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Neue deutsche Spielfreude mit Özil (links) und Müller.

© dpa

Analyse: Deutschland kickt, wie Lena singt

Tagesspiegel-WM-Reporter Michael Rosentritt analysiert: Die junge Nationalmannschaft gewinnt gegen Australien nicht nur einfach so, sie verzückt die gesamte Nation mit einer lange nicht gesehenen spielerischen Leichtigkeit.

Los ging es ja mit dem linken Fuß von Lukas Podolski. Alles, was man über diesen linken Fuß weiß, ist, dass er etwas Unwiderstehliches haben kann. Diese Wucht, diese Unaufhaltsamkeit. Mark Schwarzer, der australische Torwächter, der vor dem Spiel gestänkert und eine Schwachstelle im deutschen Team bei seinem jungen Gegenüber, Manuel Neuer, ausgemacht hatte, stemmte sich diesem Wums mit allem entgegen, was in ihm steckte. Doch die Wucht riss den 37 Jahre alten Australier vom FC Fulham in jener achten Spielminute gleich mit ins Netz.

Da flogen sie also nun durchs schön geschwungene Oval von Durban am anderen Ende der Welt, die alten Klischees vom deutschen Kraftfußball. Von den teutonischen Eisenfüßen, die die Gegnerschaft traktieren, die nie aufgeben und am Ende den Ball irgendwie – meist mit aller Gewalt – ins Tor bringen. Joachim Löw war das in jenem Moment völlig einerlei. Er ahnte vermutlich, dass dies der Startschuss in eine neue Zeitrechnung werden würde. Und vielleicht war es ja auch so, dass dieses junge Team diesen einen Knallschuss benötigte, um Sicherheit zu erlangen. Sicherheit für ein Spiel, wie es die Welt schon so lange nicht mehr gesehen hat von einer deutschen Elf: herrlich schönen Offensiv- und Kombinationsfußball.

Deutschland spielt, wie Lena singt, oder, wie der „Corriere della Sera“ schrieb: „Das neue Deutschland schickt die Fantasie an die Macht.“

Joachim Löw hatte sich gegen Mitternacht längst wieder gefangen. „Es sind noch einige Dinge zu verbessern“, sagte der Bundestrainer. Der Satz traf die Ohren der Weltpresse mindestens so unvorbereitet wie zuvor die neue deutsche Spiellust die überforderten Kicker aus Ozeanien. Was wollte Löw damit sagen? Wollte er einfach nur die Euphorie bremsen, oder war es mehr eine Botschaft an die kommende Gegnerschaft, die von anderer Qualität sein wird, als es die Australier waren? Der rauschhafte Auftakt der Deutschen, den in der Heimat beinahe 30 Millionen Menschen verfolgten, hat die Konkurrenz geschockt.

„Ich sehe es als Vorteil an, mit welcher Leichtigkeit diese junge Mannschaft an die Spiele geht. Diese darf dieses junge Team nie verlieren“, sagte hinterher Miroslav Klose, der mit dem 2:0 sein elftes WM-Tor erzielt hatte. Nach ihm war sein Münchner Vereinskollege Thomas Müller an der Reihe. Der ist erst 20 Jahre jung und spielte so abgeklärt, als stünde er wie der 32-jährige Klose dicht vor seinem 100. Länderspiel für Deutschland. „Was soll ich schon sagen zu Thomas?“, sagte Klose, „er spielt einfach unbekümmert, spielt einfach drauflos.“

Und wie er das tat. Er und der Bremer Mesut Özil erspielten den Deutschen eine Hoheit im Mittelfeld, eine Dominanz, die manchen Beobachter an die Wunderelf von 1972 erinnerte. Das war lange vor Thomas Müller, aber genau in jener Zeit machte ein gewisser Müller Gerd die Strafräume der Welt unsicher. „Ich musste ja irgendwie meine Rückennummer rechtfertigen“, sagte der neue Shootingstar in Anspielung auf die 13, die einst der „Bomber der Nation“ getragen hatte. Ob er nicht nervös gewesen sei als WM-Neuling, wurde er gefragt: „Ich und nervös?“, fragte er zurück. Nein, er habe das DFB-Pokalfinale gespielt, im Champions-League-Finale gestanden, sei Deutscher Meister geworden, „ich denke, so leicht kann mich nix mehr aus der Ruhe bringen“.

Im Prinzip spielte Thomas Müller da weiter, wo er mit dem FC Bayern unter Louis van Gaal aufgehört hatte. „Wir spielen hier Louis van Löw“, sagte er und musste laut lachen. Doch so weit weg von der Wirklichkeit war er damit gar nicht. Wie der Holländer legt auch Löw größten Wert auf eine taktisch meisterhafte Raumaufteilung. „Das ist die Basis von allem“, sagte Löw, nur wenn diese in der Defensive und Offensive stimme, könne man den Ball zirkulieren lassen, „dann kann man attraktiven Fußball spielen. Ich möchte von meiner Mannschaft Kombinationsfußball sehen“.

Nach diesem Bilde hat der Bundestrainer sich seine Mannschaft nun geformt. Ganz unabhängig vom Alter hat er Spieler ausgewählt, die geschickte Füße haben, die die nötige gedankliche Schnelligkeit mitbringen und über eine „enorme Willenskraft“ verfügen, wie er sagte.

Tatsächlich kam der Auftritt von Durban einem fußballerischen Erlebnis gleich. In der Zentrale bestimmte neben Bastian Schweinsteiger ein 23-Jähriger den Rhythmus – Sami Khedira, der, so Löw, spielt, „wie ein junger Michael Ballack“. Und dann erst Özil, der geradezu idealtypisch ist für die Löw’sche Spielauffassung. Dem jungen Bremer bescheinigte der Bundestrainer höchstes internationales Niveau.

Nach einer kurzen Nacht wirkte der Bundestrainer bei aller Konzentration fast beschwipst. Als er hörte, dass es mittlerweile einen Song gibt mit dem Titel „Give me hope, Joachim“, sagte er: „Oh, das Lied habe ich noch nicht gehört.“ Er wolle jetzt mal warten, bis es in die Top Ten der Charts kommt. „Dann wird es ja öfter gespielt.“

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