zum Hauptinhalt

Sport: Ganz schön stürmisch

Herthas morgiger Uefa-Cup-Gegner Grodzisk schießt viele Tore und gilt in Polen als heimlicher Meisterschaftsfavorit

Warschau. Kummer und Niederlagen ist Polens leidgeprüfte Fußballgemeinde gewöhnt. Mit erschütternd schwachen Auftritten hat die Nationalelf nach dem missglückten Ausflug zur Weltmeisterschaft auch die Teilnahme an der EM in Portugal fast schon verspielt. Niveauarme Spiele in gähnend leeren Stadionruinen, Hooligan-Ausschreitungen und Bestechungsskandale bestimmen den ernüchternden Alltag in der von enormen Finanzproblemen geplagten Liga. Seitdem der Pay-TV-Sender Canal+ im vergangenen Jahr seine Zahlungen kräftig reduziert hat, taumelt der Großteil der Vereine am Rande des Bankrotts. Die schwindenden oder gar nicht ausgezahlten Gehälter haben den Aderlass in der ohnehin ausgebluteten „Ekstraklasa“ noch beschleunigt. Selbst Klubs in Ländern wie Ukraine, Israel oder Zypern sind für Polens Fußballer inzwischen ein begehrtes Ziel.

Doch nicht zuletzt wegen ihrer Wirtschaftskraft ist zumindest in der Boomregion Posen (Poznan) die Fußballwelt auch finanziell noch in Ordnung: Dank potenter Sponsoren zählen der Platzhirsch Lech Poznan und dessen Rivalen Amica Wronki und Groclin Dyskobolia Grodzisk zu den gesündesten Vereinen der Liga. Obwohl Lech Poznan den höchsten Zuschauerschnitt der Liga aufweist und mit dem Industrie-Magnaten Jan Kulczyk den reichsten Polen zu seinen Gönnern zählt, muss der fünffache Meister derzeit den zwei kleineren Provinzklubs die Fußballhoheit in der Wojwodschaft Großpolen überlassen: Nachdem Posen in den Derbys gegen Amica und Dyskobolia zum Entsetzen der Lech-Fans zweimal gegen die spielerisch deutlich stärkere Konkurrenz das Nachsehen hatte, musste der erst in der Sommerpause verpflichtete tschechische Trainer vergangene Woche frühzeitig sein Gastspiel im Nachbarland wieder abbrechen.

Gut in die Saison gestartet ist hingegen der von einem Küchenhersteller gesponserte Werksklub Amica Wronki, auf den Hertha BSC bereits in der Saison 2000/2001 im Uefa-Cup traf. Dank des früheren Frankfurters Pawel Kryszalowicz, der seine alte Treffsicherheit zurückgefunden hat, rangiert der dreifache Pokalsieger derzeit auf Platz eins. Als einer der aussichtsreichsten Anwärter auf den Meistertitel gilt jedoch Herthas Uefa-Cup-Gegner Grodzisk, der am Mittwoch zum Hinspiel ins Olympiastadion kommt (17.30 Uhr). Mit einem Jahresbudget von 21 Millionen Zloty (fünf Millionen Euro) ist das Team mit dem Diskuswerfer im Wappen der am besten gepolsterte Klub der Liga.

Vereinswohltäter in Grodzisk ist seit 1993 Zbigniew Drzymala, dessen börsennotiertes Unternehmen Inter Groclin Auto unter anderem das VW-Werk im 50 Kilometer entfernten Posen mit Sitzschalen beliefert. Das Sponsern eines Fußballklubs koste seine Firma auch nicht viel mehr als teure Werbe- und Reklamekampagnen, begründet er sein Mäzenatentum. Dank des kapitalkräftigen Sponsors gelang dem 1922 gegründeten Traditionsverein in Windeseile der Durchmarsch von der Kreisklasse in die erste Liga. Der bisher größte Erfolg in der Vereinsgeschichte war die Vizemeisterschaft in diesem Jahr. Offiziell hegt die derzeit auf dem zweiten Rang rangierende Dyskobolia zwar keine Titelambitionen, aber für Stürmer Marcin Zajac ist die Zielvorgabe für die laufende Spielzeit klar: „Ich zähle darauf, dass wir diese Saison noch besser abschneiden werden.“

Vor allem bei den Heimspielen in dem nur 5000 Zuschauer fassenden Stadion lässt der neue slowakische Trainer Dusan Radolsky seine Elf bedeutend aggressiver als sein Vorgänger stürmen. In den letzten beiden Punktspielen erzielte das Team sieben Tore und gewann zweimal.

Star der Elf ist der 24-jährige Mittelstürmer Andrzej Niedzielan, der zu Jahresbeginn von Rekordmeister Gornik Zabrze verpflichtet wurde und mit Grzegorz Rasiak das spielstarke Sturmduo bildet. Vor allem bei Kontern verstehen es die beiden schnellen Spitzen, sich gut in Szene zu setzen. Im Mittelfeld übernimmt Nationalspieler Radoslaw Sobolewski eher defensive Aufgaben, während das Talent Sebastian Mila (21) die Offensive ankurbelt. Als Stärke des Vereins gilt neben seiner guten Organisation auch die enge Verbundenheit mit der Stadt. Für die überschaubare Gemeinde der Dyskobolia- Anhänger ist der Uefa-Cup-Ausflug ins 260 Kilometer entfernte Berlin der Höhepunkt ihres bisherigen Fan-Daseins: Immerhin 1000 der 35 000 Einwohner von Grodzisk wollen ihrem Team ins Olympiastadion folgen.

Thomas Roser

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false