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Alle für ein Land. Die isländischen Fußballer überraschten nicht nur bei der EM 2016, sondern qualifizierten sich auch erstmals für ein WM-Turnier.

© Abedin Taherkenareh/dpa

Fußball in Island: „Wir haben 100 Profis im Land“

Die Nationaltrainer der Frauen und Männer über den beispiellosen Erfolg des isländischen Fußballs, Talente in jedem Dorf und die persönliche Verbindung der Fans zu den Spielern.

Herr Hallgrimsson, Herr Alexandersson, hinter Ihnen liegen historische Siege. Islands Männernationalmannschaft fährt erstmals und als bisher kleinstes Land überhaupt zur Fußball-WM und die Frauennationalmannschaft hat kürzlich für die erste deutsche Niederlage bei einer WM- Qualifikation seit 1998 gesorgt. Haben Sie sich mittlerweile an den Erfolg gewöhnt?

HALLGRIMSSON: Diese Erfolge sind wichtig, weil wir endlich die Anerkennung für all die Jahre harte Knochenarbeit bekommen. Der isländische Fußball hat sich dank dieser Erfolge international Respekt verschafft. Das ist nicht selbstverständlich für so ein kleines Land und eine große Genugtuung.

ALEXANDERSSON: Es ist ein unfassbares Privileg, ein Teil dieses Erfolgs zu sein. Jeden Morgen bin ich dankbar dafür, aber ich bin mir auch bewusst, dass es keine Garantie auf Erfolg gibt, sondern dass er hart erarbeitet werden muss. Man sollte sich also nicht zu sehr an ihn gewöhnen.

Vor zehn Jahren war Island noch ein Fußballzwerg. Heute wird von beiden Teams erwartet, dass sie sich für die großen Turniere qualifizieren und dort Topleistungen zeigen. Haben Sie sich endgültig von der Außenseiterrolle verabschiedet?

ALEXANDERSSON: Viele Isländer ja, ich nicht. Die Frauennationalmannschaft hat sich letztes Jahr als Gruppenerster für die diesjährige EM qualifiziert und bis auf ein Spiel alle gewonnen. Anstatt diesen Erfolg zu würdigen, wurde er als Selbstverständlichkeit aufgenommen. Es hieß sogar, bei der Gruppe sei der erste Platz Pflicht. Solche Aussagen lassen in Vergessenheit geraten, dass Erfolge vor zehn Jahren nicht der Regelfall waren. Island hat nur 334 000 Einwohner, die Außenseiterrolle können wir gar nicht abstreifen.

HALLGRIMSSON: Wir dürfen uns nicht überschätzen. Wir werden immer Außenseiter sein, aber das heißt nicht, dass wir nicht erfolgreich sein können. Wir dürfen uns auch nicht kleiner machen als wir sind. Nach der EM wurde mir von einigen Freunden ans Herz gelegt, auf dem Höhepunkt aufzuhören. Und jetzt, etwas mehr als ein Jahr später, haben wir uns erstmalig für eine WM qualifiziert. Wir müssen optimistische Realisten sein. Eine knappe Niederlage gegen ein Topteam wie Deutschland kann auch eine historische Leistung für uns sein.

Was ist denn das Erfolgsgeheimnis dieses beachtlichen Aufstiegs?

HALLGRIMSSON: Wir waren bis vor Kurzem noch Amateure, es gab nur sehr wenige Profis, bei Weitem nicht genug, um eine erfolgreiche Mannschaft zu formen. Über die Jahre wurden Nachwuchstalente aber besser gefördert, viele gingen ins Ausland und wurden dort ausgebildet. Heute haben wir ungefähr 100 Profispieler. Das ist ein Witz im internationalen Vergleich, aber es kommt nicht nur auf Masse an. Des Weiteren haben wir viel in Infrastruktur investiert. Früher hatten wir nur ein paar Fußballfelder, die meist in schlechtem Zustand und im Winter – und der ist lang hier – unbespielbar waren. Jetzt gibt es überall überdachte Spielhallen, die es erlauben, das ganze Jahr über zu trainieren.

ALEXANDERSSON: Der Erfolg der Herren ist auch Heimirs Verdienst. Vor der EM wollte hier niemand über die WM- Qualifikation sprechen, weil die Vorfreude auf das anstehende Turnier so groß war, aber für Heimir war die WM- Quali bereits Thema, weil die Erfolge für ihn Etappensiege einer fortwährenden Entwicklung sind.

Island hat eine der höchsten Trainerdichten pro Einwohner weltweit. Wie wichtig ist das für den Erfolg?

HALLGRIMSSON: Sehr wichtig. Fast alle Trainer hier, selbst die für die Jugend-Mannschaften, haben eine A- oder B-Lizenz. Selbst in dem entlegensten Dorf gibt es heute professionelle Fußballhallen und -trainer. Das gibt es in fast keinem Land und es hat unsere Nachwuchsarbeit enorm verbessert. Der Erfolg der letzten Jahre hat eine Rekordzahl an Kindern und Jugendlichen – Jungen und Mädchen – dazu motiviert, Fußball zu spielen. Deshalb braucht es geschulte Trainer, um diese Chance zu nutzen.

Island gilt als Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung. Gilt das auch für den Fußball?

ALEXANDERSSON: Ja, ich glaube schon. Vor zehn Jahren war es üblich, dass weibliche Nachwuchstalente in den Teams der Jungen spielten – oft aus Not heraus, weil es zu wenige Spielerinnen gab, um eine Mannschaft auf die Beine zu stellen. Aber auch, weil es diese strikte Geschlechtertrennung hier nicht gibt. Es wird nicht nach Geschlecht, sondern nach Talent bewertet. Heute gibt es ausreichend Spielerinnen, weshalb es wieder mehr getrennt abläuft. Aber die meisten Nationalspielerinnen haben früher mit den Jungs trainiert. Das Einzige, was Frauen und Männer hier noch deutlich unterscheidet, ist das Geld. Die Gehälter für die Frauen sind ein Witz. Das ist aber kein isländisches Phänomen. Ich könnte mich stundenlang darüber aufregen.

HALLGRIMSSON: Jetzt haben Sie die Büchse der Pandora geöffnet (lacht). Aber leider muss ich Freyr zustimmen.

ALEXANDERSSON: Die isländischen Spielerinnen haben auch international noch nicht das Ansehen, das sie verdienen. Eine unserer besten Spielerinnen, Dagny Brynjarsdottir, war an einer renommierten Akademie in den USA und wollte in eine europäische Profiliga wechseln. Ich trat mit Bundesligaklubs in Kontakt, die noch nie von ihr gehört hatten. Besagte Spielerin traf beim jüngsten Sieg gegen Deutschland doppelt. So etwas ist bei den Männern undenkbar. Die Talentscouts sind da viel wachsamer.

Gibt es zwischen Ihnen beiden regelmäßigen Austausch oder arbeiten beide Teams getrennt voneinander?

HALLGRIMSSON: Ganz im Gegenteil: Wir helfen einander, wo es nur geht, und stehen im ständigen Austausch. Ich reise auch oft mit Freyr zu Turnieren der Frauen und er mit uns. Wir können uns bei der Größe des Landes ja auch schlecht aus dem Weg gehen (lacht). Wir können auch nicht ständig ins Ausland fliegen, um uns mit anderen Trainern auszutauschen. Die Isolation erfordert eine gewisse Kooperation. Ich begrüße das aber sehr.

ALEXANDERSSON: Ich kenne jede von Heimirs Entscheidungen und er meine. Das ist in anderen Ländern nicht so.

Island haftet etwas Märchenhaftes und teils Skurriles an. Dass Sie, Herr Hallgrimsson, neben Ihrer Trainerrolle auch noch als Zahnarzt arbeiten, passt in dieses Bild der Sonderlinge. Nervt es Sie zuweilen, dass dieses Image die Professionalität überschattet, die Sie und die Spieler an den Tag legen?

HALLGRIMSSON: Diese Erfolgsgeschichte ist ein gefundenes Fressen für die ausländischen Medien. Es stört mich allerdings nicht, dass Leute das witzig oder sonderbar finden. Ich kann es nachvollziehen. Island ist ein sehr besonderes Land, hier laufen Dinge eben anders ab. Ich freue mich aber, dass Leute sich für unser Team begeistern können und uns so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Nicht nur beide Teams werden im Ausland gefeiert, sondern auch die Anhänger, die Ihre Mannschaften mit dem mittlerweile legendären „Viking Clap“ energisch unterstützten. Was können andere Länder von dieser Fußballeuphorie lernen?

ALEXANDERSSON: Es ist wichtig klarzustellen, dass das nicht immer so war. Vor zehn Jahren war das Stadion nur selten ausverkauft. Heute haben wir eine einzigartige Fankultur, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern. Sie unterstützen ihr Land und es ist ihnen egal, ob es das Männer- oder das Frauenteam ist. Andere Länder beneiden uns um unsere Anhänger.

HALLGRIMSSON: Man darf nicht vergessen, dass es auch eine persönliche Nähe gibt. Viele Fans kennen die Spieler oder die Trainer persönlich. Spieler und Anhänger sind Ebenbürtige. Das kann in Deutschland nicht funktionieren. Der isländische Fußball funktioniert wie ein Familienunternehmen. Jeder ist involviert.

ALEXANDERSSON: Auf meinem Weg hierher bin ich beim Tanken einem Fan begegnet, der mir sagte, wie sehr er der anstehenden WM-Auslosung am 1. Dezember entgegenfiebert. Direkt danach fragte er mich, ob ich ihm am zweiten Dezember bei seiner Reiseplanung helfen kann. Natürlich werde ich ihm helfen!

Was sind denn Ihre Erwartungen für die bevorstehende WM?

HALLGRIMSSON: Ich will natürlich so weit kommen wie nur möglich. Ich glaube, wir haben aber nur eine Chance, wenn wir uns und unserer Spielweise treu bleiben. Wir können uns nicht am Fußball der Spanier oder der Deutschen orientieren, weil dort eine ganz andere Fußballkultur herrscht. Wir haben einen großartigen Teamgeist und den müssen wir bewahren. Das ist unsere Stärke.

Sie dürften mittlerweile für viele Teams – allen voran England – ein Angstgegner sein. Auf wen würden Sie gerne treffen?

HALLGRIMSSON: Es gibt keine einfachen Gegner bei der WM, aber auch keine unschlagbaren. Ich denke aber, dass Mannschaften wie die deutsche, die sehr beständig spielen, für uns schwere Gegner sind. Wir werden nicht die Favoriten sein, das steht fest. Das waren wir aber auch bei der EM nicht und trotzdem haben wir Historisches geleistet.

Das Gespräch führte Max Tholl.

Heimir Hallgrimsson,

50,
ist seit 2013 Trainer der isländischen

Männer, mit denen er 2016 überraschend bis ins Viertelfinale der EM kam. Er arbeitet nebenbei Teilzeit als Zahnarzt.

Freyr Alexandersson,

34,
trainiert das

Frauennationalteam Islands. Zuletzt gelang ihm mit der Mannschaft sensationell ein Sieg gegen die Deutschen in

der WM-Qualifikation.

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