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Spuren der Katastrophe. Ein verwüsteter Sportplatz in Fukushima.

© Javier Sauras

Fußball in Fukushima: Mit dem Geigerzähler zum Spiel

Zwei Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima kämpfen die Menschen in der Gegend weiter um Normalität. Die Angst vor den unbekannten Gefahren schreckt viele Eltern davor ab, ihre Kinder auf die Sportplätze zu lassen.

Masaki Moriyama weiß noch nicht, ob er sich freuen darf. Gerade hat der zwölfjährige Torwart zwei Bälle reingelassen, die haltbar gewesen wären. Seine Mannschaft, der Nihonmatsu FC, hat das erste Turnierspiel verloren. Aber noch sei nicht alles dahin, muntert ihn sein Trainer auf. „Jungs, in zwei Runden seid ihr wieder dran“, sagt er den Kindern, die zwischen Sporttaschen auf dem Boden sitzen. Masaki sitzt etwas abseits, nicht nur, weil er sich für die Niederlage verantwortlich fühlt. Ein wenig auch deshalb, weil er seine Mitspieler nicht gut kennt. Vor nicht allzu langer Zeit spielte er noch in einer anderen Mannschaft. „Aber ich freue mich schon, wieder auf den Platz zu dürfen“, sagt er dann leise.

Mehr als zwei Jahre durften Nachwuchsfußballer wie Masaki Moriyama in der Gegend um Fukushima nicht unter freiem Himmel spielen. Zu hoch ist die radioaktive Strahlung seit der größten Katastrophe der Nachkriegszeit gewesen. Am 11. März 2011 bebte zunächst die Erde mit der Stärke 9,0. Kurz darauf trug der Pazifische Ozean bis zu 23 Meter hohe Wellen an die Küste. Ganze Dörfer wurden weggespült, und durch die Wucht des Tsunamis folgte auch noch ein Reaktorunglück. Die „dreifache Katastrophe“, wie diese dunklen Tage genannt werden, hat alle erwischt. Fast 16.000 Tote gab es, mehr als 2700 Personen gelten bis heute als vermisst. 315.000 Menschen im Umkreis von 40 Kilometern mussten umsiedeln, auch Masaki.

Die Auswirkungen machen sich auch jenseits dieses Radius bemerkbar, in allen Lebenslagen. So etwa in Fukushima-Stadt, 60 Kilometer entfernt vom havarierten Kraftwerk, wo sich im Tal radioaktive Wolken aufstauen und seither sportliche Aktivitäten stark eingeschränkt sind. „Bis vor kurzem konnte man kaum rausgehen“, sagt der Mexikaner Juan Saldivar am Rand des Spielfelds. Er ist vor acht Jahren nach Fukushima gekommen, sollte hier eigentlich Profifußballer werden, doch der Verein, bei dem er anheuerte, schaffte den entscheidenden Aufstieg nicht. Heute arbeitet er als Lehrer und verschreibt sich der Nachwuchsförderung, besonders seit dem März 2011. Erst allmählich merkt er, wie groß diese Aufgabe ist.

Fußballerisch ist die Präfektur zu Brachland geworden. Ein Eliteinternat des Japanischen Fußballverbands in der Nähe, wo 100 der talentiertesten Nachwuchsspieler ausbildet wurden, musste geschlossen werden. Bis heute wird es für Räumungs- und Dekontaminierungsarbeiten genutzt. Die rund 100 Sportklubs und Schulmannschaften, die in der Umgebung vor der Katastrophe aktiv waren, haben sich dezimiert. „Viele Kinder durften nicht mehr spielen“, sagt Saldivar. „Die Eltern haben Angst, weil sie den manchmal verharmlosenden Informationen der Regierung nicht trauen. Du siehst oder fühlst die Strahlung ja nicht, das macht dich misstrauisch.“ Saldivar, der Lehrer und Vater, versteht diese Angst. Auch er lässt seine vierjährige Tochter täglich nur für eine kurze Zeit nach draußen an die Luft.

Fukushima: Viele Sportvereine existieren nur noch auf dem Papier

Endlich wieder spielen. Viele Fußballtalente haben die Region Fukushima aus Angst vor der radioaktiven Strahlung bereits verlassen. Die, die geblieben sind, versuchen sich auf den Fußballplätzen abzulenken.
Endlich wieder spielen. Viele Fußballtalente haben die Region Fukushima aus Angst vor der radioaktiven Strahlung bereits verlassen. Die, die geblieben sind, versuchen sich auf den Fußballplätzen abzulenken.

© Javier Sauras

In den evakuierten Dörfern um Fukushima sind verlassene Sportplätze zu sehen. Viele Vereine existieren nur noch auf dem Papier, Mitgliedsbeiträge aber werden keine mehr gezahlt. „Wir hatten eine sehr starke Jugendmannschaft“, sagt Norio Kanno, der Bürgermeister der evakuierten Ortschaft Iitate. „Die Trainer sagten, einige hätten das Zeug zum Profi. Aber jetzt sind sie alle weg, die meisten spielen gar nicht mehr.“ Die Strahlung in Iitate ist so stark, dass Kanno sein Büro in ein Nachbardorf verlegen musste. Auf dem Sportplatz der Junior High School liegen flaue Bälle und einige verstaubte Paar Schuhe. Auf dem Boden sind Spuren von Raubvögeln zu sehen.

So wird befürchtet, dass Japans aufstrebender Nachwuchsfußball, der in den vergangenen Jahren einen internationalen Erfolg nach dem anderen einspielte, in Fukushima ganze Generationen von Talenten verliert. Nur Engagierte wie Juan Saldivar versuchen, das zu verhindern. Auf der größten Sportanlage der Stadt wurde auch auf seinen Druck hin die Erde abgetragen und ein Kunstrasen installiert. Seit Ende März organisiert Saldivar mit einem Kollegen Turniere, um die Kinder aus ihren Zimmern auf den Sportplatz zu locken.

Aber ob das reicht, ist ungewiss. Direkt neben den Spielfeldern, wo gerade auch Masaki Moriyama wieder im Tor steht, liegt die radioaktive Erde begraben. Vielen Eltern ist das nicht geheuer, Saldivar gerät deswegen regelmäßig in Auseinandersetzungen „Ich gehe vor jedem Spiel mit dem Geigerzähler über den Platz. Ich will einfach sicher sein“, sagt die junge Mutter Yukari Miura. Ihre achtjährige Tochter Amane steht in Fußballkleidung neben ihr und schaut eingeschüchtert. „Amane fasst den Boden nicht mehr an, sie lacht auch nicht mehr so viel wie früher. Sie kriegt die Gefahren hier genau mit“, sagt Miura. „Aber sie will spielen, deswegen lasse ich sie.“ Viele andere Eltern ließen dies allerdings nicht zu, sagt sie.

Fukushima: Niemand hier weiß, was genau die Strahlung, mit einem anstellt

Das Problem kennt auch Masaki. Als ihm und seinen Eltern vor gut zwei Jahren ein Tag gegeben wurde, um ihr Heimatdorf Namie zu evakuieren, löste sich sein alter Fußballklub einfach auf. „Ich würde lieber wieder in meine alte Mannschaft“, sagt er und schaut auf den Boden. „Aber meine Freunde haben aufgehört, weil sie nicht mehr spielen dürfen.“ Ob er auch Angst habe? Er zuckt mit den Schultern. Niemand hier weiß, was genau die Strahlung, deren Werte von Tag zu Tag wechseln, mit einem anstellt. So viel versteht auch Masaki. „Aber es nützt nichts“, sagt Juan Saldivar. Das alles sei kein Grund, dem vielleicht wichtigsten Sport der Region fernzubleiben.

Der stellvertretende Chef des geschlossenen Eliteinternats, Toyoharu Takata, sagte vor kurzem sogar: „Wir können nur dann wieder auf die Beine kommen, wenn wir den Fußball wiederherstellen.“ An diesem Sonntag sieht es einmal so aus, als könnte das gelingen. Die Kinder spielen mit dem Elan vergangener Tage, und die Eltern feuern an. Nur haben viele von ihnen ein Messgerät in der Tasche. Und Juan Saldivar kennt die Vorbehalte: „Sobald es regnet, müssen wir sofort alles abblasen. Man weiß nie, was da von den Wolken runterkommt.“

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