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WM-Schiedsrichter: Da gerät selbst Hitzfeld außer sich.

© AFP

Doppel-Interview: Schiedsrichter fordern: „Ein Recht auf Fehler“

Kartenflut, Abseitstore, nicht gegebene Treffer: Gerade über Schiedsrichter aus kleinen Ländern wird diskutiert. Die Refererees Lutz Michael Fröhlich und Felix Zwayer aus Berlin fordern Geduld und Verständnis. Ein Doppel-Interview.

TAGESSPIEGEL: Herr Fröhlich, Herr Zwayer, die Vorrunde ist noch nicht vorbei, doch schon wird über Schiedsrichter diskutiert. Was wünschen Sie sich in der Diskussion um Fehler?

LUTZ MICHAEL FRÖHLICH: Umstrittene Entscheidungen wird es immer wieder geben. Es hilft, wenn man sich inhaltlich damit auseinandersetzt und hinterfragt: Warum wurde so entschieden und nicht anders? Es hilft nicht, Entscheidungen zum Skandal aufzubauschen.

FELIX ZWAYER: Gerade Schiedsrichtern aus vermeintlich kleinen Fußballnationen sollte man erst einmal das Vertrauen schenken und bei Fehlern nicht gleich alles in Frage stellen.

TAGESSPIEGEL: Leicht gesagt, aber scheidet ein ganzes Land durch einen Fehler eines unerfahrenen Schiris ausscheiden, dann kocht die Volksseele.

ZWAYER: Das wird so nicht passieren. Es sind ja keine Neulinge dabei. Das sind alles erfahrende und sehr gut vorbereitete Schiedsrichter, die zu so einem großen Turnier fahren. Da ist sich die Fifa ihrer Verantwortung durchaus bewusst.

FRÖHLICH: Ob ein Schiedsrichter aus einer „großen“ oder einer „kleinen“ Fußballnation kommt, spielt keine Rolle. Es geht allein um seine Leistungen.

TAGESSPIEGEL: Ottmar Hitzfeld forderte, bei der WM sollten nur Schiedsrichter pfeifen, die in den großen Ligen aktiv sind, und nicht „irgendwo am Strand pfeifen“. Wäre ein Austausch eine Lösung, um Erfahrung zu sammeln?

FRÖHLICH: Wir haben einige Kooperationen mit anderen Nationalverbänden. Aber ein Schiedsrichteraustausch käme nach heutigem Stand allenfalls für Spiele ab der Dritten Liga in Frage.

ZWAYER: Unabhängig davon, ob einer tausend Spiele gepfiffen hat oder zehn – es gibt immer wieder Situationen, die unheimlich schwer zu entscheiden sind.

TAGESSPIEGEL: Müssten die Verbände Schiedsrichterentscheidungen nicht offensiver erklären?

FRÖHLICH: Wir denken über Maßnahmen nach, wie etwa nach den Spielen derÖffentlichkeit Informationen und Erklärungen zu Entscheidungen zur Verfügung zu stellen.

TAGESSPIEGEL: Die Uefa veröffentlichte vor der WM die Doku „Referees at Work“, die Ängste und Leiden der Unparteiischen zeigt. Werden Sie zu wenig als Menschen wahrgenommen?

FRÖHLICH: Schiedsrichter sind Menschen, genauso wie Spieler. Auch sie haben das Recht Fehler zu machen und, wie die Spieler, ohne technische Hilfsmittel ihre Leistung zu bringen.

TAGESSPIEGEL: Aber technische Hilfsmittel wie eine Torkamera oder ein Chip den Ball würden dem Schiedsrichter doch helfen, in dem sie ihn aus der Schusslinie nehmen.

FRÖHLICH: Ein funktionierendes System, das entscheidet, ob der Ball hinter der Linie war, könnte durchaus entlastend sein. Bei Videobeweisen wäre das schon anders. Da kommt es häufig auf die Perspektive an. Von links sieht es aus wie ein Foul, von rechts, als ob er ihn gar nicht getroffen hätte. Es gibt ganz wenige Situationen, die sich glasklar auflösen lassen.

TAGESSPIEGEL: Sie beide haben Bundesliga gepfiffen. Ist der Druck noch einmal größer bei einer WM?

ZWAYER: Auf so ein Turnier bereitet man sich drei Jahre vor, muss Auswahlverfahren, Lehrgänge und Tests bestehen. Wenn es dann losgeht, ist eine Riesenfreude da, dabei zu sein, auf der anderen Seite aber auch der Druck und die Anspannung. Ein Turnier kann schnell wieder vorbei sein, wenn eine unglückliche Situation kommt.

FRÖHLICH: Und das ist auch schon für Schiedsrichter in den unteren Klassen so. Vor dem Spiel baut sich die Spannung auf, um im Spiel voll konzentriert zu sein, und dann, nach dem Spiel, fällt alles von einem ab. Nach einem prima geleiteten Spiel ist der Schiedsrichter euphorisiert, nach einem schlechten Spiel enttäuscht. Wie andere Sportler auch.

TAGESSPIEGEL: Warum nehmen sich Schiedsrichter Fehler so zu Herzen? Sie alle haben doch auch normale Jobs.

FRÖHLICH: Ein Schiedsrichter ist ein Sportler und zum Sportler gehört gesunder Ehrgeiz. Der Fußballspieler will das Spiel gewinnen, der Schiedsrichter sein Spiel gut leiten.

ZWAYER: Klar, wir sind Athleten und wir leben für unseren Sport. Dafür opfert man bereits als Jugendlicher Wochenenden, freut sich auf die Spiele und will sich weiterentwickeln. Da klopft das Herz, das ist Leidenschaft, da will man sein Bestes geben. Wenn dann ein kniffliges Spiel so über die Bühne geht, das keiner über einen spricht oder man sogar Lob erhält, dann ist man so stolz, als hätte man ein hart umkämpftes Spiel 1:0 gewonnen.

Lutz Michael Fröhlich ist Schiedsrichterleiter des Deutschen Fußball-Bundes. Felix Zwayer ist Bundesliga-Referee. Das Gespräch führte Dominik Bardow.

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