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Durch den überzeugenden Sieg gegen England wurde die Überzeugung der jungen Spieler noch gestärkt.

© dpa

Nationalelf: Geburtsstunde einer großen deutschen Mannschaft

Der grandiose Sieg gegen England war ein großer Schritt im Wachstumsprozess des jungen deutschen Teams. Es besitzt nun glänzende Perspektiven.

Vielleicht ist es ja so, dass das Wembley- Tor von Bloemfontein seine wahre Wirkung erst noch entfalten wird. Dann nämlich, wenn die deutsche Nationalmannschaft 2014 das WM-Finale gegen Gastgeber Brasilien gewinnt. Das anstehende Finale in knapp zwei Wochen in Johannesburg kommt vielleicht noch ein wenig zu früh für die Deutschen. Doch wer weiß?

Unstrittig ist aber schon jetzt: Wann auch immer die Deutschen ihren nächsten Titel gewinnen, man wird zurückdenken an jenen Augenblick, als der Ball von der Latte des deutschen Tores hinter die Linie springt. Es hätte 2:2 gestanden, und vielleicht hätte sich ein anderes Spiel entwickelt. Aber der Schiedsrichter hatte es anders gesehen. Und so war der Moment gekommen, der in die Fußballgeschichte eingehen könnte als Geburtsstunde einer großen deutschen Mannschaft.

Genau genommen war es nicht mal der Augenblick selbst, als Frank Lampard nur eine Minute nach dem 1:2-Anschlusstreffer für England ein reguläres Tor erzielt hatte. Es waren die Momente danach, die dieses Achtelfinale von Bloemfontein historisch so wertvoll werden ließen. „Ich habe schnell versucht, nach vorne zu spielen, damit die Schiedsrichter nicht daran denken, dass der Ball drin war“, sagte hinterher Manuel Neuer und verriet damit mehr, als ihm lieb war. Natürlich hatten auch die deutschen Spieler gesehen, was los war. Aber darauf kam es nach diesem grandiosen 4:1 wirklich nicht mehr an. Entscheidender war die Reaktion der deutschen Mannschaft. „Das war eine taktische Meisterleistung von Jogi Löw“, sagte Oliver Bierhoff hinterher. Der Teammanager fand die Leistung der Mannschaft imponierend, einfach „unglaublich gut“.

Was sich im Folgenden abspielte, hatte selbst die Engländer beeindruckt. „Das 2:2 hätte das Spiel noch drehen können. Aber um ehrlich zu sein, der deutsche Sieg hätte sogar noch höher ausfallen können“, sagte der ehemalige Nationalspieler John Barnes. Oder wie es Miroslav Klose ausdrückte: „Wir waren als Mannschaft da. Diesen Eindruck hatte ich von den Engländern nicht.“

In der Vergangenheit war es oft so, dass gerade die schwierigen Situationen, gar Niederlagen, eine Mannschaft erst richtig haben wachsen und reifen lassen. Die hohe 3:8-Niederlage 1954 gegen Ungarn etwa, der die deutsche Elf im Finale ein 3:2 folgen ließ. Oder das 0:1 gegen die DDR 1974. Beide Male gewann Deutschland hinterher den Titel. Die Sehnsucht nach einer großen Mannschaft hält bis heute. Erfüllt wurde sie bisher nicht: nicht nach dem Viertelfinale der EM 1996 gegen Kroatien, das den Weg zum bisher letzten Titel ebnete. Und auch nicht bei der WM 2002 in Fernost. Gegen Kamerun überstand das deutsche Team, durch einen Platzverweis gehandicapt, die Vorrunde und erreichte das Finale. Doch es waren nur glückliche Momente, die Mannschaften haben ihre Zeit nicht prägen können.

Dieses Mal ist es anders. Es kann anders sein. „Wir sind auch anders als die anderen“, sagte Lukas Podolski, „deswegen sind wir ja auch erfolgreicher als die anderen.“ Was sich beim Kölner Stürmer immer etwas schief anhört, fußt gleichwohl auf Wahrheiten. Das deutsche Team ist personell anders zusammengesetzt, es spielt daher auch einen anderen Fußball. Sein Spiel ist frivoler und feiner, ohne dabei aber völlig zu fremdeln, was die guten alten Tugenden anbelangt.

Einen Riesen-Glückwunsch ließ Michael Ballack übermitteln, bevor er nun seine alte Mannschaft in Südafrika besuchen wird. Der verletzte Kapitän hatte nicht für möglichen gehalten, dass „wir England so klar bezwingen“, wie er sagte. „Das war eine Marke, die wir hier gesetzt haben. Wir sind jetzt wohl oder übel einer der Mitfavoriten.“

Er hätte auch von einer Passion sprechen können, mit der die junge Mannschaft zu Werke geht. Sie ist dabei, sich von Ballack zu emanzipieren, der noch in der Zitterpartie gegen Ghana an vielen Enden und Ecken gefehlt hatte. Doch auch dieses Erlebnis hat die Mannschaft gebraucht. Um zu wachsen und zu reifen.

Joachim Löw ist mit einer interessanten, aber auch experimentellen Ansammlung talentierter Spieler an den Start gegangen, er hat sich von Ausfällen und Rückschlägen nicht beirren lassen. Löw hat nicht gezweifelt. Seine Überzeugung liegt in der fußballerischen Qualität seiner Spieler begründet. Auch Philipp Lahm hat mehrfach betont, dass er die fußballerisch beste Mannschaft als Kapitän anführe, in der er gespielt hat.

Gerade bei großen Turnieren aber hat sich gezeigt, dass Talent und fußballerische Qualität nicht zwangsläufig reichen. Eine große Mannschaft muss auch beweisen, dass sie einen erfahrenen, individuell hochwertigen Gegner wie England auseinander nehmen kann. Nur so wird aus Glauben an die eigene Stärke Gewissheit. „Wir haben als Mannschaft gezeigt, dass wir alles erreichen können, wenn wir zusammenhalten“, sagte Mesut Özil, der als Spielmacher eine Art Geburtshelfer ist. „Unser Traum ist der Titel, wir wollen jeden schlagen.“ Er sah dabei nicht so aus, als wollte er es beim Träumen belassen.

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