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Berlin kaputt! Serbiens Presse feiert den Sieg über Deutschland mit den üblichen Klischees.

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Nach WM-Sieg: Serbische Triumphgefühle: "Deutschland hat noch einmal kapituliert"

Sie empfinden sich als die politischen Parias am Rand von Europa. Jetzt kosten serbische Nationalisten und Patrioten das 1:0 ihrer "Adler" gegen "Deutschlands Panzer" so aus, als hätten sie eine veritable Schlacht gewonnen.

Von Caroline Fetscher

Boulevardblätter schmücken sich mit Schlagzeilen wie "Berlin kaputt", deutsche "Panzer durchlöchert", "Deutsche unter Schock wegen der Niederlage ihrer Panzer", "Unsere Adler fliegen wieder" und: "Danke, Miroslav Klose!". Keine zwanzig, dreißig Minuten nach dem Vorrundenspiel waren nicht nur auf den Straßen – auch in europäischen Großstädten – Fahnen schwenkende Fans in Autocorsos unterwegs, sondern fanden sich auch Tausende von Internet-Kommentatoren bereit, den Helden auf dem Spielfeld ihre hastig und begeistert getippten Gratulationen zu übermitteln, deren Strom nicht abreißt: "Ihr habt uns stolz gemacht!" heißt es da, "Gott gebe uns weiter Glück", "Bravo, bravo, bravo!" "Es lebe Mutter Serbien!"

Andere ermuntern jetzt ihre Landsleute im Exil, in bestimmten Cafés und Kneipen gemeinsam die kommenden Spiele der Serben bei der Weltmeisterschaft zu sehen – ein Aufruf, der diesmal eher selten zu lesen war. "Ihr habt euch in die Geschichte eingeschrieben", versichert ein Fan der Mannschaft. Hingerissen entfährt es einem anderen: "Deutschland hat nochmal kapituliert, ha ha ha ha – 1945 und 2010!"

Er habe das Spiel in London gesehen, berichtet ein serbischer Fan aus dem Exil auf der Website des kritischen Radiosenders B29. Hundert Schwaben seien da gewesen – eine gängige, serbische Bezeichnung für Deutsche, von denen viele vor hundert und mehr Jahren aus dem Süden ihres Landes nach Nordserbien in die Vojvodina gekommen waren. Und neben den Schwaben "wir zwei Serben". Die zwei hatten sich offenbar auf die Niederlage eingestellt. Umso mehr Genugtuung bereitete ihnen der Ausgang des Spiels in Gegenwart der Überzahl der enttäuschten Fans der gegnerischen Mannschaft.

Nach 37 Jahren, schreibt die Zeitung "Kurir", seien endlich "die Panzer" besiegt, was rein sportlich gemeint sein soll, denn der Spitzname gilt den deutschen Fußballern. Den Torwart Vladimir Stojkovic, rühmt der "Kurir" am Ende seines Spielberichts als "Held der Nation". In Serbien, wo Helden es seit den von serbischen Suprematisten angezettelten, verheerenden Zerfallskriegen der Neunziger Jahre schwerer haben, ist dieser unerwartete und plötzliche Stimmungsumschwung eine Sensation. Von außen betrachtet scheint das Flaggezeigen etwas weniger unschuldig, als in den übrigen Teilen Europas. Aufgebrochen zu einer "mission impossible" hätte Serbiens Mannschaft bewiesen, dass "nichts unmöglich" sei, freuen sich das Sportmagazin der Zeitung "Vesti" wie das serbische Staatsfernsehen RTS.

Vorsichtiger, selbstkritischer mahnen einige, es sei auch Glück beim Sieg dabei gewesen: "Warten wir mal die nächsten Spiele ab…" Und ein Kommentator empört sich, das Porträt von Uros Misic, hochgehalten von serbischen Fans im Stadion, habe "auf der Tribüne nichts zu suchen". Misic, ein aktiver Fan von Roter Stern Belgrad war im September 2008 wegen versuchten Mordes an einem Zivilpolizisten zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Bei einem Heimspiel seines Klubs gegen Hajduk Kula hatte Misic mit einigen Kumpanen den filmenden Polizisten mit Brandsätzen schwer verletzt.

Mit solchen Fans, mit Gewalt überhaupt, wollen die Bewussten, besonders unter den Jüngeren, nicht assoziiert werden. Auffällig an den Reaktionen ist, dass die Boulevardblätter sich in ihren Schlagzeigen teils brachialer geben, als die Fans auf den Internetseiten der jeweiligen Medien.

Die Generation der heutigen Spieler in Serbiens Nationalmannschaft war zu den Kriegszeiten der Neunziger noch im Kindergarten oder in der Grundschule. Diese Generation sucht neue Chancen, mehr und mehr von ihnen sehnen sich danach, der oft noch enorm an den Mythen der Vergangenheit orientierten Tendenz in der Gesellschaft zu entkommen. Tore feiern ist für sie das eine, aber Tore zur Zukunft aufzustoßen mindestens so wichtig. Im Sinn dieser Generation ist zu hoffen, dass der militant-nationale Ehrgeiz in Serbien sich weiter durch Sportwettkämpfe sublimieren lässt. Dann wird das übrige Europas den Serben das gewaltfreie "Feld der Ehre" gerne gönnen.

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