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Er ist schuld. Schiedsrichter Howard Webb pfiff nicht so, wie von den Holländern gewünscht.

© dpa

Finalverlierer: Hollands Abkehr vom schönen Spiel

Nicht nur im Ausland wird Hollands Auftritt im Finale kritisiert, auch die Heimat kann sich mit dem neuen Stil nur bedingt anfreunden. Noch kritischer wird nur Endspiel-Schiedsrichter Howard Webb gesehen.

Berlin - Wie sehr sich die holländische Nationalmannschaft in den vergangenen Wochen verändert hat, war am besten an den Gedanken abzulesen, die ihren Trainer Bert van Marwijk kurz vor dem Ende der Verlängerung heimsuchten. Es stand immer noch 0:0 im WM-Finale, seine Mannschaft spielte nach dem Platzverweis gegen Heitinga in Unterzahl, doch in van Marwijk keimte die Hoffnung, dass die Holländer zum ersten Mal diesen goldenen Pokal gewinnen würden. „Ich hatte das Gefühl, dass wir es im Elfmeterschießen mit einem fantastischen Torwart noch schaffen“, sagte der Bondscoach.

So weit ist es gekommen: Die notorischen Elfmeterschießenversager schielen aufs Elfmeterschießen – weil sie sonst nicht gewinnen können. Das passt zu dem Bild, das die Holländer in den WM-Wochen mit ihrem kontrollierten und effizienten Fußball abgegeben haben: Holland war das neue Deutschland. Das Elfmeterschießen wäre demnach nur noch so etwas wie der Einbürgerungstest gewesen.

Aber wie die Holländer notorische Elfmeterschießenversager sind, so sind sie eben auch geborene Finalverlierer. „Wieder nicht“, titelte die „Volkskrant“ nach der 0:1-Niederlage gegen Spanien. Und man muss schon mit einem sehr gesunden Optimismus gesegnet sein, um dem Scheitern, so wie Johan Cruyff, etwas Positives abzugewinnen: „Kein Land der Welt kann sagen, drei Mal im Finale gestanden und drei Mal verloren zu haben.“ Toll!

Die Deutschen haben es sogar vier Mal geschafft, ein Finale zu verlieren, sie haben aber eben auch drei Mal den Titel geholt, unter anderem 1974 gegen Holland. Dieses Finale in München und die dazugehörige WM haben das Selbstbild der Holländer bis zum heutigen Tage geprägt: Sie stürmten durch das Turnier, begeisterten die Welt – am Ende aber standen sie als die tragischen Verlierer da. Im südafrikanischen Winter des Jahres 2010 scheint sich die Elftal nun von ihrer schaurig-schönen Vergangenheit gelöst zu haben. „Es war eine andere Mannschaft, als die Fußballfans sie gewohnt sind“, schrieb die „Volkskrant“. „Eine Mannschaft, die zu selten das Angriffsspiel sehen ließ, auf das Holland das Patent besitzt.“ Zum ersten Mal war die Sehnsucht nach Erfolg größer als der Stolz auf das eigene Erbe. Im Endspiel von Johannesburg erlebte diese Sehnsucht dann ihre endgültige Pervertierung.

Der finale Auftritt ist nicht nur im Ausland auf scharfe Kritik gestoßen, auch für viele Holländer war die Abkehr vom schönen Spiel schwer zu ertragen. „Der KNVB muss der gesamten Mannschaft verbieten, noch einmal für Holland zu spielen“, forderte ein Leser des „NRC Handelsblad“ in einem Onlinekommentar. Mark van Bommel, Personifizierung des dreckigen Fußballs, wurde in Anlehnung an einen deutschen Weltkriegsgeneral zu „van Rommel“ verballhornt, und ein Kommentator packte seine Enttäuschung über den neuen Stil in den Satz: „Interessantes Experiment, aber beim nächsten Mal lieber wieder mit schönem Fußball im Viertelfinale ausscheiden.“

Dass das WM-Finale zeitweise die Anmutung von ganz gewöhnlichem Abstiegskampf hatte, lag zu großen Teilen an den Holländern. Sie foulten und traten, und wenn der Schiedsrichter gegen sie pfiff, begann das große Jammern. „Es war eine Schande für den Fußball“, sagte Wesley Sneijder, der allerdings nicht die Anleihen seiner Kollegen bei asiatischen Kampfsportarten geißelte, sondern Schiedsrichter Howard Webb. „Er hat uns bestohlen.“

Die Holländer fühlten sich von Webb benachteiligt. „Er hat das Finale eindeutig negativ beeinflusst“, sagte van Bommel. „Wir wissen ja, dass derselbe Schiedsrichter Spanien gegen die Schweiz benachteiligt hat. Ach, mehr will ich dazu nicht sagen.“ Dabei hatte der Münchner es nur der Nachsicht Webbs zu verdanken, dass er den Abpfiff noch auf dem Feld erleben durfte. Der nicht geahndeten Tätlichkeit von Andres Iniesta zum Beispiel war ein gezielter Tritt van Bommels auf den Fuß des Spaniers vorausgegangen.

Fußballästheten, die dem holländischen Spiel traditionell zugeneigt sind, sehen die aktuelle Entwicklung mit Sorge: Schreitet Oranje weiter voran auf diesem Weg, der immerhin leidlich erfolgreich war? Oder ist Südafrika doch nur eine temporäre Verirrung gewesen? Man darf nicht unterschätzen, dass die Elftal dem Land viel Freude bereitet und dem immer weiter auseinander driftenden Volk seltene Momente der Einigkeit beschert hat. Die Holländer haben sozusagen ihr Sommermärchen in Orange erlebt. Die holländische Seele aber ist zerrissen. „Der Bondscoach kann stolz sein auf sein Werk“, hat die „Volkskrant“ geschrieben, „trotzdem wäre ihm zu raten, dass er zurück zum reinen Fußball findet.“

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