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Mittendrin, aber nicht dabei. Im Regieraum und den Kommentatorenboxen von „Sky“ entsteht jedes Wochenende die Bundesliga- Fernsehkonferenz.

© dpa

Fußball-Fernsehkonferenz: In der Boxengasse der Bundesliga

"Elfmeter in Stuttgart", ruft ein Reporter. Doch gerade wird ein Tor aus Dortmund gezeigt. Schnitt. Kommentiert werden die Spiele der Fußball-Fernsehkonferenz alle in München. Ein Samstagsbesuch.

Los geht es in Stuttgart. Schalke ist zu Gast, es kommentiert Martin Groß. Der wünscht dem Schiedsrichter erst mal ein gutes Spiel. „Wie uns allen hier.“

Hier: Das ist nicht Stuttgart; sondern Ismaning, Landkreis München. Uns: Damit sind nicht die Fans und Spieler gemeint. Groß spielt wohl unterbewusst auf seine Kommentatoren-Kollegen an, die sitzen in den Nebenzimmern. Und auf die Regie, nur dreißig Meter entfernt. Auch die Grafik und der Schaltraum im Gebäude gegenüber sind gemeint. Denn Martin Groß sitzt in einer Box, so klein wie ein Mittelklassewagen, über 200 Kilometer vom Spielort entfernt. Davor ist die Boxengasse, ein Flur mit viel Weiß und Grau. Türen führen zu den Kabinen. Heute sind fünf besetzt, es ist Samstagnachmittag, halb vier, Bundesliga-Konferenz des Pay-TV-Senders „Sky“.

Das Gelände, auf dem die Konferenz produziert wird, war früher eine Ziegelei. Heute gehören Gebäude und Technik einem Dienstleister, „Sky“ ist Mieter. Es gibt auf dem Gelände in Ismaning noch andere Medienunternehmen und Verlage. Ein bisschen Backstein, ein bisschen Neubau. Ab und an ist entferntes Turbinenrauschen von Flugzeugen zu hören, ansonsten aber herrscht Stille. Samstags fährt alle 40 Minuten ein Bus zur nächsten U-Bahnhaltestelle.

Gut anderthalb Millionen Menschen schauen jeden Samstagnachmittag die Bundesliga live, auch heute wieder. Die Hälfte davon sucht sich ein Live-Spiel aus, bei denen die Kommentatoren auch im Stadion sitzen; die andere Hälfte schaltet die Konferenz ein. Nach Senderangaben kommen nochmal 40 Prozent Kneipenzuschauer hinzu. Wirklich viel ist das nicht. Andererseits: Quoten sind nur bedingt wichtig für den Sender, Werbung läuft wenig. Die Abos sind entscheidend und ob der Decoder dann läuft oder nicht – eigentlich egal, gezahlt wird ja eh.

Der Dinosaurier der TV-Bundesliga-Konferenz heißt Christian Schulten. Seit zehn Jahren entscheidet er, wann in welches Stadion geschaltet und wie lange von dort gesendet wird. Schulten ist der Leiter der Konferenz. Mit Headset sitzt er in der Regie, auf dem Tisch vor ihm Dutzende Schalter, umgeben aber ist er von Wänden. Eine vor ihm: die Wand aus Bildschirmen, 35 neben- und übereinander. Und eine neben ihm, Berti Wand, Ablaufredakteur und Schultens rechte Hand. Minutenvorgaben, wann welches Spiel und wie lange zu zeigen ist, gibt es nicht. „Das ist meine freie Entscheidung. Viel hängt vom Bauchgefühl ab“, sagt Schulten. Sein Urlaub, wie auch der der anderen Beteiligten am Produktionsprozess der Bundesliga, richtet sich nach der Sommer- und Winterpause im Fußball. Verpasst hat Schulten seit 2002 fast keine Konferenz. Mindestens 1.500 hat er bereits betreut, neben der Bundesliga noch die Champions League und den DFB-Pokal.

Marco Hagemanns Stimme ist zu hören, er kommentiert das Spiel der Dortmunder gegen Wolfsburg und sitzt in Box Nummer 3. Genauer in der Box der Box. Denn durch eine Fensterscheibe sieht er in einen kleinen Raum. Dort sitzt sein „Operator“, der Bediener, der für die Technik bei diesem Spiel zuständig ist sowie einen Redakteur, der hilft bei der Zusammenfassung im Anschluss an die Konferenz. Vor Hagemann sind vier Bildschirme aufgebaut: Oben links die Konferenz, oben rechts der geplante Sendeablauf, unten links sieht Hagemann sein Livespiel, unten rechts das, was die Kollegen hinter der Glasscheibe für die anschließende Zusammenfassung basteln. Dort kann er sich auch einzelne Spielszenen nochmal einspielen lassen, bei strittigen Elfmeterentscheidungen zum Beispiel. „Wenn nicht so viel los ist, dann kann man sich auch mal zurücklehnen und die Konferenz schauen“, sagt er später. Denn über die Kopfhörer können die Kommentatoren ihre Kollegen auch hören.

Schlussphase - "Jetzt könnte da unten mal was passieren."

Aus dem Konferenz-Konzept mit den Boxen macht „Sky“ kein Geheimnis, aber wenn die Zuschauer denken, die Kommentatoren sitzen im Stadion, dann wird das nicht ungern gesehen. Es ist vor allem den Kosten geschuldet, dass an diesem System festgehalten wird – und logistische Motiven: Für einen fehlerfreien Ablauf ist es einfacher, wenn alles gebündelt an einem Ort stattfindet.

Es ist jetzt kurz nach vier, Hagemanns Spiel hat eine entscheidende Wendung genommen. Wolfsburg bekommt einen Elfmeter, Marcel Schmelzer fliegt vom Platz - es soll dies noch der Aufreger des Wochenendes werden, denn die Fernsehbilder belegen eindeutig, dass der Dortmunder den Ball nicht mit der Hand auf der Torlinie stoppte. Hagemann gibt erst mal das wieder, was der Schiedsrichter entscheidet. Nach der Wiederholung legt er sich fest: Die Szene verdient keinen Elfmeter und somit auch keinen Platzverweis. In der Regie: zustimmendes Nicken. Hagemann erklärt später: „Bei Live-Spielen bin ich zumindest nicht nur auf das Fernsehbild angewiesen, da sitze ich im Stadion und sehe mögliche Abseitsstellungen früher.“ Er ergänzt: „In diesem Fall aber hat es keinen Unterschied gemacht.“ Ob er lieber im Stadion sitzt, als in der Box? „Ich mache beides gleich gern: Bei der Konferenz muss ich viel schneller einordnen, reagieren. Bei einem Neunzigminüter muss ich das, was ich erzählen möchte, besser aufteilen.“

Der Strafstoß in Dortmund ist noch nicht ausgeführt, da mischt sich Groß ein: „Elfmeter in Stuttgart“ ruft er aus seiner Box, Leiter Schulten wartet bis er umschalten lässt. Diego trifft für Wolfsburg, Wiederholung, dann das Kommando an die Grafik im Nebengebäude: „Stuttgart-Grafik - ab“. Eine kurze Überblendung, dann in Zeitlupe Ibisevic zum 2:1 für den VfB. Schulten in der Regie lehnt sich zurück. So hat er sich das vorgestellt.

60 Leute wuseln heute in Ismaning für die Konferenz zwischen Regie und Boxen, zwischen Grafik und Buffet hin und her. Fast nur Männer. Auch wenn „Sky“ kürzlich eine Frauenoffensive gestartet hat und demnächst die erste Kommentatorin einsetzen wird: Hinter den Kulissen bleibt der Fußball Männerdomäne. Und eine Frage des Geldes. 468 Millionen Euro zahlt der Sender jährlich für die Rechte der Erst- und Liveausstrahlung. Schwarze Zahlen hat „Sky“, seit der Umbenennung von „Premiere“ 2009, noch nicht geschrieben. Die Bundesligaspiele werden samstags in der Sportschau zusammengefasst und auch das ZDF hat Verwertungsrechte. Wer auf das Live-Signal verzichten kann, kann auch im frei empfangbaren Fernsehen alle Tore sehen.

Live aus der Box: Nur drei „Sky“-Kommentatoren trifft man nie in den Konferenz-Boxen, unter anderem Marcel Reif und Fritz von Thurn und Taxis.
Live aus der Box: Nur drei „Sky“-Kommentatoren trifft man nie in den Konferenz-Boxen, unter anderem Marcel Reif und Fritz von Thurn und Taxis.

© dpa

Um zehn nach fünf wird Ablaufredakteur Wand in der Regie langsam ungeduldig: „Jetzt könnte da unten mal was passieren.“ Mit da unten sind die Spiele in Nürnberg und Freiburg gemeint. Unten, weil es die untersten Bildschirme sind. Vielleicht aber auch, weil sie in der Sendehierarchie an letzter Stelle kommen. Der Ruck, der durch Fußballdeutschland gehen sollte, bleibt aber aus. Weil zwei Spiele entschieden, und die zwei anderen langweilig sind, spricht vor allem Marco Hagemann in Dortmund. Bis die Niederlage des Meisters feststeht.

Nur drei „Sky“-Kommentatoren trifft man nie in den Konferenz-Boxen. Zu ihnen gehören die Grand-Seigneurs des Fußball-Bezahlfernsehens, Marcel Reif und Fritz von Thurn und Taxis. Dabei sagt Hagemann bei einer Zigarette nach getaner Arbeit, dass die Vorbereitung eigentlich die gleiche wie für ein Live-Spiel sei. „Ich spreche mit Vereinsverantwortlichen, lese Zeitung und stöbere im Internet.“ Das wichtigste Utensil aber ist ein Ordner der Firma „Opta“; die erhebt Statistiken über alle Spieler, alle Vereine. Im Stadion sitzt sogar ein Statistiker neben den Kommentatoren. „Ohne die geht es nicht“, sagt Hagemann. Der ist übrigens Dortmund-Fan und deshalb nicht glücklich über den Spielverlauf. In der Konferenz aber kommentiert er alle Spiele gleich gern. Auch in den Stadien macht er keine Unterschiede, „auch wenn ein Live-Spiel in Dortmund schon ein Erlebnis ist. Das ist für mich halt das geilste Stadion Europas“.

Es ist dunkel inzwischen. Hier, im Norden Münchens. Fernab der aufgeheizten Stimmung in Dortmund, hört man von irgendwoher Flugzeugturbinen. Kein Fußgänger ist zu sehen, kein Wohnhaus. Und der nächste Bus fährt in 25 Minuten.

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