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© Ullstein

Fußballliga: Wer sich am Dynamo reibt

Vergleich ohne Sieger: Die Ausstellung „Wir gegen uns“ erzählt kleine und große Sportgeschichten aus beiden Teilen Deutschlands.

Bevor der Kalte Krieg zu Ende ging, kam er noch in der Kreisklasse vorbei. Er baute sich vor der untersten Fußballliga auf und wollte auch hier in Gut und Böse teilen. Die Bösen waren eine Clique von Freizeitkickern im Norden Hessens, die mit dem Fahrrad zum Bolzplatz fuhren und sich linksalternativ gaben. Sie nannten sich FSC Dynamo Windrad. Doch Dynamo durfte nicht mitspielen in Kassel, so entschied es der hessische Fußball-Verband Mitte der achtziger Jahre, denn Dynamo war DDR, der Klassenfeind. Bestätigt hat diese Auffassung das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, der Name ähnele „zu sehr den Gepflogenheiten der Vereine in der DDR bzw. in den Ostblockstaaten“.

Von solchen politischen Spielen erzählt die Ausstellung „Wir gegen uns. Sport im geteilten Deutschland“, die bis zum 5. April im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen ist und von Mai bis Oktober dann im Haus der Geschichte in Bonn. Sie zieht die großen historischen Linien genauso nach wie die kleinen Spuren, und vielleicht steckt in den fast vergessenen Begebenheiten wie der um Dynamo Windrad sogar mehr Aussage als etwa in den beiden prominentesten Sportbegegnungen zwischen Bundesrepublik und DDR, dem Sprintduell Heidemarie Rosendahl gegen Renate Stecher bei den Olympischen Spielen 1972 in München und dem Sparwasser-Tor bei der Fußball-WM 1974.

Der Sport im Osten und Westen Deutschlands litt regelmäßig unter Muskelkrämpfen, ihm fehlte jedenfalls die Lockerheit, die sich der erste Bundespräsident Theodor Heuss für den Sport wünschte: „Es gibt keinen proletarisch-marxistischen Klimmzug und keinen bürgerlich-kapitalistischen Handstand – man kann’s oder man kann’s nicht.“ Überhört wurde das auf beiden Seiten. Für was der Sport alles gebraucht und missbraucht wurde, darauf ermöglicht die Ausstellung nun einen tiefgründigen Blick, Doping kommt dabei genauso vor wie die Bespitzelung durch die Staatssicherheit.

Aber „Wir gegen uns“ rechnet nicht einseitig mit dem Sportsystem einer Diktatur ab. Schmutzbefleckt war auch der westdeutsche Trainingsanzug, braun besprenkelt sozusagen. Denn wichtige Aufbauhelfer des Sports in der Bundesrepublik hatten vorher beim nationalsozialistischen Körperkult mitgemacht, wie etwa Karl Ritter von Halt, ehemals Reichssportführer und in der Bundesrepublik dann rund ein Jahrzehnt Präsident des Nationalen Olympischen Komitees.

Nicht nur der erst kürzlich bekannt gewordene Dienst des bedeutendsten westdeutschen Sportfunktionärs Willi Daume für die SS zeigt, dass die Themen der Ausstellung in die Gegenwart hineinragen. Bis heute tut sich der wiedervereinigte Sport schwer damit, wie er mit dopingbelasteten Trainern umgehen soll und ob ein ehemaliger Stasi-Spitzel wie der Eiskunstlauftrainer Ingo Steuer nicht 20 Jahre nach der Wende auch aus Steuermitteln gefördert werden darf. Nichts davon fehlt in der Ausstellung.

Im olympischen Spitzensport übertraf die DDR die größere Bundesrepublik, im Breitensport konnte sie nicht Schritt halten mit der wenn auch ungelenk beginnenden Massensportbewegung, die mit dem Trimmy-Männchen ihr erstes Maskottchen bekam. Auch den Nachwuchs- und Breitensport nutzte die DDR-Führung als Mittel zum Zweck, in der Ausstellung findet sich etwa der Brief eines Kinderarztes, der sich verbittet, dass seine sieben Jahre alte Tochter Sport mit dem Ziel der Landesverteidigung betreiben soll. Im Schulsport war die Attrappe einer Handgranate Wurfgerät.

„Wir gegen uns“ ist jedoch ein Vergleich ohne Sieger. Gedopt wurde in beiden Teilen Deutschlands, auch in der Bundesrepublik nickte die Regierung die Manipulation ab, wie ein Filmausschnitt belegt. Das angeordnete Hormondoping von minderjährigen Mädchen vor ihrer ersten Monatsblutung dürfte die DDR allerdings allein betrieben haben.

Doch zurück zu den Geschichten. Es gab auch ein „Wir mit uns“, denn regelmäßig schaffte es der Sport, durch den Eisernen Vorhang zu schlüpfen, in der „Nacht der Bierdosen“ zum Beispiel, als der DDR-Handballspieler Wolfgang Böhme den bundesdeutschen Kollegen Kurt Klühspies und Heiner Brand bei der WM 1978 in ihrem Hotelzimmer mit ein paar leeren Bierdosen die Taktik ihres Finalgegners Russland erklärte. Die Bundesrepublik wurde am Tag darauf überraschend Weltmeister. Böhme selbst ist ein tragischer Held des DDR-Sports, das Gegenteil also von Idolen wie dem Radprofi Täve Schur. Die Stasi vermutete Fluchtgedanken, und als seine Kollegen 1980 in Moskau Olympiasieger wurden, musste er als Ausgeschlossener in der DDR vor dem Fernseher zusehen.

Es gibt einige traurige Ecken in der Ausstellung, in geöffneten Schränken dokumentiert sie symbolisch Schicksale im Sport der DDR, vom Schwimmer Axel Mitbauer, dem seine körperlichen Fähigkeiten zur Flucht durch die Ostsee verhalfen, oder vom Radfahrer Wolfgang Lötzsch, der ausdelegiert wurde, weil er nicht in die SED eintreten wollte.

Der Sport hat viele Entwicklungen in beiden deutschen Gesellschaften gespiegelt, und es ist kein Zufall, dass das Brandenburger Tor auch im Sport zum Symbol des Zusammenwachsens wurde beim ersten Berlin-Marathon durch die ganze Stadt, am 30. September 1990, also kurz vor der Wiedervereinigung.

Seit der Wiedervereinigung darf übrigens auch Dynamo Windrad mit dem selbst gewählten Namen spielen und gehört mit inzwischen 1000 Mitgliedern zu den größten Freizeitsportvereinen der Region. Ob in Dresden oder Kassel – am Dynamo reibt sich die Politik nicht mehr.

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