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Südafrika: Der Ball ist schwarz und weiß

Das vom Rassismus geteilte Südafrika hat über den Sport wieder zusammengefunden: Mit dem jetzt verfilmten Rugby-Triumph einte Nelson Mandela 1995 das Land, nun soll mit der Fußball-Weltmeisterschaft der nächste Schritt gelingen

Natürlich kennt Lucas Radebe die Geschichte. Die Rugby-Weltmeisterschaft 1995 in Südafrika, der Triumph der Springboks, das Zusammenwachsen von Schwarz und Weiß – Radebe weiß aus seinem Alltag, was Clint Eastwood fürs Kino inszeniert hat. Lucas Radebe lebt heute wieder in einem Haus in Soweto, dort ist Eastwoods Hommage an Nelson Mandela schon Ende Dezember angelaufen. Wahrscheinlich hat er sich auf den Film gefreut wie ein Kind. Es waren nicht immer gute Zeiten für Kinder in dem Township südwestlich von Johannesburg. Als Radebe noch kein Volksheld war, sondern heranwuchs zu einem Fußballprofi, schickten ihn die Eltern wegen der bleihaltigen Luft in Soweto zur Tante nach Bophutatswana, ein paar Jahre später wurde er von einem unbekannten Heckenschützen angeschossen. „Kriminalität ist in Südafrika keine Erfindung der Neuzeit“, sagt Radebe.

In seinem zweifach für den Oscar nominierten Spielfilm „Invictus“ erzählt Clint Eastwood, wie Nelson Mandela in seiner Heimat Schwarz und Weiß zusammenführte und als Vehikel dafür eine Rugby-Weltmeisterschaft wählte. Mandelas Gegenpart ist Francois Pienaar, Kapitän der Springboks, wie die weißen Südafrikaner die Nationalmannschaft ihrer Sportart Nummer eins nennen. Ein moderner Bure, der sich nicht für einen Rassisten hält, die Apartheid aber nicht infrage stellt. Pienaar erliegt Mandelas Charme und schwört sein Team auf das Zusammenwachsen der Nation ein.

Im wirklichen Leben hat Mandela Rugby akzeptiert und respektiert als das Spiel der Weißen, das man diesen nicht nehmen dürfe, wolle man sie als Partner für ein geeintes Land gewinnen. Seine Liebe aber galt dem Fußball, und sein Held war kein lernwilliger Bure wie Francois Pienaar. Sondern Lucas Radebe, genannt „the Chief“ von seinen Fans und „Der Große Baum“ von Mandela (den die Schwarzen wiederum mit seinem Clansnamen „Madiba“ anreden).

Der baumlange Abwehrspieler Radebe war in den Neunzigern das Idol der südafrikanischen Fußballfans, er hat in Soweto für die Kaizer Chiefs gespielt und in England für Leeds United. Wie populär er in der Premier League war, illustriert die Geschichte von den jungen Fans, die ihn eines Tages nach dem Training fragten, ob sie ihre Band nicht nach seinem südafrikanischen Heimatverein benennen dürften. Gern, hat Radebe geantwortet, aber dann gab es juristische Probleme mit dem Klub, die jungen Musiker tauschten ein „z“ gegen ein „s“. Es war die Geburtsstunde der Kaiser Chiefs.

Lucas Radebe sagt, in seiner Jugend habe er sich kaum vorstellen können, dass es mal eine südafrikanische Nationalmannschaft geben würde, die für das gesamte Land steht – „daran habe ich erst geglaubt, als Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen wurde“. Das war 1991, als Radebe bereits Profi war. Spiele gegen Mannschaften aus den weißen Vierteln gab es schon vorher. „Wir haben die Jungs respektiert dafür, dass sie gegen uns gespielt haben“, sagt Radebe, „aber natürlich wollten wir unbedingt gewinnen. Wir wollten im Sport schaffen, was im normalen Leben noch nicht möglich war. Denn da war der weiße Mann der Boss.“

Der Fußball war schon eine Brücke zwischen Schwarz und Weiß, als Clint Eastwoods Rugby-Buren noch nicht daran dachten, ihre Wagenburg aufzulösen. Das weiße Pendant zu Radebe war Mark Fish, geboren in Kapstadt, aufgewachsen in Johannesburg. Fish, wie Radebe ein Defensivstratege, spielte schon als Jugendlicher für das schwarze Team Jomo Cosmos und später für die Orlando Pirates, den Lokalrivalen der Kaizer Chiefs in Soweto. Die Höhepunkte seiner Karriere erlebte er ebenfalls in England, bei den Bolton Wanderers und Charlton Athletic.

Eastwoods Film endet mit dem triumphalen Sieg der Springboks im WM-Finale ’95 über Neuseeland, deren Nationalteam kurioserweise „All Blacks“ heißt (jedoch nur wegen der schwarzen Trikots). Das ganze Stadion singt die neue Nationalhymne „Nkosi sikelel’ iAfrika“ – und Nelson Mandela, gewandelt in ein grüngoldenes Rugby-Trikot, übergibt Francois Pienaar den Weltmeisterpokal. Ein Jahr später hat Mandela wieder ein grünes Trikot getragen, es war das von Lucas Radebe, und dieses Mal feierten die Fußballfans ihre Party, den Sieg ihrer Nationalmannschaft (genannt „Bafana Bafana“ – „unsere Jungs“) im Finale des Afrika-Cups. Über dieses 2:0 gegen Tunesien sagt Lucas Radebe noch 14 Jahre später, „dass mir heiß und kalt wird, wenn ich daran zurückdenke“. Die Stars der siegreichen Mannschaft waren schwarz und weiß, Lucas Radebe und Mark Fish.

Die Springboks von 1995 waren eine reine Buren-Mannschaft, ergänzt um ein paar englischstämmige Weiße und Chester Williams, den Clint Eastwood für die Leinwand zum schwarzen Idol hochstilisiert. In Wirklichkeit fühlte sich Williams gemäß der noch aus Zeiten der Apartheid gewohnten Rasseneinteilung als Mischling, er sprach die Buren-Sprache Afrikaans und hatte mit den Schwarzen nichts am Hut. Laut John Carlin, auf dessen Buch „Wie aus Freunden Feinde wurden – der große Sieg des Nelson Mandela“ der Film beruht, hat Williams sich in seiner Rolle nicht besonders wohl gefühlt.

Lucas Radebe aber war authentisch als schwarzer Nationalheld. Mit Mark Fish spielte er 1998 bei der WM in Frankreich, vier Jahre später gab er nach langer Verletzung bei der WM in Fernost ein vielbeachtetes Comeback. 2005 beendeten die Idole einer bewegenden Fußball-Epoche ihre Karrieren.

Heute arbeiten Radebe und Fish ehrenamtlich als südafrikanische WM-Botschafter. Der Verband schickt sie um die Welt, zuletzt warben sie beim WM-Kickoff der Fifa in Davos. Lucas Radebe sagt, die Europäer sollten nach Südafrika kommen und sich ihr Bild machen, „dann werden sie merken, wie wunderbar unser Land ist“. Und was ist mit der Gewalt auf den Straßen? Radebe antwortet mit einer Gegenfrage: „Kennen Sie die einzige Straße der Welt, in der zwei Friedens-Nobelpreisträger wohnen?“ Es ist die Vilakazi Street in Soweto, Wohnsitz von Nelson Mandela und Desmond Tutu.

So viel Frieden ist selten auf der Welt.

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