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WM in Südafrika: Die Party-Verschwörung

In Bloemfontein liebt man Rugby und Bibelzitate. Tagesspiegel-Reporterin Esther Kogelbloom schreibt, wie die Einwohner halb fasziniert, halb irritiert den Einfall der Fußballfans in ihre geordnete kleine Welt erleben.

Noritaka Kobayashi hat den Fernseher fest im Blick: Italien spielt gegen Paraguay, in Kapstadt regnet es Bindfäden. „I like Bloemfontein“, sagt er. Aha, und was genau mag der Japaner an der burisch geprägten Stadt im Freistaat? „Eh, the stadium ... and ...“ Kobayashi gibt zu, dass er nicht viel mehr als das Freestate-Stadion gesehen hat – er ist einer der Verrückten, die nur für zwei Tage von Tokio nach Bloemfontein gekommen sind. Sein Team hat gerade gegen Kamerun gewonnen, und jetzt tanzt er mit seinen neuen Freunden durch das „Barba’s“, eine mit träge blinkenden Lichterketten dekorierte Provinzbar, die von zwei Türstehern bewacht wird.

Kobayashis neue Freunde, das sind Trikot tragende Nigerianer, Briten, Schweden und Niederländer, sogar Kameruner. Die Nigerianer führen ihn in die hohe Kunst der Trötenbedienung ein, die Briten halten ihm die Displays ihrer Digitalkameras unter die Nase, auf denen Bilder von Wayne Rooney in Sun City zu sehen sind. Die Schweden flößen ihm einen klaren Schnaps ein, die Niederländer bieten reichlich Körperkontakt, die Kameruner tanzen zu stampfenden Beats um ihn herum. Noritaka Kobayashi, ein jugendlich wirkender Finanzberater, ist angekommen. Trotzdem bedauert er nicht, dass er in wenigen Stunden nach Hause fliegt. Wozu gibt es schließlich Facebook.

Man muss wohl in Kneipen wie das „Barba’s“ gehen, um zu verstehen, wie genau das mit der einigenden Kraft des Fußballs gemeint ist. An diesem eiskalten Montagabend, nach einem mäßig interessanten, nicht mal ausverkauften Spiel, ist sie zu spüren – hier in der 850 000-Einwohner-Stadt Bloemfontein, wo sie eindeutig auf der Rugby-Seite stehen, in den vielen Motelzimmern für die Durchreisenden Blätter mit Bibelzitaten auslegen und nur eine einzige richtig breite Straße haben. Von Johannesburg fährt man gut vier Stunden hierher, ohne dass am Rand der N1 eine nennenswerte Siedlung auftaucht. In internationalen Medien landete die Stadt 2008, als vier weißen Studenten der Prozess gemacht wurde, weil sie ein rassistisches Video gedreht hatten.

Die Einzigen, die sich an diesem Abend etwas beklommen fühlen, sind die Einheimischen. Der Zirkus ist für kurze Zeit in der Stadt, und nun beobachten sie halb fasziniert, halb irritiert das Treiben der internationalen Party-Verschwörung. Shelley Brown und Philippa Whitfield sitzen auf Plastikstühlen an einem Plastiktisch direkt neben dem Heizpilz und teilen sich eine Flasche Weißwein. Sie können nur darüber staunen, was gerade mit ihrem „Bloem“ passiert. Ihr Arbeitgeber, eine Internetfirma, hatte ihnen Eintrittskarten für das Spiel Japan – Kamerun geschenkt – bis dahin war Fußball für sie wie für viele andere weiße Südafrikaner außerhalb jeder Reichweite. „Langsam, aber sicher entwickele ich ein Verständnis für die Regeln“, sagt Brown. Whitfield ergänzt: „Ich kriege sogar einen Ton aus meiner Vuvuzela, ich habe lange geübt.“ Die Vuvuzela macht ihr noch mehr Spaß, seit sie den perfekten Pflegebalsam für ihre geschundenen Lippen gefunden hat: Zambuk, eine afrikanische Marke. Ein Randaspekt der Debatte, der bislang viel zu wenig Aufmerksamkeit bekam.

Brown und Whitfield sind traurig, dass Kamerun verloren hat – sie halten reflexartig zu den Teams ihres Kontinents. „Es fühlt sich gut an, dass wir Südafrikaner nicht länger Outlaws sind. Kaum jemand hat uns die WM zugetraut, jetzt ist sie plötzlich Wirklichkeit“, meint Whitfield. Langsam begreift sie, dass eine WM nicht nur Flutlicht bedeutet, sondern auch eine träge blinkende Lichterkette – und einen kleinen Japaner, der aus seiner Giraffenmaske mit wenigen Handbewegungen einen Hut falten kann. Dieser Abend bewirkt, dass Japan bei zwei Südafrikanerinnen nicht länger nur ein Schulterzucken hervorruft, sondern ein breites Grinsen. Die WM ist auch eine Erinnerungsmaschine.

Ein paar Häuser weiter, im „Mystic Boer“, läuft ebenfalls ein Fernseher. An der Bar streiten sich zwei Studenten über den Text eines Songs der White Stripes, ein junger Mann ist mit dem Kopf auf dem Billardtisch eingeschlafen. Die angereisten Fans sind im „Barba’s“, haben ihre Busse bestiegen oder studieren die Bibelzitate in ihren Hotels. Der Barmann will trotzdem nicht schließen, wer weiß, ob nicht doch ein paar trinkfreudige Fans den Weg zu ihm finden.

Bis zum Morgen ist reichlich Zeit: Es ist eine der längsten Nächte des Jahres.

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