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"Es ist als ließe man den Kühlschrank offen und hofft, die Butter schmilzt nicht", sagt ein Experte zur Kühltechnik der WM-Stadien in Katar.

© picture-alliance/ dpa, Fotalia, Montage: Thomas Mika

Fußball im Eisfach: So kühlt Katar die WM 2022

55 Grad Außentemperatur und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit: Eine WM im Sommer 2022 wäre undenkbar ohne Kühltechnik. Katar preist seine klimatisierten Arenen und Fanzonen an. Doch wie fühlt sich eine Wüsten-WM an? Ein Reisebericht.

Stellen Sie sich vor, es ist das Jahr 2022, und Sie reisen zur Fußball-WM nach Katar. Sie verlassen den klimatisierten Flughafen Doha, steigen in ein klimatisiertes Taxi und fahren in Ihr klimatisiertes Hotelzimmer. Am nächsten Morgen gehen Sie auf die Straße und werden von der Hitze erschlagen. 55 Grad! 90 Prozent Luftfeuchtigkeit! Sie schwitzen im Stehen, aber direkt um die Ecke erblicken Sie zum Glück ein Zelt: die klimatisierte Fanzone. Darin ist es angenehm kühler, 25 Grad, wie später beim Spiel. Im Stadion weht Ihnen aus den Gittern unter Ihrem Sitz kalte Luft um die Beine. Auch weiter auf dem Rasen strömt ein kühler Luftzug aus Schächten um den Ball und die Spieler. Vielleicht hätten Sie doch lieber einen Pullover eingepackt und die Sandalen gegen festes Schuhwerk getauscht. Bahnt sich da ein Schnupfen an?

So oder so ähnlich könnte es aussehen in sieben Jahren bei der Wüsten-WM 2022. Wie genau, das kann sich im Moment noch niemand genau vorstellen. Etwas Vergleichbares in dieser Größe, unter diesen Bedingungen hat es noch nie gegeben. In den letzten zehn Jahren sind in der Skyline von Doha Dutzende Wolkenkratzer gewachsen, da sollten acht taugliche Stadien bis 2022 kein Problem sein. Klar ist aber auch: Wenn die Weltmeisterschaft wie vorgegeben im Sommer stattfindet, geht nichts ohne die neuen Kühltechnologien der Arenen, Fan-Meilen und Trainingsplätze. Ein Turnier wie in einem Kühlschrank, der mitten in der Wüste steht. Wie kann das gutgehen?

Kicken unter Palmen. Die einzige von acht WM-Arenen, die schon steht, ist das Khalifa International Stadium.
Kicken unter Palmen. Die einzige von acht WM-Arenen, die schon steht, ist das Khalifa International Stadium.

© imago/Eibner Europa

Hoch über den Dächern Dohas ist diese Zukunft bereits Gegenwart. Der katarische Fußball-Verband QFA hat in den 22. Stock des Al-Bidda-Tower geladen, Thema: Bilanz der WM-Vorbereitungen. Die ranghohen Mitarbeiter des Organisationskomitees tragen traditionelle weiße Gewänder, ihre Untergebenen feine Anzüge. Sie halten Vorträge über die Kühltechnologie. Auf den Monitoren hinter ihnen blinken wilde Messwerte in allen Farben.

Egal ob Sommer oder Winter, die Kühltechnik kommt

Die Katarer wollen ihr Kühlsystem als Vermächtnis an kommende Generationen verstanden wissen. Entsprechend stolz und bestimmt verweisen sie auf die Vorteile der Errungenschaft. Kritiker dagegen sehen sich darin bestätigt, dass die Vergabe in das Wüsten-Emirat ohnehin an Idiotie grenze und nun in Größenwahn ende.

Die Abmachung zwischen Gastgeberland und Fußball-Weltverband lautet jedenfalls: maximal 27 Grad in den Arenen – bei teilweise 55 Grad Außentemperatur. Davon ist erst einmal auszugehen.

Ende Februar oder im März, munkeln sie in Katar, soll die Entscheidung fallen, ob die WM tatsächlich im Sommer stattfindet oder doch in den Winter verlegt wird.

„Für unsere Vorbereitungen macht es keinen Unterschied, ob wir im Sommer oder im Winter spielen“, sagt der Chef des WM-Organisationskomitees, Nasser al Khater, zum Abschluss seines viertelstündigen Vortrags. „So oder so: Die Stadien sind spätestens 2020 fertig, und es gibt detaillierte Pläne, wie wir sie nach der WM nutzen werden. Die Kühltechnologie wird in jedem Fall eingebaut.“ Bei Temperaturen von über 30 Grad zwischen März und Dezember nur logisch.

Lesen Sie auf der nächste Seite, warum das Alkoholverbot in Katar Fans davor bewahren kann, umzukippen.

"Es ist als ließe man den Kühlschrank offen und hofft, die Butter schmilzt nicht", sagt ein Experte zur Kühltechnik der WM-Stadien in Katar.
"Es ist als ließe man den Kühlschrank offen und hofft, die Butter schmilzt nicht", sagt ein Experte zur Kühltechnik der WM-Stadien in Katar.

© picture-alliance/ dpa, Fotalia, Montage: Thomas Mika

Die Kraft dieser sengenden Sonne nutzen die Katarer für ihre neuartige Technologie. In der Golf-Region scheint sie an 330 Tagen im Jahr, ideale Bedingungen für erneuerbare Energien. In Stadionnähe sollen deshalb riesige Solarfelder entstehen; sie sammeln tagsüber Sonnenenergie und richten diese mit Spiegeln auf ein Rohrsystem. Dort wird das Wasser auf 200 Grad Celsius erhitzt. Kern des Verfahrens sind dann die Absorptionsmaschinen. Sie wandeln die Hitze in Kälte um und speichern sie im Bauch der Arenen. Schließlich blasen Ventilatoren die kalte Luft über ein verschlungenes unterirdisches Netz ins Stadion. Auch die Form der Arenen spielt eine wichtige Rolle: Sie sehen fast alle aus wie Schüsseln. Da kalte Luft schwerer ist als warme, bleibt sie lange im Stadioninneren, selbst wenn das Dach geöffnet ist. Klingt nach Science-Fiction? Nun ja.

„Absorptionsmaschinen sind im Grunde seit Jahrzehnten bekannt und kommen in leicht abgewandelter Form in jedem Wohnmobilkühlschrank vor“, sagt der deutsche Experte Tobias Kut. Neu ist dabei nur, dass die Kälte ohne schädliche Klimagase erzeugt werden soll. An der Effektivität des katarischen Modells hat der Ingenieur trotzdem seine Zweifel. „Die produzierte kalte Luft wird bei den Spielen in die warme Nacht verpulvert. Das ist ungefähr so, als würde man den Kühlschrank offen lassen und erwarten, dass die Butter nicht schmilzt: nicht sehr vorausschauend.“

Ohnehin nehmen sie es mit der Ökologie nicht so genau in Katar: Wegen seiner Erdöl- und Erdgasvorkommen ist das Emirat zwar eines der reichsten Länder der Welt, durch die CO2-intensive Gasförderung aber auch einer der größten Klimasünder des Planeten. Die lächerlichen Benzinpreise von 16 Cent pro Liter in Verbindung mit einer hohen Anzahl zugelassener Autos tragen ihren Teil dazu bei, aber das ist eine andere Geschichte.

Fährt man dorthin, wo einmal neue Wunderarenen stehen sollen, in die Wüste, ist dort wenig mehr zu sehen als planierter Sand. Im Moment herrscht auf den meisten Baustellen noch Stillstand: Sieben von acht WM-Arenen warten auf ihren ersten Spatenstich. Bislang haben die Planer die neue Kühltechnologie nur im kleinen Rahmen erprobt: Sie ließen ein Mini-Stadion für 500 Besucher bauen. „All unsere Modelle zeigen, dass die Technologie funktioniert“, sagt OK-Chef Nasser al Khater. „Jetzt müssen wir sie auf die WM-Arenen erweitern.“ Im Durchschnitt sollen die Stadien 50 000 Besuchern Platz bieten.

Zudem müssen die Organisatoren öffentliche Plätze für tausende Besucher aus aller Welt herrichten. Geplant sind klimatisierte Zelte für bis zu 1500 Fans. Die Fanzonen für Public Viewing versprühen den Charme eines Kongresszentrums: Stuhlreihen, gedämpftes Licht, dutzende Leinwände. Bei der Handball-WM im Januar kamen sie kürzlich erstmals zum Einsatz, wirklich genutzt hat sie aber kaum jemand. War ja auch Winter und angenehm mild draußen. Eigentlich bestes Fußballwetter.

Ärzte warnen bei den hohen Temperaturen vor einem Wechselschock

Im Sommer sind gekühlte Orte umso wichtiger. Und nicht ungefährlich. Welcher westliche Mensch kann schon von sich behaupten, einmal in Sekunden von 50 Grad Außen- auf 25 Grad Innentemperatur abgekühlt worden zu sein?

„Die größte Herausforderung für den Körper besteht darin, einen Wechselschock zu vermeiden“, sagt Markus de Marées von der Deutschen Sporthochschule Köln. Beim ständigen Hin und Her zwischen klimatisierten und nicht klimatisierten Räumen dürften Fans eher an ihre Grenzen stoßen als der wohlbehütete Herr Nationalspieler, der vom Hotel aus mit dem Bus ins Stadion kutschiert wird. Sportlich rät de Marées jedem, pünktlich anzureisen. „Körperliche Probleme lassen sich bei einer Eingewöhnungszeit von etwa zwei Wochen vor Ort verhindern oder zumindest minimieren“, sagt der Sportmediziner.

Ein weiterer wichtiger Faktor lässt sich hingegen kaum beeinflussen: die enorme Luftfeuchtigkeit. „Der Schweiß des Sportlers kann auf der Haut nur verdampfen und kühlen, wenn die Luft noch Feuchtigkeit aufnehmen kann“, sagt de Marées. Ansonsten tropft der Schweiß einfach auf den Boden. Die Gefahr, dass der Körper irgendwann kollabiert, steigt damit. Angesichts der absehbaren Luftfeuchtigkeit von über 90 Prozent im Sommer wird eine Verbot der Gastgeber so beinahe zur Rettung: Bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen wird, wie in Katar üblich, öffentlich kein Alkohol ausgeschenkt. Auch wenn Bier vordergründig den Durst löscht, würde es die Fans innerlich noch mehr austrocknen.

Kicken unter Palmen. Die einzige von acht WM-Arenen, die schon steht, ist das Khalifa International Stadium.
Kicken unter Palmen. Die einzige von acht WM-Arenen, die schon steht, ist das Khalifa International Stadium.

© imago/Eibner Europa

Stellen Sie sich vor, es ist also 2022, und Sie kommen nach Katar. Fahren Sie in die Wüste, um sich von umgewandelter Sonnenenergie kühlen zu lassen? Riskieren Sie eine Klimaanlagen-Erkältung und verzichten auf das Bier zum Spiel? Oder drehen Sie am Terminal direkt wieder um? Der heimische Garten ruft. Der ist nicht modern, aber gut fürs Klima.

Es ist, als würde man den Kühlschrank offen lassen und hoffen, die Butter schmilzt nicht

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