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Sport: Gänseleber statt Armstrong

Wie der Radsport in Amerika überleben will

Jonathan Vaughters ist nicht besonders gut auf Lance Armstrong zu sprechen. Seit er vor fünf Jahren vom Kapitän des damaligen US-Postal-Teams aus der Mannschaft geekelt wurde, redet er nicht mehr mit Armstrong und umgekehrt. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass Vaughters sich schwer damit tut, dem sechsmaligen Tour-de-France- Sieger die uneingeschränkte Macht über den amerikanischen Radsport zuzugestehen. „Der Erfolg des US-Radsports hängt nicht an einer Person“, sagt Vaughters.

Mittlerweile ist Vaughters Sportdirektor bei der amerikanischen Nachwuchsmannschaft TIAA-Cref. In dieser Woche dürfen seine jungen Fahrer gegen das große Idol Armstrong bei der Tour of Georgia antreten, derzeit das einzige ernstzunehmende internationale Profirennen in den USA. In diese Art von Veranstaltung legt Vaughters große Hoffnungen für die Zukunft des amerikanischen Radsports nach dem Star-Kult um den sechsfachen Tour-Champion. „Irgendwo in Georgia“, sagt Vaughters, „stehen jetzt zehnjährige Jungs am Streckenrand und drängen nächste Woche ihre Eltern dazu, ihnen ein Rennrad zu kaufen.“ Ob es allerdings die Tour of Georgia auch ohne Lance Armstrong in den kommenden Jahren noch geben wird, ist alles andere als gewiss. So sehr sich Vaughters und viele andere im amerikanischen Radsport Autonomie von Armstrong wünschen, so bange ist ihnen auch davor. Der Titelsponsor der Tour of Georgia verlängert sein Engagement nur von Jahr zu Jahr – und nach der Dopingsperre gegen Olympiasieger Tyler Hamilton wird 2006 kein einheimischer Star am Start sein. In den patriotischen USA erhöht das nicht gerade die Erfolgschancen.

Im nächsten Jahr muss sich zeigen, ob die Belebung, die Armstrongs erster Tour-Sieg 1999 in den amerikanischen Radsport brachte, von Dauer sein kann. Damals gab es drei Profimannschaften in den USA, mittlerweile sind es 15. „Die Situation bei der Sponsorensuche ist noch immer nicht gut“, sagt Jonathan Vaughters. „Aber man kommt mittlerweile bei den Firmen immerhin bis ins Vorzimmer.“ Der wichtigste Gradmesser für die Zukunft wird die Tour of California sein, die der Unterhaltungs- und Sportvermarktungskonzern Anschutz 2006 erstmals veranstaltet. Das erklärte Ziel ist es, in fünf Jahren Teil der Pro-Tour zu werden, der Champions League des Welt-Radsports.

Einer der Gründe, warum die Marketingdirektoren der Konzerne ein Ohr für den Radsport haben, ist, dass Radsport in den vergangenen Jahren als Fitnesstrend einen kleinen Boom erlebt. „Radfahren ist so etwas wie das neue Golf“, erklärt Vaughters. Das Flair einer komplizierten europäischen Sportart zieht eine gutverdienende urbane Elite an. „Radsport ist eine exotische Spezialität, so wie Gänseleberpastete“, sagt Vaughters. „Im Mittleren Westen wird man komisch angeschaut, wenn man davon erzählt, in New York gilt man als sophisticated.“

All das sind gute Anfänge und Vorzeichen, die gerade erst entstehenden Strukturen im amerikanischen Radsport sind aber noch labil. Die Gefahr ist groß, dass nach dem Karriereende von Armstrong alles zusammenbricht wie nach dem Karriereende von Greg LeMond vor mehr als zehn Jahren. Die Fahrergeneration von Armstrong und Vaughters wurde durch LeMonds Tour-Siege in den Sport gezogen, danach brach der Nachwuchs wieder weg. Der US-Radsportverband versucht deshalb seit drei Jahren, amerikanische Talente in einem Internat in Belgien systematisch aufzubauen. Die Rezession nach Armstrong wird das nicht aufhalten können. Aber vielleicht den totalen Crash.

Sebastian Moll[Augusta]

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