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Soccer-süchtig. Weit entfernt von Südafrika und ihren Traditionen werden die Amerikaner zu Fußballfans.

© AFP

Drüben angekommen: Soccerrausch in den USA: Frauensport war gestern

Bis vor wenigen Jahren war "Soccer" noch eine Randsportart im Herzen Amerikas. Frauensport. Das hat sich geändert, man merkt das inzwischen in den Staaten.

Von Kai Röger

Savannah, das Herz Georgias. Schon am Morgen sengend heiße 33 Grad im Schatten. Stolze Südstaatler in verschwitzten „I take ketchup on my ketchup“-T-Shirts schieben sich durch die – für US-Verhältnisse – historische Altstadt, einem Meer aus amerikanischen Flaggen. Die Geschichte ist hier allgegenwärtig, in Gedenktafeln, Straßennamen, Souvenirshops. Hinter dem Civil Market erinnert ein Denkmal an tapfere haitianische Freiwillige, die 1791 im Unabhängigkeitskrieg ihr Leben ließen. Wenige Schritte davon entfernt hängt schlaff eine englische Fahne in der glühenden Sonne.

Der Pub Churchil’s hat früher auf als sonst. Es gibt kein Frühstück, in der Küche versuchen Klempner noch ein Rohr abzudichten. Bier und Bloody Marys werden serviert. Alle Augen starren auf zwei Monitore, auf denen das Spiel USA gegen Algerien übertragen wird. Vor dem kleinen Fernseher, der England gegen Slowenien zeigt, sitzt still eine hagere und bleiche Familie, die unter den massigen Südstaatlern unschwer als Briten zu erkennen sind.

Als die drückend überlegenen USA endlich ein Tor schießen, bebt der Pub. Aber die hochgerissenen Victory-Zeichen gefrieren in der Luft, als der Schiedsrichter auf Abseits entscheidet. Wenige Augenblicke später geht auf dem kleinen Fernseher England in Führung. Kein Jubel ist zu hören, nur Stille. Sollten die USA jetzt nicht gewinnen, das wissen sie hier alle, so viele Kilometer von der Weltmeisterschaft entfernt, dann wären sie jetzt ausgeschieden und England Gruppensieger. US-Stürmer Jozy Altidore nutzt noch einmal die volle Höhe des Stadions. Es wird kurz gelacht, dann ist Halbzeit. Spielanalyse. Bier. Die Briten verschwinden, raus in die Hitze.

Bis vor wenigen Jahren war „Soccer“ noch eine Randsportart hier im Herzen Amerikas. Frauensport. Das hat sich geändert, man merkt das hier überall. An den Schulen ist Fußball fester Bestandteil des Lehrplans, für beide Geschlechter. Und an den nahe gelegenen Stränden Tybee Beachs sieht man inzwischen mehr runde als ovale Bälle. Was jetzt noch fehlt, ist der internationale Erfolg der US-Boys.

Die zweite Halbzeit gleicht der ersten, allein: Es fehlt das erlösende Tor. Als schon niemand mehr daran glauben mag, fällt in der Nachspielzeit der Siegtreffer. Abpfiff. Jubeltrauben. Geschichte wurde geschrieben: Seit Ewigkeiten waren die USA nicht mehr Gruppensieger, jetzt kann es weitergehen. Landon Donovan, in Deutschland bei den Bayern nie richtig angekommen, wird in seiner Heimat plötzlich zum „American hero“, und der Pub zum Tollhaus. „Groupwinner“, rufen sie sich zu, „Victory“ – und dann noch einen erleichterten Stoßseufzer: „We don’t have to face Germany“.

Für Amerika geht es am Sonntag gegen Ghana weiter. Deutschland kann noch warten.

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