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Am Eingang wird aussortiert.

© picture alliance / dpa

Fußballfans: Wir müssen draußen bleiben

Falscher Geburtsort, falsche Postleitzahl, zur falschen Zeit am falschen Ort – es gibt viele Gründe, warum Fußballfans nicht ins Stadion dürfen.

Wir stehen Schlange vor dem Stadion, es riecht nach Bier und Sieg und Sensation“, heißt es in einem Fansong-Klassiker. Wer kreativ ist, kann sich mal Gedanken machen über eine neue Liedzeile – wenn man die Sensation nicht miterleben darf, weil man ohne ersichtlichen Grund draußen bleiben muss. Vor zwei Wochen, beim Drittligaspiel Wehen Wiesbaden gegen Hansa Rostock, wurden Fans mit einer ungewöhnlichen Begründung abgewiesen. In ihrem Personalausweis stand bei ihrem Wohnort eine falsche Postleitzahl, oder der falsche Geburtsort. Wer schon ewig in Wiesbaden wohnt, aber in Neubrandenburg geboren wurde, durfte nicht rein.

Hansa Rostock hat ein Problem mit randalierenden Fans und hatte deshalb angeboten, für zwei Auswärtsspiele auf die eigenen Fans zu verzichten, um härtere Strafen abzuwenden, der Deutsche Fußball- Bund (DFB) hatte zugestimmt. Als praktische Lösung wurde die Restriktion mit den Postleitzahlen ersonnen, die alle Besucher ausschloss, die nicht aus der Umgebung kamen. Sie löste große Aufregung aus. „Das ist ein seltsames Kriterium, das in diesem Sonderfall aus der Not geboren wurde“, sagt der Rechtsprofessor Diethelm Kleszczewski von der Universität Leipzig. „Diese willkürliche Maßnahme ist nicht durch das Hausrecht gedeckt.“

Man stelle sich eine solche Regelung nur für ein Bundesligaspiel vor. Auch dort gibt es Fälle von Gruppenhaftung, in denen viele für die Randale weniger büßen müssen. Wie im Frühjahr, als nur 25 000 Fans im Olympiastadion das Heimspiel von Hertha BSC gegen den VfB Stuttgart verfolgen durften, weil nach der Niederlage gegen Nürnberg ein paar Wochen zuvor einige Fans aus der Ostkurve aufs Feld gestürmt waren und dort randaliert hatten. Am selben Spieltag waren auch keine Kölner in Hoffenheim erlaubt, weil FC-Anhänger bei vorherigen Auswärtsspielen Bengalos im Block gezündet hatten.

Solche Strafen werden von der Allgemeinheit meist schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Irgendetwas muss man ja machen gegen die Randalierer, die als persönliche Strafe oft mit einem Stadionverbot belegt werden, wenn sie identifiziert wurden. „Es gibt in der Fanszene die Einsicht, dass Verbote grundsätzlich nötig sind“, sagt Wilko Zicht, der Sprecher des Bündnisses Aktiver Fußball-Fans (Baff). „Aber wir sind für ein vernünftiges, staatliches Verfahren.“ Denn auch bei den personalisierten Stadionverboten kann es Unbeteiligte treffen, die vielleicht nur in der Nähe standen, wenn irgendwo jemand randalierte. Fanorganisationen argumentieren mit dem Szenario, dass es an der Autobahnraststätte zu einem Zwischenfall kommen kann, bei dem die Polizei die Personalien aller zufällig Anwesenden aufnimmt. Konsequenzen hat das weiter nicht, bis auf eine: Etwas später erhält man einen Brief, der einem mitteilt, dass man zwei Jahre lang kein Fußballspiel von der ersten bis zur vierten Liga besuchen darf.

Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem Vorjahr sind Stadionverbote beim bloßen Verdacht auf Gewalttätigkeit zulässig, die Unschuldsvermutung gilt hier nicht. Die Verbote können bis zu drei Jahre dauern. Ein Fan von Bayern München, der jede Beteiligung an der fraglichen Randale bestritt und nur zur S-Bahn gegangen sein will, hatte gegen ein zweijähriges Stadionverbot geklagt. „Die Strafverfolgungsbehörden kühlen ihr Mütchen mit dem Stadionverbot und stellen das eigentliche Strafverfahren dann wegen Geringfügigkeit ein“, sagt Zicht. Auch in diesem Fall wurde das Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch eingestellt. Es blieb das bundesweite Verbot, zu dieser Möglichkeit haben sich die Klubs gegenseitig verpflichtet. Der Betroffene, der auch seine Dauerkarte verlor, legte Verfassungsbeschwerde wegen Eingriffs in seine Persönlichkeitsrechte ein. Das Urteil steht noch aus. Gerade in den bundesweiten Verboten sehen Fanvertreter eine Privatisierung des Strafrechts.

„Örtliche Verbote gegen Fans sind durch das Hausrecht der Klubs gedeckt. Überörtliche Verbote sind hingegen verfassungswidrig“, sagt Kleszczewski. „Sie sind rechtlich boykottähnlich und damit juristisch wie eine Strafe, die nur ein Gericht verhängen kann.“ Er hält das BGH-Urteil nicht für schlüssig begründet. Sichtbare Veränderungen in der Praxis sind dem Urteil nicht gefolgt. Baff-Sprecher Zicht sagt: „Das Urteil stellt keine Verschlechterung dar, weil es die vorher übliche Praxis bestätigt hat. Die erhoffte Verbesserung ist allerdings ausgeblieben.“

Es lässt sich nicht sagen, wie viele der ungefähr 3000 aktuellen Stadionverbote berechtigt sind – es werden viele sein. Doch es wird auch hier Betroffene geben, die gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. Ihre Möglichkeiten, sich zu wehren, sind sehr begrenzt. „Die Zusammenarbeit mit der Polizei und den Vereinen läuft lokal sehr unterschiedlich. Nicht einmal eine Stellungnahme des vom Verbot Bedrohten wird überall angefordert“, sagt Zicht. Das ist zum Beispiel bei Borussia Dortmund anders, dort wird ein Stadionverbot laut Organisationsleiter Christian Hockenjos nur dann ohne Anhörung verhängt, wenn die Protokolle des Ordnungsdienstes und der Polizei eindeutig seien. Sonst wird ein mehrstufiges Verfahren inklusive der Anhörung des vom Verbot Bedrohten und der Fanvertreter eingeleitet. „Wir sprechen nicht mir-nichts-dir-nichts Verbote aus“, sagt Christian Hockenjos.

Ein Stadionverbot ist für viele ein schwerer Schlag für das Sozialleben. Wer sich davon befreien will, hat seit zwei Wochen in Dortmund in einem Pilotprojekt die Gelegenheit, sein Stadionverbot durch Sozialstunden zu verkürzen. Drei Stunden pro Monat Verbot sind dafür vorgesehen, als Kooperationspartner stehen zwei Altenheime und eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie bereit. Mitmachen darf, wer nicht älter als 25 Jahre ist und zum ersten Mal ein Stadionverbot bekommen hat. Das hört sich nach einer sinnvollen Maßnahme an, allerdings sind auch Sozialstunden eine Strafe. Auch hier ist fraglich, ob dafür eine Privatperson, die ein Verein rechtlich ist, zuständig ist.

Gemeldet hat sich in den ersten beiden Wochen noch niemand.

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