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Die Lenin-Statue prägt in die Innenstadt von Charkow, auf Werbevideos für die Europameisterschaft 2012 soll sie aber lieber nicht auftauchen.

© dpa

Fußballfilmfestival 11mm: Die ungeschminkte Welt des Fußballs

Das Fußballfilmfestival 11mm etabliert sich weiter in der öffentlichen Wahrnehmung. In diesem Jahr steht die EM 2012 mit ihren Gastgeberländern Polen und Ukraine im Fokus.

Er ist mehrere Milliarden Dollar schwer, besitzt halb Charkow und doch überwacht Alexander Jaroslawkij die Fortschritte auf der Baustelle des Metalist-Stadions jeden Tag selbst. Dem Oligarchen ist es zu verdanken, dass aus der 1926 erbauten Betonschüssel eine Arena wurde, in der Deutschland am 13. Juni gegen die Niederlande sein zweites Spiel bei der Europameisterschaft absolvieren wird. Das Porträt des scheuen „König von Charkow“ gehört zu den Highlights des Fußballfilmfestivals 11mm, das sich fünf Tage lang im Babylon-Kino schwerpunktmäßig dem Turnier in Polen und der Ukraine widmet.

Gedreht von der polnischen Filmemacherin Barbara Wlodarczyk zeichnet diese Dokumentation das Bild eines kontrollsüchtigen Oligarchen (Leitspruch: „Geld mag Stille“), der im Gegensatz zu dem schillernden Donezker Patriarchen Rinat Achmetow den Fußball erst spät für sich entdeckt hat. Ein 49-jähriger Mann mit harten Gesichtszügen und unklaren politischen Ansichten, mit einer 23 Jahre alten Ehefrau, die im gesamten Film nur ihr hübsches Gesicht in die Kamera halten, aber kein Wort sagen darf.

Jaroslawskij hat nicht nur die Arena seiner von Industrie geprägten Heimatstadt erneuert, sondern auch den Flughafen gebaut, auf dem Spieler und Fans im Sommer landen werden, sowie die Hotels errichtet, in denen sie schlafen werden. Was im Westen öffentlich-private Partnerschaft heißt, bedeutet in der Ukraine die freundliche Übernahme einer ganzen Stadt durch einen Investor. Zu stören scheint dies in Charkow kaum jemanden, die Fans im Metalist-Stadion skandieren vor Spielen minutenlang seinen Namen. In einer Filmszene überwacht Jaroslawskij den Bau eines Luxushotels im Zentrum Charkows, hinter ihm wacht ein 20 Meter hoher Lenin über die Stadt. Jene Statue, die in einem EM-Werbevideo kurzerhand rausgeschnitten wurde. Die Ukraine möchte ihre Altlasten loswerden, so wie auch Jaroslawskij alle Fragen zu den Ursprüngen seines sagenhaften Reichtums in den wilden 90er Jahren beharrlich ignoriert.

Schein oder Sein - was wird haften bleiben?

Der Frage von Schein und Sein hat sich auch der Fotograf Kirill Golovchenko angenommen. Seine im Rahmen des Festivals gezeigte Fotoausstellung „Der Ball des Anstoßes“ zeigt die beiden Gastgeberländer in Schwarz-Weiß und frei von jeglicher Werbefilmästhetik. „Ich hoffe, dass die Fans nicht nur den billigen Glanz sehen, sondern hinter die Kulissen blicken“, sagt Golovchenko, der alle EM-Städte bereist hat und vor allem in der Ukraine viel Begeisterung und Vorfreude auf das Turnier erlebt hat. Auf einem seiner Bilder zieht ein ausgezehrter alter Mann einen Karren durch eine Brache, im Hintergrund thront das funkelnde neue Stadion in Danzig. Auf einem anderen sammelt ein Mann Altmetall vor dem Metalist-Stadion in Charkow. „Der Westen muss genau hingucken“, ist Golovchenkos Appell, dessen Bilder wie eine Blaupause für eine ungeschminkte Darstellung der Gastgeberstädte der EM wirken.

Eine Reise von Polen in die Ukraine hat auch Timon hinter sich, im Gegensatz zu dem Fotografen Golovchenko ist seine Tour jedoch schlecht verlaufen – der Musiker wurde ausgeraubt. In dem Film „Rock’n’Ball“ wird der Trinker Timon unfreiwillig sogar für einen Tag zum Vater, weil das Waisenkind Dima in einer Fußballakademie vorspielen will und das nur mit einem Erwachsenen an seiner Seite erlaubt ist. Der Grund dafür wird spät im Film offenbar: Für eine Aufnahme in der Akademie muss Schmiergeld bezahlt werden. Familientaugliche Sozialkritik, verpackt in einem Fußballfilm.

Ansonsten vermitteln viele 11mm-Filme das melancholische Gefühl jener guten alten Zeit, als das große Geld den Fußball noch nicht erreicht hatte. Festivalmacher Jochen Lohmann erklärt, dass die meisten Zuschauer „Männer über 30“ sind, die in diesen Zeiten sozialisiert wurden. „Wir sind sehr froh, dass wir dieses Jahr noch mehr überregionale Wahrnehmung bekommen haben“, sagt Lohmann. Den größten Anteil daran hat Sepp Maiers Videotagebuch der WM 1990. Wegen der großen Nachfrage gab es Sondervorstellungen – alle ausverkauft. Dabei ist Torwartlegende Maier beim Festival nicht nur wegen seiner Retro-Doku allgegenwärtig, auch in zahlreichen anderen Beiträgen taucht er auf, zum Beispiel in der Dokumentation über die legendäre Mannschaft der 70er von Dynamo Kiew als Bayern-Torwart oder im Film „Meister gegen Meister“ als Torwart einer DFB-Altstars-Auswahl.

So etabliert sich das Festival dank der bayerischen Legende ein Stück weiter in der öffentlichen Wahrnehmung. Und zeigt Fußballfans die Gastgeberländer der kommenden Europameisterschaft abseits der überschminkten Werbevideos.

11mm, im Babylon-Mitte, noch bis 13.3., Filme jeweils von 17.30 bis Mitternacht, komplettes Programm auf www.11-mm.de

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