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Fußballbücher: Aufschlagen und im Rasen versinken.

© Fotolia, Montage: Thomas Mika

Fußballliteratur: Entscheidend is’ auf’m Papier

Fußballbücher sind langweilig, heißt es. Aber stimmt das nach Nick Hornby überhaupt noch? Warum Hornby das Schreiben über Fußball gleichermaßen salonfähig wie unmöglich gemacht hat.

Vielleicht waren es ja wirklich die Eiswürfel in Rautenform. Jannik Sorgatz hat sie am 10. April 2011 aus seinem Eisschrank geholt und zu Hause auf die Fensterbank gestellt. Zu diesem Zeitpunkt ist Borussia Mönchengladbach abgeschlagener Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga, am Nachmittag steht das rheinische Derby gegen den 1. FC Köln an, und das ist nun wohl wirklich die allerletzte Chance, mit einem Sieg noch einmal ein wenig Hoffnung im Kampf gegen den Abstieg zu schöpfen. Als Sorgatz am Abend nach Hause zurückkehrt, hat Gladbach 5:1 gewonnen, und von den Eiswürfeln in Rautenform ist nur eine Pfütze übrig geblieben. Fortan, in den sechs Wochen bis zur Rettung in der Relegation, wird Sorgatz den Wasserstand in der Eiswürfelform mit einer Pipette immer auf demselben Pegel halten. „Was man nicht alles tut, um dem Vorwurf zu entgehen, nicht alles versucht zu haben. Aber ich habe schon für grüne Ampeln gebetet und mir absichtlich Senf aufs Trikot geschmiert.“

„So weit die Raute trägt. Als Gladbach wieder auferstand“, heißt das Buch, in dem Jannik Sorgatz solche Geschichten erzählt und Gladbachs wahnwitzige Saison 2010/11 noch einmal Spieltag für Spieltag Revue passieren lässt, egal ob er mit seiner Dauerkarte im Borussia-Park saß, im Sonderzug zum Auswärtsspiel unterwegs war oder während eines Uni-Seminars per SMS über den Ausgang des Spiels informiert wurde. „So weit die Raute trägt“, im Selbstverlag erschienen und bisher rund 3000-mal verkauft, ist eine Mischung aus Erlebnisbericht und Seelenstriptease; es ist entschieden subjektiv, sprachgewaltig, witzig und deprimierend, anrührend und aufwühlend – und sticht damit deutlich heraus aus der Masse an Betroffenheitsprosa von Fußballfans, von Allesfahrern und Groundhoppern, Ultras und Hooligans. „Gänsehautfeeling in Druckerschwärze konvertiert“, hat einer von siebzehn Rezensenten bei Amazon über das Debüt des Journalistik-Studenten Sorgatz (Books on demand, 11,99 Euro) geschrieben. Nur einer von siebzehn hat das Werk verrissen: „Fußballbücher sind langweilig.“

Fußballbücher sind langweilig. Das ist ein Satz von scheinbar ewiger Gültigkeit wie: „Mallorca hat auch schöne Ecken“ oder „Im Europapokal halte ich immer zu den deutschen Mannschaften.“ Der Fußball, so heißt es, tauge nicht als literarische Vorlage – weil nichts so packend ist wie das Spiel selbst. Aber stimmt das überhaupt noch? Natürlich gibt es langweilige Fußballbücher en masse, es gibt viele schlechte Fußballbücher, aber es gibt eben auch gute, ein paar wenige sehr gute. Und es gibt Nick Hornby.

„Ich verliebte mich in Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: unvermittelt, unbegreiflich, unkritisch, ohne einen Gedanken an den Schmerz oder den Schaden, den er mir zufügen würde.“ Fast jeder kennt den eigentlichen ersten Satz aus „Fever Pitch“, aus Hornbys „Geschichte eines Fans“. Vor 17 Jahren ist das Buch in Deutschland zum ersten Mal erschienen, und ich erinnere mich noch, was die Lektüre damals in mir ausgelöst hat – den Gedanken: Scheiße, warum habe ich dieses Buch nicht geschrieben?

Nick Hornby hat mit "Fever Pitch" das ultimative Fanbuch geschrieben.

Jeder Fußballfan ist davon überzeugt, dass die Liebe zu seinem Verein einzigartig ist – und trotzdem haben sich beim Arsenal-Fan Hornby alle wiedergefunden, Anhänger von Tottenham und Chelsea genauso wie Fans von Eintracht Frankfurt und Waldhof Mannheim. „Ich habe das alles gefühlt, und mit mir viele, viele andere Millionen“, schreibt Hornby im Vorwort zur gerade in Deutschland erschienenen Neuübersetzung seines Buchs (Kiepenheuer & Witsch, 8,99 Euro). Jannik Sorgatz hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Ihm ging es eigentlich nur darum, seine für sich einzigartigen Fan-Erlebnisse aufzuschreiben; doch, ohne es zu wollen, traf er damit offensichtlich einen Nerv. Das ging so weit, dass ihm Leute berichteten, sie wären zwar nicht bei diesem oder jenem Auswärtsspiel gewesen, über das er geschrieben habe, „aber wenn ich da gewesen wäre, hätte ich es genau so erlebt“. Sorgatz fragte sich, wie so etwas sein könne, und kam zu dem Ergebnis, dass es sich beim Fansein um „ein sehr universales Gefühl“ handeln müsse.

Niemand hat dieses universale Gefühl – bewusst oder unbewusst – treffender beschrieben als Nick Hornby. Schon vor mehr als zehn Jahren hat der Schriftsteller Thomas Brussig gesagt: „Hornby hat das ultimative Fanbuch geschrieben.“ Kaum ein Fan wird bestreiten, dass „Fever Pitch“ ein Meisterwerk der Fußballliteratur ist. Weil das, was Hornby geschrieben hat, für jeden Fan wahr ist, gewissermaßen allgemeingültig. Das Problem ist: Was soll nach der letzten Wahrheit noch kommen?

Nick Hornby
Nick Hornby

© dpa

Die Frage, wie schwer es ist, nach Nick Hornby über das Fansein zu schreiben, hat sich Jannik Sorgatz nie gestellt: „Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der es selbstverständlich war, über Fußball zu schreiben“, sagt er. Natürlich hängt das in erster Linie mit Hornby zusammen. Und die Möglichkeiten des Internets haben dieses Phänomen noch verstärkt. Auch bei Sorgatz war das so. „So weit die Raute trägt“ hat als Blog begonnen. Sorgatz’ erster Text überhaupt wurde aus Frust geboren: aus Frust über ein 0:2 in Bochum am letzten Spieltag der Hinrunde und das Überwintern auf dem letzten Tabellenplatz.

Das Paradoxe ist: Hornby hat das Schreiben über Fußball gleichermaßen unmöglich und salonfähig gemacht. Jeder weiß, dass er daran scheitern wird, „Fever Pitch“ zu übertreffen. Genauso aber hat Hornby auch jene ermutigt, über Fußball zu schreiben, die genau das nicht können: schreiben. Fans aus der Kurve, die Sätze wie diesen für tief, für echt, für einzigartig halten: „Ich war gefangen, infiziert vom blau-weißen Virus, der mich bis heute nicht losgelassen hat, mich mein ganzes Leben begleiten wird und den ich versuchen werde, auch an meine Tochter weiterzugeben.“ Auch so etwas wird heutzutage auf Papier gedruckt.

Das Fansein, die Zugehörigkeit zu einer riesigen Gemeinschaft der Gläubigen, gaukelt uns ein Gefühl der Größe und Erhabenheit vor, das die wenigsten in Worte zu fassen vermögen. Nick Hornby hat das geschafft. Er hat den Fußball als Metapher für das Leben verstanden, als „eine andere Version der Welt“. Für „Fever Pitch“ hat er seinen kompletten Lebenslauf anhand von Fußballspielen strukturiert, trotzdem käme niemand bei ihm auf die Idee, den Fußball für größer zu halten als das Leben – am wenigsten Hornby selbst. Ganz ehrlich: Nichts ist schlimmer als der heilige Ernst in den Gesinnungsaufsätzen von Fans, die unfähig sind, über sich selbst zu lachen.

Jannik Sorgatz bezeichnet sich selbst als reflektierten Menschen. Natürlich weiß er, dass es schwachsinnig ist, an die Kraft geschmolzener Eiswürfel zu glauben. Genauso hat er damals, im April 2011, gewusst, dass der Fußball einem manchmal keine andere Wahl lässt, als an die Kraft geschmolzener Eiswürfel zu glauben.

Vielleicht ist genau das der Widerspruch, aus dem gute Fußballliteratur entstehen kann.

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