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Fußball-Historie: Deutschland - Argentinien: Ein Klassiker der Fußballmoderne

Geniestreiche, die Mafia und ein Zettel: Die besten Spiele zwischen Deutschland und Argentinien.

Deutschland gegen Argentinien – das ist schon lange ein Fußball-Klassiker. Anlässlich des Länderspiels in München (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe beendet) eine Auswahl der aufregendsten Duelle:

Das Erste

Deutschland – Argentinien 3:1

8. Juni 1958 in Malmö; WM-Vorrunde

Deutschland reist zwar als Titelverteidiger zur WM nach Schweden, aber der Ruhm von 1954 ist aufgezehrt. 14 Spiele wurden seit dem wundersamen Berner Finalsieg verloren und in den Zeitungen wird spekuliert, ob der bald 60-jährige Bundestrainer Sepp Herberger nicht ein wenig zu alt sei für den Umgang mit den jungen Burschen. Argentinien ist für die europäischen Fußball-Nationen der große Unbekannte. Die letzte WM-Teilnahme liegt 24 Jahre zurück, die letzten drei Turniere hat der Verband boykottiert. In Schweden will der Südamerikameister dem Rest der Welt zeigen, wo der beste Fußball gespielt wird. Es gibt dabei nur ein Problem: Die Jungstars Humberto Maschio, Antonio Angelillo und Omar Sivori, mit denen Argentinien 1957 die Copa America gewonnen hat, spielen in der italienischen Serie A und erhalten keine Freigabe für die WM. Gegen die Deutschen aber läuft zunächst alles bestens. Vor 32 000 Zuschauern im Malmö-Stadion schießt Omar Corbatta nach drei Minuten das 1:0. Der Weltmeister hat Mühe, ins Spiel zu finden. Dass am Ende doch noch alles gut wird, liegt an zwei Helden von Bern. Fritz Walter ist schon 38, Herberger hat ihn mit Mühe zum Comeback überredet, aber in Malmö dirigiert er wie zu besten Zeiten. Und dann ist da noch Helmut Rahn, Schütze des Berner Siegtores und von Herberger erst kurz vor der WM begnadigt, nachdem er infolge eines Verkehrsunfalls mit Fahrerflucht zwei Wochen im Gefängnis gesessen hat. Rahn trainiert zehn Kilogramm ab und zeigt, wie wertvoll er immer noch ist. Nach einer halben Stunde schießt er den Ausgleich und zehn Minuten vor Schluss das finale 3:1. Zwischendurch gelingt dem Hamburger Uwe Seeler in seinem ersten WM-Spiel sein erstes WM-Tor. Argentiniens Trainer Guillermo Stabile, Torschützenkönig der ersten Weltmeisterschaft 1930, erklärt später beleidigt, seine Mannschaft sei „keinen so gewalttätigen Fußball gewöhnt“.

Das Brutale

Deutschland – Argentinien 0:0

16. Juli 1966 in Birmingham; WM-Vorrunde

Wieder reisen die Argentinier als selbst ernannter Favorit zur WM und ihren Stil haben sie inzwischen der europäischen Härte angepasst. Es wird an diesem Abend in Birmingham viel getreten und wenig gespielt. Am Ende siegen die Argentinier 21:11 – nach Fouls. Das brutalste leistet sich der Mittelfeldmann José Rafael Albecht aus San Lorenzo. Sein Kölner Gegenspieler Wolfgang Weber hat die Szene später so beschrieben: „Albrecht ist mit beiden Beinen voraus auf mich zugesprungen und hat mich mit den Sohlen getreten. Ich konnte noch am folgenden Tag die Abdrücke seiner Stollen in meinen Oberschenkeln sehen.“ Da die Rote Karte noch nicht erfunden ist, will der jugoslawische Schiedsrichter Zecevic den Argentinier mit wild fuchtelnden Händen vom Platz weisen, aber der weigert sich, unterstützt von seinen Kollegen und seinem Trainer Lorenzo, der wütend aufs Feld gestürmt ist. Es dauert vier Minuten, bis Albrecht endlich den Platz verlässt. Verunsichert lassen die Deutschen die Gelegenheit verstreichen, einen dezimierten Gegner zu bezwingen. Die Argentinier treffen zwar noch zweimal die Latte, aber es ist die des eigenen Tores. In der Retrospektive drehen die Südamerikaner den Spieß um und wähnen sich als Opfer einer Intrige. Der große Alfredo di Stefano, ein gebürtiger Argentinier, meint gar, Argentinien habe gegen ein „durch zwei Weltkriege verrohtes Volk gespielt“. Im Viertelfinale gegen England treiben es die Argentinier noch wilder. Nach dem 1:0-Sieg verbieten die englischen Betreuer ihren Spielern den Trikottausch mit den Argentiniern, Trainer Alf Ramsey nennt sie „wilde Bestien“.

Das Lehrreiche

Deutschland – Argentinien 2:3

14. Februar 1973 in München

Ein gutes Jahr ist es bis zur ersten WM im eigenen Land, und die Deutschen zehren noch von dem großartigen Fußball, den sie 1972 in Wembley und später bei der EM in Belgien gezeigt haben. Argentinien hat gelernt aus den Misserfolgen der vergangenen Jahre, 1970 hatte es in Mexiko nicht mal zur WM-Teilnahme gereicht. Auf das Spiel in München bereitet Trainer Omar Sivori seine Mannschaft exzellent vor, unter anderem mit der Filmvorführung des deutschen 3:1-Sieges in Wembley. Mit der sonst den Deutschen nachgesagten Disziplin knien sich alle Spieler in ihre Aufgabe. Franz Beckenbauer wird bei Ballbesitz sofort von zwei Argentiniern attackiert, Günter Netzer komplett aus dem Spiel genommen. Dazu werden die Deutschen mit ständigen Positionswechseln verwirrt. „Bis die kapierten, was sie machen mussten, war das Spiel schon verloren“, spottet Max Merkel, der gerade Atletico Madrid trainiert. Jorge Ghiso und Norberto Alonso schießen schon nach acht Minuten eine 2:0-Führung heraus, und die ersten der 55 000 Zuschauer im Münchner Olympiastadion beginnen zu pfeifen. Als Miguel Brindisi Mitte der zweiten Halbzeit einen Foulelfmeter zum 3:0 verwandelt, sieht alles nach einem Debakel aus. Jupp Heynckes und Bernd Cullmann gestalten das Ergebnis mit ihren späten Toren halbwegs erträglich. Für Argentinien war dies schon der Höhepunkt der Ära von Sivori. Der Trainer tritt ein paar Monate später nach Dauerstreitigkeiten mit dem Verband zurück, unter seinem Nachfolger Ladislao Kap scheiterten die Argentinier bei der WM in der Zwischenrunde. Bundestrainer Helmut Schön sieht das Debakel von München als willkommene Lehrstunde für die Weltmeisterschaft. Mit dem bekannten Erfolg.

Das Überraschende

Argentinien – Deutschland 1:1

24. März 1982 in Buenos Aires

Zu Beginn der achtziger Jahre ist Lothar Matthäus noch kein Weltstar, nicht mal ein werdender. Zur Südamerikareise der Nationalmannschaft mit Spielen gegen Brasilien und Argentinien nimmt ihn Bundestrainer Jupp Derwall nur mit, weil eine Handvoll Stammspieler abgesagt hat. Zunächst spielt er an seinem 21.Geburtstag vor 170 000 Zuschauern im Maracana-Stadion von Rio gegen den brasilianischen Weltstar Zico und gönnt diesem keinen Ball. Matthäus ist der Lichtblick in einer deutschen Mannschaft, die schlecht spielt und 0:1 verliert. Auf der Tribüne spottet der argentinische Trainer Cesar Menotti: „Noch nie habe ich die Deutschen so lahm gesehen.“ Drei Tage später spielt seine Mannschaft im Monumental von Buenos Aires gegen Deutschland, und Menotti fürchtet um die Gesundheit seines Lieblingsschülers Diego Maradona. Ein Jahr zuvor hat Derwall den Kaiserslauterer Hans-Peter Briegel auf Maradona angesetzt, und Menotti beschwerte sich später, da habe einer „einen Panzer gegen einen Künstler gestellt“. Jetzt kommt dieser junge Mann, dessen Namen Menotti noch nie gehört hat. Es ist heiß und schwül im Monumental, und Lothar Matthäus sieht Diego Maradona zum ersten Mal live. „Korrekt, eng am Mann, hart, fair“ – so hat er seinen Part gegen den Argentinier angekündigt, und so hält er ihn durch. Vor 67 000 überraschten Zuschauern ist von Maradona so gut wie nichts zu sehen, was dem deutschen Spiel sehr entgegen- kommt. Nach einer halben Stunde erzielt der Münchner Wolfgang Dremmler das Führungstor, Gabriel Calderon gelingt Mitte der zweiten Halbzeit der Ausgleich, aber der Mann des Spiels ist Lothar Matthäus. Fünf Kilogramm Körpergewicht verliert er an diesem Abend, aber so gut wie keinen Zweikampf gegen Maradona. Der bezeichnet ihn später in seiner Autobiographie „Yo soy el Diego“ als den „besten Gegenspieler, den ich je hatte“.


Das Dramatische

Argentinien – Deutschland 3:2

29. Juni 1986 in Mexiko-Stadt; WM-Finale

Wieder hat es Lothar Matthäus mit Diego Maradona zu tun, und auch dieses Mal gelingt ihm, was bei dieser WM noch keiner geschafft hat: Er schaltet ihn aus. Noch nie ist ein WM-Turnier so sehr von einem Spieler geprägt worden wie das 1986 in Mexiko. Ganz allein schießt Maradona die Selección mit vier Toren im Viertelfinale gegen England (2:1) und im Halbfinale gegen Belgien (2:0) ins Endspiel. Im entscheidenden Spiel aber zeigen seine Kollegen, dass sie mehr sind als Staffage für den besten Fußballspieler der Welt. Das liegt auch daran, dass die Deutschen großzügig sind und dem Gegner eine frühe Führung schenken. Torhüter Harald Schumacher, bis dahin der Beste des Turniers, springt an einer Flanke vorbei und lässt José Luis Brown einköpfen. In der zweiten Halbzeit erhöht Maradonas heutiger Intimfeind Jorge Valdano auf 2:0, und das Spiel scheint gelaufen zu sein. Teamchef Franz Beckenbauer aber zeigt Mut und wechselt die Stürmer Dieter Hoeneß und Rudi Völler ein. Der bullige Hoeneß rempelt gleich Maradona an der Seitenlinie um, es ist das Signal für die aufregendste Schlussphase, die ein WM-Finale je erlebt hat. Völler verlängert einen Eckball zu Karl-Heinz Rummenigge, der verkürzt auf 1:2. Acht Minuten später: Wieder Ecke Andreas Brehme, diesmal verlängert Thomas Berthold, Völler köpft ein zum Ausgleich. Maradona schreibt in seinen Memoiren, beim Anstoß habe er zu seinem Kollegen Jorge Burruchaga gesagt: „Los, sie sind müde, jetzt packen wir sie!“ Drei Minuten später gelingt ihm sein einziger Geniestreich des Finales: ein Pass auf Burruchaga, die deutsche Abwehr ist zu weit aufgerückt, Schumacher läuft halbherzig heraus. 3:2. Ende. Argentinien ist Weltmeister.

Das Einseitige

Deutschland – Argentinien 1:0

8. Juli 1990 in Rom; WM-Finale

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© augenklick/Lacy Perenyi

Das neuerliche Wiedersehen der Herren Maradona und Matthäus findet unter veränderten Vorzeichen statt. Der Argentinier ist weit entfernt von seiner 86-er Glanzform, und der bei Inter Mailand gereifte Deutsche hat die Rolle des Aufpassers eingetauscht gegen die einer gestaltenden Führungspersönlichkeit. Die Argentinier haben sich mit ihrem Halbfinalsieg über den Gastgeber unbeliebt gemacht bei den Italienern, sie pfeifen Maradona bei der Nationalhymne nieder. Es wird das einseitigste Finale der WM-Geschichte. Die Argentinier sind zu keiner Phase konkurrenzfähig. Vier Spieler fehlen ihnen gesperrt, unter ihnen Claudio Caniggia, der zweite Superstar neben Maradona. In der zweiten Halbzeit muss der deutsche Torhüter Bodo Illgner 36 Minuten warten, bis zum ersten Mal ein Ball auf sein Tor rollt. Es ist eine Rückgabe von Jürgen Kohler. Verzweifelt versuchen die Argentinier, sich über die Zeit zu retten, wie es ihnen schon gegen Brasilien, Jugoslawien und Italien gelungen ist. Sie sind dabei nicht zimperlich. Erst fliegt der gerade eingewechselte Pedro Monzon vom Platz, kurz vor Schluss erwischt es auch Gustavo Dezotti. Aber da ist das Spiel schon gelaufen, weil Rudi Völler in der 86. Minute im Strafraum allzu bereitwillig über das ausgestreckte Bein von Roberto Sensini gestürzt ist. Als Elfmeterschütze ist eigentlich Matthäus vorgesehen. Der aber hat in der Halbzeitpause den Schuh gewechselt und mag, abergläubisch wie er ist, nicht zum Vollzug antreten. Also übernimmt Andreas Brehme und trifft zum 1:0. Ein paar Minuten später ist Schluss. Maradona weint bei der Siegerehrung, er sieht dunkle Mächte am Werk, „die Mafia hat gewonnen“. Dass er sich in diesen Kreisen ganz gut auskennt, wird die Welt erst ein paar Jahre später erfahren.

Das Märchenhafte

Deutschland – Argentinien 1:1, 4:2 i.E.

30. Juni 2006 in Berlin; WM-Viertelfinale

Es ist das Spiel, das aus deutscher Sicht über Erfolg oder Misserfolg der zweiten Heim-WM entscheidet. Über Sommermärchen oder Pleite. Auch Diego Maradona ist nach Berlin gekommen, aber weil er nicht genug Karten für seine Entourage bekommt, bleibt er beleidigt im Hotel. Die Deutschen sind nervös, die Argentinier selbstsicher, erst recht, als sie kurz nach der Pause durch einen Kopfball von Roberto Ayala 1:0 in Führung gehen. Alles sieht nach einem Erfolg des WM-Favoriten aus, bis eine Szene alles wendet. Zwanzig Minuten vor Schluss verletzt sich Torhüter Roberto Abbondanzieri und muss gegen Leo Franco ausgetauscht werden. Das ist nicht vorgesehen im taktischen Plan von Trainer José Pekerman, denn es wird ihm in der entscheidenden Phase eine Wechseloption fehlen. Pekerman reagiert ängstlich und nimmt im Sinne einer Ergebnissicherung zunächst seinen Spielmacher Juan Roman Riquelme vom Platz, später auch Stürmer Hernando Crespo. Eine Minute später gelingt Miroslav Klose das 1:1. Pekerman kann nicht mehr reagieren, der kommende Weltstar Lionel Messi bleibt auf der Ersatzbank. Es kommt zu dem, was sich keine Mannschaft auf der Welt gegen Deutschland wünscht: zum Elfmeterschießen. Torhüter Jens Lehmann zaubert den berühmtesten Zettel der Fußballgeschichte aus seinem Stutzen und pariert die Schüsse von Ayala und Esteban Cambiasso. Alle Deutschen treffen, der WM-Gastgeber steht im Halbfinale, womit sich die Argentinier nicht abfinden wollen. Noch auf dem Spielfeld zetteln sie eine Rangelei mit den Deutschen an. Leandro Cufré tritt Per Mertesacker in den Unterleib, Torsten Frings will ihn rächen und langt mit der Faust nach Julio Cruz, was ihn die Teilnahme am Halbfinale gegen Italien kosten wird. Aber erst einmal feiert die Nation ihr Sommermärchen. 

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