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Götter oder Götzen? Franz Beckenbauer, Fritz Walter, Günter Netzer und Sebastian Deisler (v.l.) haben sich um den deutschen Fußball verdient gemacht, jeder auf seine Art.

© AFP/ddp/ dpa, Montage: Mika

Fußball-Legenden: Ruhm, wem Ruhm gebührt

Warum gibt es keine deutsche Hall of Fame des Fußballs? Es entstünde ein Gespräch darüber, wer unser Spiel schön und groß gemacht hat. Ein Plädoyer für eine würdige sportliche Erinnerungskultur.

Es gibt auch nach mehr als 100 Jahren intensiv empfundener Sportgeschichte keine deutsche Hall of Fame des Fußballs. Und man muss nicht unbedingt in Nordamerika leben, um sich zu fragen, warum das eigentlich so ist. Warum ehren wir die größten Helden unseres Sports nicht an einem eigenen Ort, stellen ihre historischen Leistungen würdig aus, feiern ihren bleibenden Beitrag zur Schönheit des Spiels? Im Moment gibt es in unserem Land nicht einmal ein anständiges Fußballmuseum. Der DFB ist mit einem geplanten Bau in Dortmund möglicherweise im Begriff, dies zu ändern. Aber Hall of Fames – zu wörtlich übersetzt also Ruhmeshallen – sind keine Museen. Sie sind Orte kollektiv erinnerter Exzellenz. Sie ehren damit Individuen, denen all diejenigen, die das Spiel lieben, Stunden zu verdanken haben, die sie ohne Zögern zu den schönsten ihres Lebens zählen wollen. Dagegen spricht wenig und schon gar nicht, dass Hall of Fames bislang vor allem eine nordamerikanische Spezialität zu sein scheinen.

Gewiss hat der Willen zu einem eigenen Ort sportlicher Heldenverehrung eine sakrale und damit religionsnahe Komponente, weshalb diese Einrichtungen konkret Gefahr laufen, als kitschige Schreine zu enden. Doch im positiven Fall handelt es sich schlicht um eine kulturell adäquate Form, sportliche Tradition zu stiften, aufzuschauen und auch kommende Generationen mit den legendären Leistungen der Vergangenheit zu inspirieren und zu leiten. Wie es etwa die Griechen mit den Helden ihrer Epen und übrigens auch ihrer olympischen Athleten taten. Und wenn es schon religiös gewendet werden muss: Was wäre an dieser sportlichen und damit radikal diesseitigen Form der Vielgötterei – gerade im Angesicht vorherrschender Alternativen – eigentlich so verwerflich? Vor allem wenn man bedenkt, wer derzeit Regie führt, wenn es um den Aufbau und die Pflege von sportlichen Idolen und damit auch Vorbildern geht. Das ist die Werbeindustrie, letztlich also die großen Sportkonzerne. So weit es bisher zu beurteilen ist, droht auch das geplante Fußballmuseum des DFB eine sehr, sagen wir einmal, adidaslastige Geschichte der Nationalmannschaft in den Vordergrund zu stellen. Geschichtliche Erinnerung droht hier in den Dienst eines Konzerns und seiner Marketingabteilung genommen zu werden. Kriterien wahrhafter sportlicher Exzellenz spielen in solchen Prozessen oft eine untergeordnete Rolle, ja werden geradezu mit Füßen getreten.

David Beckham, ein ausreichend talentierter Spieler ohne bleibende Distinktion, ist seit mehr als einem Jahrzehnt der berühmteste Fußballer des Planeten. Ein künftiger Hall of Famer wäre der gute Mann gewiss in keiner der Ligen oder Länder, in denen er spielt oder spielte. Auch soll es in Deutschland nicht wenige acht- bis achtzigjährige Nutellaesser geben, die Lukas Podolski für den besten deutschen Fußballer halten. Unter derzeitigen medialen Erinnerungsbedingungen wird regelmäßig ein Schein von Größe und Wert erweckt, dem ein öffentliches, von Sachverstand geprägtes historisches Regulativ nicht schaden würde.

Nehmen wir zum Beispiel einen interessanten Grenzfall wie Andreas Brehme, den Siegesschützen des WM-Finales von Rom im Jahre 1990. Sein Elfmeter ist zweifellos historisch. Aber reicht ein legendäres Tor aus, um Aufnahme zu finden? Kaum. Brehme war über ein Jahrzehnt Teil der Weltklasse, errang mit verschiedenen Vereinen zahlreiche internationale Titel, war einer der wenigen wahrhaft beidfüßigen Außenverteidiger – siehe sein Rechtsschuss im damaligen Achtelfinale gegen Holland. Dennoch, man zweifelt. Dem guten Mann fehlt etwas. Aber was? Einmal so weit, reift die Idee, einfach das Weltmeisterteam von 1990 als Mannschaft in die Ruhmeshalle zu wählen, womit sich nicht zuletzt der absehbare Problemfall Lothar Matthäus erledigt hätte.

Man könnte sich das Auswahlverfahren, analog zu nordamerikanischen Vorgehensweisen, in etwa so vorstellen: Eine Jury aus kompetenten Kennern (ehemaligen Aktiven, Akademikern, Journalisten, Ausbildern), die das Spiel seit Jahrzehnten intensiv verfolgen, wählt jeden Frühling maximal eine Handvoll seit mehreren Jahren nicht mehr aktive Sportler, Trainer, Mannschaften, Manager oder Funktionäre in den bewahrenswerten Kreis der Erinnerung. Im Prinzip kann jeder berufen werden, der sein Leben in den Dienst des Spiels gestellt hat. Selbstverständlich würden die Entscheidungen dieser Jury von den Fans genau unter die Lupe genommen und in allerlei Foren heftig diskutiert. Es entstünde, positiv gewendet, ein öffentlich anhaltendes Gespräch darüber, wer und was unser Spiel schön und groß gemacht hat. Federführend als Institution wäre nicht der DFB, sondern im Idealfall eine von konkreten Sponsornöten wie lukrativen Postenschachereien möglichst unabhängige Institution – wie etwa die Deutsche Akademie für Fußballkultur.

Wie in Nordamerika der Fall, spielten im Auswahlprozess neben nackten Zahlen und Leistungen auch Fragen nach fairem Betragen und charakterlicher Gesamteignung eine wesentliche Rolle. Der Satz „das war eines kommenden Hall of Famers nicht würdig“ gehört in den USA zum festen Bestandteil der Fan- und Kommentarkultur und übt deshalb, wenn der Eindruck nicht täuscht, gerade auf die größten und deshalb nahezu allmächtigen Stars der Branche eine heilsam bildende Kraft aus.

Niemand will oder soll dabei vergessen, dass Ruhmeshallen in Deutschland einst zu einer Zeit aufkamen, da der Drang nach völkischer Selbstvergewisserung mit der Mode romantischer Genieverehrung bald einen unheilvollen Pakt einging. Skepsis und Vorsicht sind also geboten und begründet. Andererseits ist das Feld des Fußballs im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts geradezu zum Hort eines positiven, vielstimmigen und kulturell offenen Patriotismus geworden. Das soll gern so bleiben. Und man muss es ja nicht gleich „Ruhmeshalle“ nennen.

Ich habe an den möglichen guten Sinn eines deutschen „Stadions der Besten“ zum ersten Mal während eines Abendessens mit Dettmar Cramer denken müssen. Ein Trainer, ein Mensch, der gewiss ganz oben auf einer ersten Liste stünde und dessen Verdienste um den deutschen Fußball nicht nur groß, sondern tief sind. Welcher fußballbegeisterte Jugendliche kennt ihn heute, weiß von ihm? Oder sollen wir die Bewahrung seiner öffentlichen Präsenz dem Werbespot einer Bankengruppe oder eines Joghurtherstellers überlassen?

Dettmar Cramer hielt übrigens nicht viel von der lose vorgeschlagenen Idee eines Platzes in einer deutschen Hall of Fame des Fußballs. Das ehrt ihn. Aber wie steht es mit uns? Lieben wir den Fußball nur für den Moment oder wollen wir ihm, vor allem im Interesse kommender Fan-Generationen, auch die Ehre des bildenden Erinnerns erweisen?

Der Autor ist Journalist und Schriftsteller. Er spielt im linken Mittelfeld der Autorennationalmannschaft und lebt derzeit in Toronto, Kanada.

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