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Super Victor geht irgendwie das Heldenhafte ab.

© REUTERS

Fußball-EM in Frankreich: Super Victor: Das traurigste Maskottchen aller Zeiten

Der Name will so gar nicht zu seiner Erscheinung passen: Das französische EM-Maskottchen Super Victor ist in Wirklichkeit ein verzagtes Männchen.

Frankreich, Land der Existentialisten. Schnell verfällt man hier, wenn man gewisse Bücher liest oder auch nur Menschen kennenlernt, die gewisse Bücher gelesen haben, dem Gefühl, man sei in dieses Leben geworfen worden, ohne höheren Sinn und ohne Ziel, zieht sich einen schwarzen Rollkragenpullover an, setzt sich in ein Café und schaut zwischen seiner leeren Tasse und seinem leeren Notizbuch hin und her. „Der sensible Mensch leidet nicht aus diesem oder jenem Grunde“, sagte Jean-Paul Sartre, „sondern ganz allein, weil nichts auf dieser Welt seine Sehnsucht stillen kann.“

Dass nicht einmal eine EM, das Fest der Hoffnung auf den Triumph, dies vermag, lässt sich auf erschütternde Weise an ihrem Maskottchen beobachten. Es trägt den Namen Super Victor, kann aber nur von albernen PR-Yuppies so getauft worden sein, in wahrscheinlich ironischer Absicht, wie wenn man einen Zwergpinscher Zlatan nennt. Nichts an ihm ist super, nichts an ihm strahlt Siegermentalität aus. Super Victor ist es ein verzagtes Männchen, das man gegen seinen Willen in ein Trikot gesteckt und dem, um es noch lächerlicher wirken zu lassen, man überdies noch einen roten Umhang um den Hals geknotet hat, der aussieht wie ein Waschlappen von Oma Else.

Super Victor ist das Barometer des Kontinents: Die Regenwahrscheinlichkeit liegt bei 100 Prozent

Darunter zeichnen sich seine schmalen Schultern ab, die tiefer kaum hängen könnten, niedergedrückt vom politischen Gewicht, das auf ihm und diesem Turnier lastet. Super Victor ist das Barometer des Kontinents: Die Regenwahrscheinlichkeit liegt bei 100 Prozent, selbst wenn die Sonne scheint. Wäre es nicht so laut im Stadion, man würde ihn wohl wimmern hören. Eigentlich müsste dieser Trauerkloß von einem Maskottchen Chlodwig heißen, wie der Klassenschlechteste im Buch „Der kleine Nick“, der aus Gewohnheit immer gleich in die Ecke geht, wenn er abgefragt wird. Er weiß nur, dass er nichts weiß.

Wie jenen Chlodwig in der Ecke sieht man Super Victor bei Interviews nach den Spielen im Hintergrund stehen, die Gefühle hat er mit den Händen in den Hosentaschen versenkt. Manchmal trottet er durch die Kulisse, als suche er seit Jahren jemanden, der ihm ähnlich ist, der ihn versteht, doch da sind nur die aggressiv optimistischen Fußballprofis mit ihren tollen Körpern und die Journalisten, die ihn immerzu fragen: „Wie fühlen Sie sich?“ Aber die Antwort darauf würden sie ja gar nicht ertragen. „La Tristesse de Super Victor“, so überschrieb ein französischer Blogger einen kurzen Film, in dem man den armen Tropf hängenden Kopfes über den Rasen schleichen sieht, die Traurigkeit des Super Victor. Nichts auf dieser Welt kann, wie Sartre schon ahnte, seine Sehnsucht stillen. Wir kennen sie nicht einmal. Will er, dass dieses Turnier endlich zu Ende ist? Will er sich etwas anderes anziehen als seine idiotische Kleinkindtrikotage? Will er geliebt werden? Niemand weiß es, niemand kann es wissen, denn: Der sensible Mensch leidet nicht aus diesem oder jenem Grunde.

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