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© AFP

Fußball in England: You’ll never protest alone

Der englische Klubfußball hat Erfolg, entfremdet sich aber von seinen treuesten Fans. Beim FC Liverpool und anderswo regt sich jetzt Widerstand.

Von Markus Hesselmann

Die Fans des FC Liverpool könnten in diesen Tagen glückliche Menschen sein. Der Saisonstart in der Premier League ist gelungen. Der Rekordmeister liegt auf Platz zwei, punktgleich mit Tabellenführer FC Chelsea. Zuletzt gab es einen 2:1-Sieg über den großen nordenglischen Rivalen Manchester United – eine Ansage, dass Liverpool die Bestmarke von 18 Meistertiteln nicht kampflos mit Manchester (derzeit 17) teilen will. Und dann glückte gestern Abend auch noch der Auftakt in der Champions League. 2:1 gewann Liverpool bei Olympique Marseille.

Doch in Liverpool und anderswo auf der Insel sind viele Fans gar nicht glücklich. Sie haben genug vom kommerziellen Irrsinn des englischen Klubfußballs, der reich und im Europacup dominant ist, sich aber gleichzeitig von seinen treuesten Fans entfremdet. Genug von häufig wechselnden Eigentümern ohne Bezug zum Klub oder zum englischen Fußball überhaupt. Genug von horrenden Eintrittspreisen. Genug von der Eventkultur im Stadion, die kaum noch Raum für eigene Kreativität lässt. Genug vom Pay-TV, das den Spielplan diktiert und auseinanderreißt und dem frei zugänglichen Fernsehen immer weniger Fußball überlässt.

Eine Fan-Gewerkschaft im Geiste des großen Bill Shankly

Jetzt regt sich Widerstand. In Liverpool hat sich in diesem Jahr „die erste Fußball-Fan-Gewerkschaft des Landes“ gegründet, wie die Organisatoren sich selbst stolz annoncieren. Im Herbst – das genaue Datum steht noch nicht fest – soll es eine erste Hauptversammlung geben von „Liverpool-Fans aus aller Welt“. Die Gewerkschafter berufen sich auf den größten Helden des Klubs: Bill Shankly – genau, das ist der mit dem berühmten Spruch, demnach Fußball nicht so wichtig sei wie Leben und Tod, sondern viel wichtiger.

Shankly hatte den abstiegsbedrohten Zweitligisten FC Liverpool 1959 übernommen und führte den Verein bis zu seinem Rücktritt 1974 zu drei Meisterschaften, zwei FA-Cups und einem Uefa-Pokal. Mit ihrem Namen „Spirit of Shankly“ (Geist Shanklys) beruft sich die „Liverpool Supporters Union“ auf den großen Trainer, Arbeitersohn und bekennenden Sozialisten, dessen zweiter berühmter Spruch so lautet: „Der Sozialismus, an den ich glaube, bedeutet, dass jeder für den anderen arbeitet und alle einen Anteil am Lohn haben. So sehe ich den Fußball und so sehe ich das Leben.“

Protestmarsch und Gipfeltreffen

Vor dem Spiel gegen Manchester United tat die Gewerkschaft nun, was Gewerkschaften tun, und rief zu einem Protestmarsch auf. Knapp 3000 Fans demonstrierten gegen die amerikanischen Klubeigner George Gillett und Tom Hicks und forderten deren Rücktritt. „Es war ein tolles Gefühl, erst Tausende Fans auf der Straße zu sehen und dann die Mannschaft im Stadion anzufeuern und zu gewinnen“, sagt James McKenna von „Spirit of Shankly“. Das Fan-Lied „You’ll never walk alone“ sang sich an diesem in doppelter Hinsicht erfolgreichen Tag noch inbrünstiger. Der 21-jährige McKenna ist Liverpool-Fan „so lange ich denken kann“.

Nicht die Herkunft der beiden Klubchefs sei das Problem, betont McKenna, sondern dass sie keine Ahnung vom Fußball hätten und es ihnen nur um Geld und Prestige ginge. Bei einem Treffen mit den Gewerkschaftern verwies Gillett darauf, dass es Liverpool finanziell gut gehe, gab aber zu, dass die Kommunikation im Klub verbessert werden müsse. McKenna und Kollegen aber fordern einen grundlegenden Wandel in der Beziehung zwischen Fans und Klubs. „So wie in Deutschland“, sagt James McKenna. „Da reden die Fans mit. Da müssen die Vereine auf die Fans eingehen.“

Fußball als Thema im Parlament

Auch was andernorts auf der Insel geschieht, macht den Liverpoolern Mut. Bei Newcastle United etwa protestierten Fans nach dem Aus ihres Lieblingstrainers Kevin Keegan, bis Klubchef Mike Ashley entnervt zurücktrat. „Die Fans merken, dass sie gemeinsam etwas erreichen können“, sagt McKenna. Sich abzuspalten und einen eigenen Klub zu gründen nach dem Vorbild einiger Manchester-United-Fans und ihres FC United ist für ihn keine Alternative. „Für mich gibt es nur einen Klub, den FC Liverpool.“

Der wachsende Unwillen der Fans schreckt sogar die Politiker in London auf. Anfang Oktober will sich das Parlament in Westminster mit den kommerziellen Auswüchsen des Fußballs auf der Insel befassen.

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