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Löw

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Fußball-EM: Gesucht: Freunde des Balles

Bundestrainer Joachim Löw bennent am Freitag die Nationalelf für die Fußball-EM. Dabei könnte er einige überraschen – weil er die Statik des Mittelfelds neu berechnen muss.

Joachim Löw hat eine gewisse Zeit gebraucht, bis er sich an die Veränderungen gewöhnt hat, die sein neuer Beruf mit sich gebracht hat. Als Assistent von Jürgen Klinsmann war er eine öffentliche Person, als Bundestrainer ist er weit mehr als das. „Wenn ich aus meiner Haustür gehe, bin ich Gemeingut“, hat Löw einmal gesagt. Jeder seiner Schritte wird öffentlich verfolgt, das war auch in der vergangenen Woche so, als peinlichst registriert wurde, welche Spiele der Bundestrainer und sein Gefolge kurz vor der Nominierung seines Aufgebots für die Europameisterschaft verfolgt haben. Dass Andreas Köpke in Leverkusen war – ist das vielleicht ein Hinweis, dass Bayers Torhüter René Adler doch noch späte Aufnahme in den Kader findet? Und reist Löw wirklich zum Zweitligaaufsteiger Borussia Mönchengladbach, nur um Oliver Neuville zum x-ten Mal zu beobachten? Oder vielleicht doch wegen Marko Marin?

Der Bundestrainer wurde später in Mönchengladbach von Journalisten gefragt, ob ihm denn auch Gladbachs Spieler mit der Nummer 11 aufgefallen sei. „Marko Marin ist mir nicht erst heute aufgefallen“, antwortete Löw. Seitdem wuchern die Spekulationen, der 19 Jahre alte U-21-Nationalspieler könnte zum Überraschungskandidaten in Deutschlands EM-Aufgebot werden.

Drei Torhüter, acht Verteidiger, sieben Mittelfeldspieler und fünf Stürmer wird Löw heute auf der Zugspitze für seinen Kader nominieren, 23 Spieler insgesamt. Wenn die Deutschen aber am kommenden Montag ins Trainingslager nach Mallorca aufbrechen, könnten dem Reisetross bis zu 26 Spieler angehören. Sein endgültiges Aufgebot muss der Bundestrainer erst am 28. Mai benennen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass Löw heute um 13 Uhr live bei ARD, ZDF und Eurosport) zunächst einmal einen vorläufigen Kader benennt. „Warum soll man das nicht nutzen?“, sagt der Bundestrainer. „Wenn ein Spieler bei uns auf Mallorca mittrainiert, hat das eine ganz andere Qualität, als wenn einer allein im Urlaub am Strand trainieren muss.“ Dass über den Zweitligaspieler Marin ernsthaft debattiert wird, ist nicht so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Seit der Nominierung des Nobodys David Odonkor für die Weltmeisterschaft 2006 glaubt die Nation ein Grundrecht auf einen Überraschungskandidaten zu haben. „Nach Überraschungen werden wir jetzt immer gefragt“, sagt Löw. „Aber wir wissen noch nicht, ob es sie auch gibt.“ Toni Kroos vom FC Bayern München galt lange als möglicher Kandidat für diese Rolle. Er ist noch ein Jahr jünger als Marin, stark im Dribbling und bei Standardsituationen. Kroos aber hat in dieser Saison zu selten gespielt, um ernsthaft für die EM in Frage zu kommen.

Marin hingegen war beim Zweitligaaufsteiger Mönchengladbach Stammspieler, er hat drei Tore geschossen, dreizehn vorbereitet und sein Spiel ist zuletzt immer konstanter geworden. Vor allem aber bringt der knapp 1,70 Meter große Mittelfeldspieler Qualitäten mit, die in Löws Mannschaft seit dem Ausfall Bernd Schneiders unterrepräsentiert sind. Marin ist ein begnadeter Fummler, ein enger Freund des Balles. „In den 20 Jahren beim DFB hatte ich keinen, der so überragend im Dribbling war“, sagt Bernd Stöber, der lange die Nachwuchs-Nationalmannschaften trainiert hat. „Marko war wohl der Kreativste. Da gibt es keinen Vergleich.“

Bundestrainer Löw steht vor dem Problem, dass er nicht einfach nur einen Ersatz für Bernd Schneider finden muss; er muss nach dessen Ausfall die gesamte Statik des Mittelfeldes neu berechnen. „Eins zu eins ist Bernd nicht zu ersetzen“, sagt Löw. Mit Michael Ballack, Thomas Hitzlsperger, Tim Borowski und Simon Rolfes steht dem Bundestrainer ein Übermaß an geometrischen Spielern zur Verfügung, die die großen geraden Linien aufs Feld zeichnen. Was ihm fehlt, sind Spieler mit dem Sinn fürs Kleinteilige. Jermaine Jones könnte ein solcher Spieler für die Defensive sein, Marko Marin für die Offensive, auch als Ersatz hinter Bastian Schweinsteiger, der seinen Sinn fürs Kleinteilige zuletzt nur selten erfolgreich eingebracht hat.

Überragende Individualisten werden auch deshalb immer wichtiger, weil sämtliche EM-Teilnehmer über eine starke defensive Organisation verfügen. „Der Spielraum für gruppentaktische Offensivaktionen ist dadurch erheblich eingeschränkt“, sagt Christofer Clemens von der Firma Mastercoach, die die Nationalmannschaft und deren Chefscout Urs Siegenthaler bei der Gegneranalyse unterstützt. „Jede Mannschaft braucht Spieler, die solche Situationen lösen können. Die Gesamtorganisation wird die Plattform sein; am Ende aber wird es die individuelle Klasse sein, die entscheidet.“

Aus genau diesem Grund ist Odonkor vor zwei Jahren überraschend in den WM-Kader aufgerückt; aus demselben Grund ist er laut Löw auch für die EM „wieder eine Alternative“. Odonkor war bei der WM der Mann für bestimmte Momente. Im Vorrundenspiel gegen die destruktiven Polen bereitete er mit einer Flanke das Siegtor der Deutschen vor.

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