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Steht zwar nicht vor einem Stadion, aber dafür vor dem Centre Pompidou in Paris: Eine Hommage an Zinedine Zidanes Kopfstoß gegen Marco Materazzi im WM-Finale 2006.

© Imago

Fußballstatuen: Forscher Chris Stride: "Eine Statue ist wie ein Schrein"

Immer mehr Fußballklubs stellen sich Skulpturen vor ihr Stadion. Forscher aus Sheffield untersuchen diesen Trend. Ein Gespräch über große Gefühle in Bronze und Helden auf Bestellung.

Herr Stride, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit Statuen von Fußballern und anderen Sportlern. Vor kurzem haben sie eine umfassende Datenbank zu dem Thema vorgestellt. Was haben Sie herausgefunden?

Fußballstatuen sind ein weltweites Phänomen, es gibt sie fast überall. Meist stellen Vereine die Skulpturen auf, um nostalgische Gefühle bei ihren Fans hervorzurufen. Sie sollen identitätsstiftend wirken. Fast alle Statuen sind in den vergangenen 20 Jahren entstanden – die Klubs haben gemerkt, dass sie auf diese Weise für sich werben können.

Wie sieht die typische westeuropäische Fußballstatue aus?
Stilistisch dominieren Einzelfiguren in Aktion, Jubelgesten sind seltener. Am häufigsten werden Stürmer verewigt. Das hat aber damit zu tun, dass meist Spieler aus den 1950er und 1960er Jahren ausgewählt werden, damals wurden taktisch mehr Stürmer aufgestellt.

Statuen von Feldherren, Dichtern und Politikern gibt es schon lange – wieso werden nun auch immer mehr Fußballer verewigt?
Es geht darum, Authentizität für sich zu beanspruchen. Fußball ist heute global, viele Vereine bauen neue Stadien, das Spiel wird immer kommerzieller. Das festigt das Band zwischen dem Klub und seinen Anhängern nicht gerade. Fans denken nun mal gerne, ihr Klub sei etwas Besonderes. Eine Statue soll die Geschichte des Vereins verdeutlichen und seine lokale Verankerung betonen.

Wer kommt für eine Statue infrage?
In Großbritannien werden oft besonders loyale Spieler, Helden der Vergangenheit, für Statuen ausgewählt. Die Leute sollen denken: „Ach ja, als ich klein war, habe ich diesen Spieler hier gesehen.“ Es geht um schöne Kindheitserinnerungen. In Deutschland hat der 1. FC Nürnberg zum Beispiel Max Morlock als Statue verewigt. Die Nürnberger können sagen: Wir hatten Morlock, einen Helden des deutschen Fußballs – das macht uns zu etwas Besonderem.

Welche Rolle spielen die Statuen im Leben der Fans?
Wenn man Fußball als Religion betrachtet, ist das Stadion die Kathedrale – und eine Statue ist wie ein Schrein. Als Fans von Leeds United im Jahr 2000 bei einem Auswärtsspiel in Istanbul erstochen wurden, wurden viele Blumen am Denkmal für den Leeds-Spieler Billy Bremner niederlegt. Es gibt aber auch weniger friedliche Rituale: Zum Beispiel versuchen manchmal Fans, eine „gegnerische“ Statue mit den eigenen Schals, Trikots und Farben zu dekorieren. In Norwegen gingen 2013 Fans von Valerenga Oslo sogar so weit, eine Statue von Lilleströms Spieler Tom Lund zu köpfen.

Wenn man in Ihrer Datenbank stöbert, fällt auf, dass die meisten Statuen sehr ähnlich gestaltet sind: eher naturgetreu, aus Bronze, figürlich, altmodisch. Wieso?
Die Öffentlichkeit mag diesen Stil. Sie dürfen nicht vergessen: Es geht darum, den Fans Helden zu präsentieren. In den meisten Fällen sind die Statuen Auftragsarbeiten, mit klaren Anweisungen. Die Angehörigen des Spielers sollen nicht vor den Kopf gestoßen werden – und die Masse von 20.000 oder 30.000 Fans erst recht nicht. Die Klubs gehen auf Nummer sicher. Es geht eher um Marketing als um visuelle Geschichtsschreibung.

"Uwe Seelers gigantischer Fuß in Hamburg ist ungewöhnlich"

Chris Stride, 39, ist Statistiker am Institut für Arbeitspsychologie an der Universität Sheffield. Nebenbei hat er in den vergangenen drei Jahren eine Datenbank zu mehr als 1000 Sportstatuen erstellt. Das Foto zeigt ihn vor der Statue des Baseballers Jackie Robinson in Montreal.
Chris Stride, 39, ist Statistiker am Institut für Arbeitspsychologie an der Universität Sheffield. Nebenbei hat er in den vergangenen drei Jahren eine Datenbank zu mehr als 1000 Sportstatuen erstellt. Das Foto zeigt ihn vor der Statue des Baseballers Jackie Robinson in Montreal.

© promo

Gibt es Ausnahmen von dieser Regel?
In Stockholm steht eine abstrakte Statue, die den schwedischen Nationalspieler Lennart Skoglund als Teil einer Mauer zeigt. Sehr kreativ, überhaupt nicht figürlich. Diese Skulptur ist aber nicht von einem Verein bezahlt worden, sondern von der Kommune. Da sind die Chancen für einen interessanten Entwurf weitaus größer. In Deutschland gibt es weniger Statuen, dafür sind die Skulpturen spannender. Uwe Seelers gigantischer Fuß in Hamburg ist natürlich ungewöhnlich. In Mönchengladbach sind Günter Netzer, Herbert Wimmer und Berti Vogts als Marionetten dargestellt – sehr seltsam!

Wird diese Art von Kreativität honoriert?
Eher selten. In den USA gab es Proteste gegen eine Statue eines Baseballers, den der Künstler mit fünf Armen dargestellt hatte. Kam gar nicht gut an.

Der englische Erstligist FC Arsenal hat inzwischen fünf Statuen vor seinem Stadion stehen. Auf der Brust des langjährigen Kapitäns Tony Adams ist sogar der Schriftzug des Sponsors nachgebildet. Das widerspricht dem Konzept einer einzigartigen, zeitlosen Statue doch völlig.
Natürlich. Das zeigt, wie paradox das Ganze ist: Einerseits will sich der Verein als geerdeter, historisch gewachsener und mit den Fans eng verbundener Klub darstellen. Andererseits kostet so eine Statue um die 80 000 Euro, die oft von Sponsoren bezahlt werden. Bill Shankly, der ehemalige Trainer vom FC Liverpool, war bekennender Sozialist, auf dem Sockel seiner Statue in Anfield prangt aber ein nicht zu übersehendes „Carlsberg“-Logo. Es ist wirklich riesig. Shankly hätte es gehasst.

Sie haben für Ihre Studie mehr als 1000 Statuen in 56 Ländern katalogisiert. Haben Sie ein Lieblingsexpemplar?
Die witzigsten Statuen stehen in China: Nachdem sich die chinesische Nationalmannschaft für die WM 2002 qualifiziert hatte, wurden in nur drei Monaten Statuen von 44 Personen errichtet – von allen Spielern, Trainern, Betreuern, Übersetzern, Funktionären. Die Mannschaft verlor anschließend alle drei Vorrundenspiele, schoss dabei kein einziges Tors und schied sofort aus. Ich finde das köstlich. Statuen sagen oft mehr über ihre Auftraggeber und den Zeitpunkt ihres Entstehens aus als über die Person, die sie darstellen.

Sie lehren an der Universität von Sheffield eigentlich Statistik. Woher kommt Ihre Leidenschaft für Sport-Statuen?
Eines Tages kam ein Kollege in mein Büro und zeigte mir Bilder von Sportstatuen. Er fragte mich, ob ich wüsste, wie viele es von diesen Dingern in Großbritannien gebe. Und wenn man als Statistiker gefragt wird, wie viele Exemplare es von irgendeiner Sache gibt, muss man es einfach rauskriegen.

Was halten Sie von der berühmten Skulptur des algerischen Künstlers Adel Abdessemed, die den Kopfstoß von Zinedine Zidane gegen Marco Materazzi im WM-Finale 2006 zeigt?
Ich finde sie sehr gelungen. Weil sie einen Moment der Schwäche und des Scheiterns zeigt – und keinen Triumph. Viele Leute denken, Statuen würden Geschichte darstellen, dabei bilden sie meist nur positive Gefühle ab. Aber der Fußball besteht aus unendlich vielen Verlierern, nur die wenigsten Spieler und Mannschaften gewinnen Titel. Natürlich werden Statuen in erster Linie errichtet, um an diese Momente zu erinnern. Gleichzeitig sind die Erfahrungen der Fans doch sehr stark vom Scheitern geprägt, vom Leiden.

In Katar wurde die Kopfstoß-Statue nach Protesten schnell wieder abgebaut.
Ich fand die Idee der Katarer wahnsinnig komisch, mit der Skulptur für die WM 2022 werben zu wollen. Sie zeigt schließlich die dunkle Seite des Fußballs – die allerdings sehr unterhaltsam sein kann. Der Zidane-Moment hat viele Menschen fasziniert. Es gibt eben nicht nur herausragende Augenblicke auf dem Fußballfeld, vieles ist eher stumpfsinnig und langweilig. Deswegen brauchen wir auch lustige und tragische Momente, um Fußball zu genießen. Es wäre schön, wenn Statuen das noch mehr reflektieren würden.

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