ihren Vater eingewechselt wurden. War das geplant?

Es war ein historischer Moment. Aber eigentlich gab es einen anderen Plan.

Welchen?

Mein Vater und ich sollten im folgenden Länderspiel in Island gemeinsam auflaufen. Leider ist es nie dazu gekommen, da ich mich verletzte und fast zwei Jahre nicht spielen konnte. Irgendwann konnte mein Vater nicht mehr auf mich warten.

Vielleicht bestreiten Sie bald ein Spiel mit Ihrem Sohn Sveinn Aron. Er ist mittlerweile in der zweiten isländischen Liga aktiv.

Das wäre es eine wundervolle Sache. Aber ich will es diesmal nicht planen. Wenn es passiert, dann passiert es.

Sie leben seit mehr als 20 Jahren im Ausland. Was vermissen Sie an Island?

Meine Freunde und die Natur. Immer wenn ich nach Island und Reykjavik zurückkehre, schaue ich mir stundenlang die Berge rund um die Stadt an. Und dabei esse ich Skyr.

Skyr?

Ein isländischer Joghurt, mit dem ich groß geworden bin. Früher bin ich immer sofort in den Supermarkt und dann zum Kühlregal. Mittlerweile kann man Skyr überall kaufen. Herrlich!

Bewegen Sie sich in Reykjavik anders als früher in London oder Barcelona?

In London konnte man als Fußballprofi kaum auf die Straße gehen. Die Isländer interessieren sich hingegen nicht sehr für Berühmtheiten, was ich ganz angenehm finde. Nur die Kinder freuen sich immer, wenn sie mich sehen. Und wenn ich früher bei Jugendspielen meines Sohnes zugeschaut habe, musste ich natürlich ein paar Autogramme geben.

Kann man demnach sagen: England ist laut wie Oasis...

...und Island introvertiert wie Sigur Ros? Ich bin kein Musik-Experte, aber der Ansatz klingt interessant. Ich spreche jedenfalls auch lieber über die unauffälligen Dinge im Fußball.

Wie meinen Sie das?

Wenn ich früher nach Island kam, wollten die Jugendlichen immer wissen, wie es ist, mit dem besten Spieler der Welt zusammenzuspielen. Sie meinten Ronaldinho. Ich sagte dann: „Klar, der Typ ist der Wahnsinn.“ Und dann erzählte ich ihnen von dem wirklich besten Spieler der Welt: Andres Iniesta. Ich fand, er war damals schon unfassbar gut, auch wenn er noch nicht so bekannt war.

Herr Gudjohnsen, wer ist berühmter: Sie oder Björk?

Björk. Sie ist ein Star und auf der ganzen Welt bekannt.

Auch wenn Island Europameister werden sollte?

Natürlich. Ich bin doch nur ein Fußballer.

Das Gespräch führte Konstantin Westenhoff

Konstantin Westenhoff

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