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© dpa

Fußball in Kabul: Tor zum Frieden

Ein deutscher Trainer versucht in Kabul, den afghanischen Fußball aufzubauen – ein gefährlicher Job.

19. Mai 2007, Kundus. Im Norden Afghanistans werden drei Bundeswehrsoldaten bei einem Selbstmordattentat getötet, als sie auf einem belebten Markt ihr Patrouillenfahrzeug verlassen. Fünf weitere Bundeswehrangehörige werden verletzt. Es ist der schwerste Anschlag auf die Bundeswehr in Afghanistan seit 2003. Die radikalislamische Taliban übernimmt die Verantwortung. In Deutschland wird der Einsatz der Bundeswehr am Hidukusch intensiv diskutiert.

19. Mai 2007, Kabul. Klaus Stärk sitzt in seinem kleinen Hotelzimmer vor dem Laptop. Im Internet-Radio fiebert der deutsche Fußballtrainer am letzten Bundesligaspieltag mit dem VfB Stuttgart mit. „Ich bin ein glühender VfB-Fan“, erzählt der 53-Jährige. Mit einem in Kabul arbeitenden deutschen Mediziner, der Schalke-Fan ist, hat er ausgemacht: Wessen Team Meister wird, der muss einen ausgeben. Stärk, der einst in der Jugend des VfB kickte und seine Trainerausbildung mit Felix Magath machte, darf abends jubeln. Mit „afghanischen Maultaschen“ und europäischem Bier feiern er und einige Bekannte, die für Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) arbeiten, ihre private Fußball-Party. Auch die toten Bundeswehrsoldaten sind ein Thema. „Mit dem ersten Bier haben wir auf die drei angestoßen“, erzählt Stärk.

Der Grat zwischen Feiern und Sterben ist klein in Afghanistan. Erst gestern starben mehrere Dutzend Menschen, darunter mindestens 20 afghanische Polizisten und einige Ausländer, bei einem Bombenanschlag in Kabul. „Die Gefahr lässt sich nicht ausblenden“, sagt Stärk. Man könne nur lernen, damit umzugehen. Seit 2004 arbeitet der DFB-Trainer für das „Deutsche Fußball-Projekt Afghanistan“ in Kabul, das vom Auswärtigen Amt finanziert und vom Deutschen Olympischen Sportbund organisiert wird. Damit soll nach dem Sturz des Taliban-Regimes der Fußball und so die Zivilgesellschaft gestärkt werden.

Stärk ist Nachfolger von Holger Obermann, zusammen mit dem Afghanen Ali Askar Lali treibt er die Entwicklung des Fußballs voran. Vorübergehend betreute er die afghanische Nationalmannschaft, er kümmert sich um Talentsichtungen, den Aufbau einer gesamtafghanischen Liga, die Förderung des Jugend- und Mädchenfußballs; er bildet auch Trainer aus. Sechs bis sieben Monate im Jahr ist er vor Ort – und hat immer wieder Glück. „Es besteht ständig die Gefahr, dass man zur falschen Zeit am falschen Ort ist“, sagt Stärk, der zuvor im Libanon und in Kasachstan gearbeitet hat. So schlugen gleich zu Beginn seines Aufenthalts „fünf propellergesteuerte Raketen in der Nähe meines Gästehauses ein“. Dann wurde das Internetcafé, aus dem Stärk regelmäßig Berichte nach Deutschland schickte, von einem Selbstmordattentäter in die Luft gejagt. „Einen Tag vorher war ich noch dort“, erinnert er sich. Als ein Bus mit Polizisten in die Luft flog, empfand Stärk die Erschütterung in seinem Hotel „wie ein Erdbeben. Da will man weg“, heim in den Schwarzwald, wo seine Frau ein Reisebüro betreibt. Doch er entscheidet sich immer wieder fürs Bleiben. „Man schläft eine Nacht drüber, dann geht es wieder.“

Seine Frau ist nicht so gelassen, wenn sie Anschläge im Fernsehen sieht. Sie hat Angst um ihren Mann. Die Sicherheitslage hat dazu geführt, dass Klaus Stärk nur noch im Raum Kabul arbeiten kann - für ganz Afghanistan findet sich keine Versicherung mehr, die ihn aufnimmt. Reisen nach Herat und Masar-i-Sharif sind nicht mehr möglich, stattdessen werden Trainer und U-23-Spieler, die identisch sind mit dem A-Nationalteam, in die Hauptstadt geflogen. Die Jugendnationalteams sind Kabuler Auswahlmannschaften.

Eine Landesmeisterschaft soll in zwei, drei Jahren entstehen - kein einfaches Unterfangen. Die Entfernungen sind riesig, die Straßen schwer passierbar. Noch gibt es nur Regionalmeisterschaften. In der höchsten Kabul-Liga sind zehn Teams am Start, alle spielen im Olympiastadion, das den Namen kaum verdient. „Es ist abbruchreif, gespielt wird auf sogenanntem Rasen und Dreck, wo sonst viele Aufmärsche und Paraden stattfinden“, berichtet Stärk. Es ist das einzige Stadion des Landes, täglich finden dort ein oder gar zwei Spiele statt - auf und im Staub.

Rund vier Millionen Menschen leben im Großraum Kabul, „die Stadt platzt aus allen Nähten, es gibt sehr viel Verkehr und eine hohe Staubbelastung“, sagt Stärk. „Ich vermisse am meisten frische Luft, man muss immer mal raus.“ Doch der Hunger nach Fußball ist riesig.

Unter den Taliban, die bis Ende 2001 herrschten, war Fußball zwar nicht verboten, aber ein Mittel zur Machtdemonstration. Spieler durften bei Temperaturen über 40 Grad nur mit langen Hosen antreten, mussten Vollbärte tragen. Torjubel der Zuschauer war unerwünscht, für unerlaubtes Applaudieren gab es zehn Hiebe. Öffentliche Hinrichtungen in der Halbzeitpause waren nichts Ungewöhnliches. Inzwischen müssen nur noch Mädchen und Frauen lange Hosen tragen, dazu Basecaps oder Kopftücher. Sie trainieren in Schulen hinter verschlossenen Türen, allen Widerständen in der Familie und im Erziehungsministerium zum Trotz. Zu Taliban-Zeiten durften Frauen gar keinen Sport treiben, nun nutzen sie alle Möglichkeiten. Das Interesse am von Deutschland geförderten Mädchenfußball war von Anfang an groß, ein Lehrgang für Fußballtrainerinnen sofort ausgebucht. Um den Frauenfußball zu stärken, wurde sogar die deutsche Nationalspielerin Birgit Prinz für einige Tage nach Kabul geflogen. Ein Damennationalteam soll gegründet werden und im Dezember, wenn alles klappt, in Pakistan das erste Spiel bestreiten. Bis dahin will Klaus Stärk auf jeden Fall noch seine Arbeit in Kabul fortsetzen. „Ich bin noch nicht ganz fertig“, sagt er.

Das Hauptaugenmerk gilt dem Männerfußball. „Die Spieler sind sehr motiviert, technisch relativ weit, aber taktisch ungeschult“, sagt Stärk. „Bei einer besseren Infrastruktur könnten sie im südasiatischen Raum eine gute Rolle spielen.“ Zu den bisherigen Erfolgen des Nationalteams gehören ein Sieg gegen Sri Lanka sowie Unentschieden gegen Indien und Bangladesch. Der Enthusiasmus ist groß, die Probleme auch: Die Plätze sind schlecht, an der Basis gibt es zu wenig ausgebildete Trainer, der afghanische Verband hat kaum finanzielle Mittel und den Fußballern fehlt Spielpraxis. Dazu kommen Korruption und auch Neid.

Dass sie es anderswo leichter hätten, wissen auch Afghanistans Fußballer: Nach einem Freundschaftsspiel in Verona vor einigen Jahren fehlten bei der Rückreise in die Heimat acht Spieler. So etwas ist Klaus Stärk in seiner Zeit als Nationaltrainer nicht passiert, nach einem Trainingslager in Deutschland flogen alle Spieler mit zurück. Allerdings hatte der Verband auch vorgesorgt: Jeder Fußballer musste vor der Reise ein Pfand in Form von Geld oder einem Grundstück hinterlegen – hätte er sich in Deutschland abgesetzt, wäre es in den Besitz des Verbandes übergegangen.

Helen Ruwald

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