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Berühmter Name, große Nummer. Thomas Müller ist mit gerade 20 Jahren der Aufsteiger der Saison.

© ddp

Zusatzzahl 13: Thomas Müller: Rechtfertigung einer Rückennummer

Tagesspiegel-WM-Reporter Michael Rosentritt erinnert sich an Gerd Müller, der die Rückennummer 13 berühmt gemacht hat. Karl-Heinz Riedle, Rudi Völler und Michael Ballack haben sie später warmgehalten – nun schmückt sie Thomas Müller.

Die berühmtesten deutschen Fußballerbeine sind umhüllt von einer sandfarbenen Tuchhose und stecken in schwarzen Slippern mit Bommeln auf dem hohen Spann. Obenrum ist alles grau meliert. Wie doch die Zeit vergeht. Die meisten Menschen, die man aus dem Fernsehen kennt, sind in Natura viel kleiner. Bei Gerd Müller ist es andersherum. Kleines, dickes Müller, wie er seinerzeit genannt wurde, ist größer als gedacht und doch einen halben Kopf kleiner als Thomas Müller, sein Nachnachfolger im deutschen Sturm. „Der Junge wird noch besser“, haucht der alte Müller und zaubert ein verlegendes Lächeln ins unverbrauchte Gesicht jenes jungen Mannes, der drauf und dran ist, ein Idol zu werden.

Man muss dazu zwei Dinge wissen. Gerd Müller, inzwischen 64 Jahre alt, ist relativ medienscheu und stellt sich nicht mit jedem x-beliebigen Spieler hin, nur weil dieser einen guten Sommer hat. Und zweitens ist der junge Mann mit dem berühmten Namen gar nicht so verlegen, wie es auf dem ersten Blick scheint. „Wenn du erfolgreich bist, bist du der Größte, wenn wir jetzt gegen Serbien verlieren, wirst du zerfleischt“, sagt Thomas Müller.

Klar schmeichle das Lob „von so hoher Stelle, von einem, der 365 Bundesligatore geschossen hat“, sagt Thomas Müller. „Du musst deinem Instinkt folgen und den ersten Gedanken ausführen, dann klappt’s auch meistens. Wenn du dir zu viele Gedanken machst, wird es schwammig.“ Dieser Satz könnte auch vom einstigen Bomber der Nation stammen.

Während Gerd Müller bei seinem Besuch im deutschen Quartier noch ein paar freundliche Dinge über seinen Namensvetter verliert, ist Thomas Müller umringt von Reportern. Nach dem famosen Auftaktsieg über Australien gibt es keinen Spieler, der so gefragt ist wie der 20-Jährige. „Ich glaube, wir haben das Spiel einigermaßen auf die Reihe bekommen, aber wir werden nicht jedes Spiel 4:0 gewinnen.“ Dann lächeln die beiden Müllers noch einmal für die Kameras, der alte aus seinem grauen Bart heraus, der junge mehr mit seinen Augen.

Klar kenne er den Gerd, erzählt Thomas Müller. Aus dem einem Jahr in der zweiten Mannschaft des FC Bayern, bei der Gerd Müller als Kotrainer arbeitet. „Wir haben ja ein gewisses Verhältnis durch unseren Namen“, sagt Thomas Müller. Hin und wieder würden sich beide auf dem Vereinsgelände über den Weg laufen und einen Plausch halten. „Mehr aber auch nicht, jeder hat ja seinen Job.“

Nach seinem Tor gegen Australien war Thomas Müller nicht so bescheiden. Er verglich seinen Drehschuss mit dem Gerd Müllers zum Siegtor im WM-Finale 1974. Er habe ja seine Rückennummer zu rechtfertigen, hatte er erzählt. Thomas Müller trägt nämlich die 13, die für die Deutschen von fast schon mystischer Bedeutung ist. Was die 10 im Weltfußball ist, ist die 13 den Deutschen. Max Morlock trug sie beim WM-Sieg 1954, Gerd Müller 1970 bei der Weltmeisterschaft in Mexiko und eben 1974. Zwischendrin war sie auf dem Rücken von Uwe Reinders (1982) und Karl-Heinz Riedle (1990) gelandet. 1994 folgte Rudi Völler, der sich keinen Besseren für die 13 vorstellen kann: „Thomas hat eine tolle Saison gespielt“, sagt der frühere Teamchef über Müller, den Jüngeren. So einer sei für jeden Trainer besonders wertvoll. „Er ist überall einsetzbar: in der Spitze, dahinter und an der Seite – mehr geht nicht.“

So reiht sich Thomas Müller mit der 13 auf dem Rücken in eine Galerie deutscher Fußballherrlichkeit. Hört sich alles irgendwie logisch an, doch im Grunde war erst ein Missgeschick vonnöten – das WM-Aus von Michael Ballack. Dieser trug die 13 bei den beiden jüngsten Weltmeisterschaften. Unter normalen Umständen wäre sie also gar nicht frei gewesen. Doch die Sache kam anders. Ballack musste passen, und anschließend ist alles sehr schnell gegangen. Bei der Vergabe der Rückennummern hatten die erfahrenen Spieler „ein Vorwahlrecht“, wie Thomas Müller erzählt. Am Ende blieben noch die 4, die 14 und eben die 13 liegen. „Da konnte ich nicht widerstehen.“

So in etwa verlief auch die Karriere des jungen Münchners. Mit der A-Jugend der Bayern wurde er 2007 Vizemeister. Sein Bundesligadebüt gab er im August 2008. Im Februar 2009 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag, der Ende 2009 bis 2013 verlängert wurde. Am 1. Mai 2010 schoss er alle drei Treffer beim 3:1 über Bochum, gewann kurz darauf Meisterschaft und Pokal und stand im Finale der Champions League. Nach 19 Toren in 52 Pflichtspielen konnte schließlich auch Joachim Löw nicht mehr widerstehen. Der Bundestrainer berief ihn in die WM-Startelf. Thomas Müller scheint der rasante Aufstieg nichts anhaben zu können. Womöglich ist er in seiner Persönlichkeit schneller gereift als andere. Immerhin ist der junge Mann aus der 2000-Seelen-Gemeinde Pähl in Oberbayern schon verheiratet. Vorigen Mai hat er in Burghausen gespielt, ein Jahr später vor fast 70 000 in Durban. Trotzdem: Er nehme seinen atemraubenden Aufstieg von der Dritten Liga zur Weltmeisterschaft in Südafrika „nicht als Riesenschritt“ wahr. „Ich lebe diese Entwicklung ja jeden Tag“, sagt Müller.

Noch einmal kommt Gerd Müller vorbei. Er möchte dem Burschen weiterhin viel Glück wünschen. Im Frühjahr habe der Thomas ja ein bisschen müde gewirkt, aber Trainer van Gaal habe an ihm festgehalten. „Recht so“, sagt Gerd Müller. Thomas habe sich seine Pause schon genommen, jetzt werde er „eine große WM“ spielen. Thomas Müller hört das schon nicht mehr. Er geht seine Beine trainieren.

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