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Kölner Experiment: Jonas Hector vom 1. FC Köln steht vor seinem Nationalelf-Debüt.

© dpa

Fußball-Nationalmannschaft: Bundestrainer Löw verzichtet auf Experimente - bis auf Hector

Angesichts der jüngsten Ergebnisse verzichtet Joachim Löw lieber auf personelle Experimente, für einen versöhnlichen Jahresabschluss gegen Gibraltar und Spanien. Nur einen Linksverteidiger aus Köln will er testen.

Zwischen den aufregenden Terminen des Tages hat Manuel Neuer die maximale Entschleunigung gesucht. Der Torhüter ist am Montag mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zuerst beim Bundespräsidenten zu Gast gewesen, am Abend stand die Premiere des WM-Films „Die Mannschaft“ an – die kurze Zeit dazwischen hat Manuel Neuer genutzt, um sich für eine Stunde in die Sauna zurückzuziehen. Auch ein hartgesottener Fußballprofi, dem maximale Aufregung nicht fremd ist, braucht ab und zu ein wenig Entspannung.

Die deutschen Nationalspieler sind ja einiges gewöhnt, aber das Programm in Berlin, mit dem Besuch im Schloss Bellevue, dem Rencontre mit der politischen Elite des Landes und dem Roten Teppich am Potsdamer Platz, das war auch für ihre Verhältnisse ein besonders besonderes Erlebnis. „Es war für uns alle ein großer, sehr aufregender Tag“, hat Verteidiger Jerome Boateng am nächsten Tag berichtet. Es war der Tag, an dem sich die Vergangenheit noch einmal mit voller Wucht Geltung verschafft hat. Und es wird – entgegen den geheimen Planungen des Bundestrainers – vermutlich auch nicht der letzte gewesen sein. „Ich bin froh, wenn das Jahr vorbei ist“, sagt Joachim Löw.

Bis zu dessen Ende aber wird der Titelgewinn von Brasilien wohl noch nachwirken; weitere Ehrungen stehen für die Weltmeister an, dazu kommen die üblichen Rückblicke, in denen die WM und der Triumph von Rio naturgemäß noch einmal eine zentrale Rolle spielen werden. „Man kann nicht per Knopfdruck umschalten, das geht nicht von heute auf morgen“, sagt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. „Dazu waren das zu starke Impressionen.“ Schon bei den Feierlichkeiten in Berlin hat Bierhoff gemerkt, „dass es immer noch arbeitet, dass vieles noch nicht richtig archiviert ist“.

Joachim Löw wollte in dieser Hinsicht eigentlich schon weiter sein und in diesen Tagen nahtlos von der Vergangenheit in die Zukunft übergehen. Leider hat ihm die Gegenwart ein bisschen dazwischengefunkt.

Die beiden letzten Begegnungen der Nationalmannschaft im WM-Jahr, das EM- Qualifikationsspiel gegen Gibraltar am Freitag in Nürnberg und das Freundschaftsspiel gegen Spanien am Dienstag in Vigo, hatte der Bundestrainer eigentlich ausgeguckt, um ein paar Dinge auszuprobieren, um einigen hoch belasteten Spielern ein wenig Ruhe zu gönnen, dafür andere Kandidaten zu testen, die perspektivisch eine Rolle im Nationalteam spielen könnten. Die halbe Mannschaft von Borussia Mönchengladbach wurde daraufhin zu möglichen Nationalspielern befördert, am Ende aber berief Löw nur einen einzigen Neuling in sein Aufgebot: Jonas Hector vom Aufsteiger 1. FC Köln.

Vor vier Jahren spielte Neuling Jonas Hector noch in der Oberliga

Dessen Nominierung kam für die Öffentlichkeit jenseits der Kölner Stadtgrenzen ungefähr so überraschend wie für den Nominierten selbst. „Ich habe mich nie damit beschäftigt“, sagt Hector. „Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste, bin erst seit zweieinhalb Jahren Profi, habe nie in den U-Teams gespielt und bin in meiner ersten Bundesliga-Saison.“ Aber sein fortgeschrittenes Alter (24 Jahre), die mangelnde Erfahrung (elf Bundesligaspiele) – das alles verblasst neben der Tatsache, dass Hector Linksverteidiger ist, regelmäßig spielt und einen deutschen Pass besitzt. Eine immer noch äußerst seltene Kombination. „Er präsentiert sich in Köln in guter Form“, sagt Löw über den gebürtigen Saarbrücker, der noch vor vier Jahren in der viertklassigen Oberliga gespielt hat. „Wir wollen ihn mal näher kennenlernen.“

Damit aber hat sich die Neugier des Bundestrainers für dieses Mal erschöpft. Dass Löw von seinem ursprünglichen Plan des freudigen Experimentierens abgesehen hat, dafür sind laut Oliver Bierhoff „ein bisschen natürlich die Ergebnisse“ verantwortlich. Die Ergebnisse des Weltmeisters waren zuletzt wenig weltmeisterlich. Im Oktober verlor die Nationalmannschaft 0:2 in Polen, drei Tage später reichte es im eigenen Stadion gegen Irland nur zu einem 1:1, was den Deutschen in der Summe erst einmal Platz vier in ihrer Qualifikationsgruppe eingebracht hat. Das sollte man als Weltmeister lieber nicht so stehen lassen. „Wir möchten nach den etwas verkorksten Auftritten einfach noch einen guten Abschluss haben“, sagt Bierhoff. Gibraltar sollte dabei das geringste Problem darstellen. Der Bundestrainer hat bereits angekündigt, in der Vorbereitung kein einziges Wort über diesen Gegner zu verlieren, die Zeit stattdessen sinnvoller zu nutzen. Von Spanien, dem amtierenden Europameister und Vorgänger als Weltmeister, geht hingegen ein ganz anderes Bedrohungspotenzial aus. Einem solchen Gegner eine zusammengewürfelte Perspektiv-Elf entgegenzustellen, das wäre mit unkalkulierbaren Risiken verbunden gewesen. „Insofern wollten wir da auf Nummer sicher gehen und keine Spielereien machen“, sagt Oliver Bierhoff. Das sind sich die Deutschen einfach schuldig. Auch oder gerade nach einem solchen Jahr.

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