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Fußball, Fußball und noch mal Fußball. Kurz vor der WM beschäftigen sich zahlreiche Autoren mit diesem Thema. Sie schreiben über Musik, Magie und seltsame Trainersprüche. Unser Bild stammt aus dem Fotoband „African Arenas“ von Thomas Hoeffgen. Der Fotograf hat jahrelang afrikanische Stadien dokumentiert.

© promo

Literatur: Die neuen Seiten des Fußballs

Seit Jahresbeginn sind über 300 Fußballbücher erschienen. Die Verlage hoffen auf erhöhten Umsatz – wie zur WM 2006. Eine Auswahl, was sich zu lesen oder zu hören lohnt.

Von

Spiel mir das Lied vom Fußball
Gunnar Leue: Football’s coming home. Die großen Momente der Fußballpopgeschichte. Knaur, München 2010. 304 Seiten, 8,95 Euro.

Mit Büchern zum Thema Fußball verhält es sich in etwa so wie mit den Dokumentationen von Guido Knopp über den Nationalsozialismus. Im Fall Knopps ist das Gefühl der Überversorgung einmal in das Bonmot gepackt worden, dass das ZDF sich nach Hitlers Helfern, Frauen und Generälen wohl demnächst „Hitlers Hunden“ widmen werde. Gunnar Leues Buch „Football’s coming home“ über die Verbindungen von Fußball und Musik scheint auf den ersten Blick so etwas wie „Hitlers Hunde“ der Fußballliteratur zu sein: das letzte, abseitige Unterthema. Doch damit täte man dem Buch großes Unrecht. „Football’s coming home“ zählt eindeutig zu den positiven Überraschungen in der Flut von Fußballbüchern.

Allein für folgenden Satz muss man Leues Buch mögen: „Erich Mielke war nicht nur ein unfassbar dummes Brot, er hatte auch wenig musikalischen Verstand.“ Wenn der BFC Dynamo, der Lieblingsklub des Stasichefs Mielke, mal wieder die Meisterschaft gewonnen hatte, durften zur Feier des Tages ausnahmsweise mal Künstler aus dem Westen auftreten. Eingeladen wurde dann zum Beispiel ausgerechnet Costa Cordalis.

Fußball und Pop haben mehr miteinander gemein, als man beim flüchtigen Hinsehen oder Hören annehmen könnte. Das beginnt schon mit ihrer Entstehungsgeschichte: Beiden haftete in Deutschland anfangs ein ähnlich schlechter Ruf an. Das eine wurde als Fußlümmelei, das andere als Hottentottenmusik beschimpft. Heute sind beide anerkannte Mitglieder der Gesellschaft, und die Liaison von Fußball und Pop ist inniger denn je.

Das Sujet erweist sich als ergiebiger als gedacht. Leue durchdringt sein Thema von den musikalisch grenzwertigen Versuchen der Nationalmannschaft anlässlich der WM-Turniere ’74 bis ’94 bis hin zu bislang unbekannten Anekdoten der Fußballmusikgeschichte, wie etwa der, dass „Die Ärzte“ einmal dem FC St. Pauli einen WC-Container sponserten – mit Hinweis auf den Spender daran. Das ist manchmal etwas unstrukturiert aufgeschrieben, liest sich aber dennoch gut.

Die Weltmeister-Formel
– Metin Tolan: So werden wir Weltmeister. Die Physik des Fußballspiels. Piper, München 2010. 368 Seiten, 16,95 Euro.

Eine Formel zu finden, die sagt, wie man Weltmeister wird, ist ungefähr dasselbe wie das Elixier der ewigen Jugend zu brauen oder die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beantworten. Man darf den Titel von Metin Tolans jüngstem Werk – „So werden wir Weltmeister“ – also getrost als größenwahnsinnig bezeichnen, auch, wenn der Autor Professor für Experimentelle Physik ist. Glücklicherweise ist die Titelwahl wohl wie so oft eher dem Marketingteam des Verlags denn dem Autor zu verdanken. Das großspurige Versprechen der Überschrift versucht Tolan gar nicht einzulösen. Die Physik kann Teile des Spiels erklären, sie setzt dem Fußball Grenzen. Das kann der Autor, der zuletzt die Physik der James-Bond-Filme erklärte, zeigen. Aber der Fußball setzt auch der Physik Grenzen, dessen ist sich Tolan bewusst.

In eher anekdotischer Form nimmt sich der Physiker mithilfe von Statistik, Mechanik und Geometrie Phänomene des Fußballs vor. Er erklärt, warum der Ball hinter der Linie den Rasen berühren kann, es aber dennoch kein Tor sein muss, was einen Schuss beschleunigt und warum der Mensch eigentlich nicht in der Lage ist, ein Abseits zu erkennen. Das ist unterhaltsam, ein bisschen Leidenschaft für Mathematik sollte man aber mitbringen. Um Tolans Argumentation nachzuvollziehen, muss man sich durch das mathematische Schwarzbrot fuchsen. Aufgelockert wird das Formelgewirr durch historische Passagen, die allerdings etwas beliebig wirken. Dass die Spielerinnen der Frauennationalmannschaft zum EM-Gewinn 1989 je ein Kaffeeservice erhielten, war schon in verschiedenen anderen Anekdoten-Sammlungen zu lesen. Wer bis zum Schluss durchhält, bekommt dann aber doch noch die Siegerformel präsentiert. Mithilfe der Kosinus-Kurve zeigt Tolan, dass das deutsche Team 2010 wieder reif für den Titel ist. Die Weltformel ist also Schulstoff der neunten Klasse. Schön, wenn alles mal ganz einfach scheint.

Das Torwart-Psychogramm
– Jens Lehmann mit Christof Siemes: Der Wahnsinn liegt auf dem Platz. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 224 Seiten, 16,95 Euro.

Ein kleines Skandälchen hat die Autobiografie von Jens Lehmann schon provoziert. Sein Stuttgarter Teamkollege Mario Gomez, schreibt Lehmann, habe im letzten Saisonspiel 2009 bei den Bayern absichtlich am Tor vorbeigeschossen, weil Gomez nach der Sommerpause selbst nach München ging. Ein Scherz, hat Lehmann nun erklärt und sich entschuldigt.

Von dieser Sorte Seitenhieb kann man im Buch viele finden, besonders in die Rippen von Oliver Kahn. Doch vor allem liest sich die Autobiographie als Psychogramm. Abgesehen von einigen erzählerischen Kniffen geht der Ko-Autor und Zeit-Redakteur Christof Siemes chronologisch durch Lehmanns Fußballerleben. Der kleine Jens spielt Fußball im Garten seiner Essener Normalo-Familie, kommt zu Schalke, Dortmund, Arsenal, zum VfB und schließlich, nach dem Duell mit Oliver Kahn, in die Nationalmannschaft. Antrieb dieser Karriere scheint – ins Positive gewendet – Lehmanns unbedingter Siegeswille zu sein. Wer ihm weniger wohlgesonnen ist, würde sagen: Die Furcht zu verlieren, gepaart mit Überheblichkeit. „Wartet nur ab, ihr kleinen Italiener, euch werd ich’s zeigen“, schreibt Lehmann. Und: „Demütigungen sind für mich wie Kraftwerke – hässliche Dinger eigentlich, aus denen man aber eine gewaltige Energie bezieht.“ Es geht viel um Disziplin und Zorn und Unnachgiebigkeit. Sympathischer wird Lehmann einem dadurch nicht, vielmehr ist man fast betroffen. Dieser Torwart war nie zufrieden, konnte sich nie richtig freuen. „Alles, was letztlich aus mir herauskommt, ist ein kleines zufriedenes Lächeln“, schreibt Lehmann über den Moment, als Andreas Köpke ihm im April 2006 sagt, dass er als Nummer eins für die Nationalmannschaft im Tor stehen soll. Das alles ist schwer verdaulich, lesenswert aber macht das Buch die Unmittelbarkeit einiger Spielszenen, in denen die Anspannung des Torwarts erlebbar wird. Auch die Sprache wirkt unverfälscht, ein lockerer Plauderton, der sich gut liest und nichts kaschiert. Lehmann pur.

Der afrikanische Fußball ist staubig
– Thomas Hoeffgen: African Arenas. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010. 144 Seiten, 29,80 Euro.

Eigentlich ist Thomas Hoeffgen Werbefotograf. Doch von den afrikanischen Stadien und ihrer teils pompösen, oft aber rostig-staubigen Ästhetik konnte er nicht mehr lassen, auch nicht, nachdem er einmal während der Fotoarbeiten in Nigeria verhaftet wurde. Der in Kiel geborene Fotograf hat afrikanische Stadien in Namibia, Botswana, Sambia, Malawi und Südafrika dokumentiert. Die Bilder sind nun in einem schlichten, aber beeindruckenden Bildband mit dem Titel „African Arenas“ erschienen: Staubplätze mit provisorischen Toren am Rande des Townships, Plätze mitten in der Savanne und moderne, monumentale Betonbauten in afrikanischen Metropolen. Dabei kommt Hoeffgen auch Spielern und Zuschauern sehr nahe. Eine lohnenswerte Blätter- Reise, nicht nur dank der warmen, gelben Farbtöne.

Der afrikanische Fußball ist kompliziert
– Daniel Künzler: Fußball in Afrika. Hintergründe zu „Elefanten“, „Leoparden“ und „Löwen“. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2010. 296 Seiten, 24,90 Euro.

Im medialen Aufruhr um die WM ist der Fußball beinahe eine Art politischer Voodoo-Zauber geworden. Wie wichtig der Fußball für den Kontinent ist, wie stark er zur Aussöhnung von Schwarzen und Weißen beitragen könnte, wurde vielfältig beschworen. Nun sind mehrere Bücher erschienen, die diesem Bild einige Schatten hinzufügen. Der Vorteil von Daniel Künzlers Buch, das schlicht „Fußball in Afrika“ heißt, ist es, den Zauber des Sports zu erklären, aber auch seine dunkle Seite zu zeigen: die Korruption, die Instrumentalisierung durch autoritäre Regime, die ausgrenzenden Momente. Wer sich für dieses kundige und detailreiche Buch entscheidet, muss allerdings mit sperrigen soziologischen Begriffen leben, die der Freiburger Wissenschaftler großzügig einstreut. Wem Künzel zu akademisch ist, der kann zu Thilo Thielkes „Traumfußball“ greifen. Der langjährige Korrespondent des Spiegel in Afrika nimmt eine ähnlich kritische Perspektive ein, schreibt aber journalistischer und lesbarer. Eine literarische Alternative ist der von Manfred Loimeier herausgegebene Band „Elf“, der Fußball-Erzählungen von jungen südafrikanischen Autoren versammelt.

Rasende Trainer, beleidigte Reporter
C. Bärmann, J. Radtke und M. Maria Schwarz: „Spieler schwach wie Flasche leer!“ – Die bekanntesten Schimpftiraden der Trainer, Manager und Präsidenten. Der Hörverlag, 47 Minuten, 12,95 Euro.

Längst legendär ist der kryptische wie amüsante Zornesausbruch des Ex-Bayern-Trainers Trapattoni, der in dem Ausruf „Spieler schwach wie Flasche leer“ gipfelte. Mit diesem Zitat haben die Journalisten Christian Bärmann, Jörn Radtke und Martin Maria Schwarz ihr jetzt auch auf CD erhältliches Radiofeature überschrieben, das die schönsten Ausfälle von Trainern, Managern und Präsidenten versammelt. Mit dabei: Rudi Völler gegen Waldemar Hartmann („Ich kann diesen Scheiß nicht mehr hören“), Uli Hoeneß gegen die Fans („Wir reißen uns hier den Arsch auf“) und Willi Konrad gegen die Reporter („Ich hau Ihnen in die Fresse!“).

So weit, so amüsant. Allerdings werden die Beschimpfungen immer nur als kurze Ausschnitte dokumentiert, die dann umgehend kommentiert werden. Das gelingt gelegentlich hervorragend. Wenn zum Beispiel der Schlagabtausch zwischen Christoph Daum und Uli Hoeneß in einer Talkshow wie ein Zweikampf am Ball inszeniert wird, ist das rasante Radiokunst. Über weite Strecken aber leidet die Produktion an ihrem penetrant beleidigten Ton. Unentwegt reitet das Autorentrio darauf herum, dass Fußballtrainer alle doof sind, weil ihnen bei der 136. Wiederholung der Frage „Wer wird Meister?“ irgendwann der Kragen platzt. Dass das vielleicht wirklich nicht die cleverste Frage ist, auf die man irgendwann mit Recht genervt reagieren darf, auf den Gedanken kommen die Leberwürste mit Mikrofon nicht. Klares Eigentor.

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