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Viel in Bewegung. Wenn Schülerinnen und Schüler früher schon längst im Vereinstraining angekommen waren, sind sie heute immer noch in der Schule. Daher kommen nun viele Vereine mit ihren Angeboten in die Schule.

© dpa

Ganztagsschule: Tod der Sportvereine?

Im Grunde sind alle Sportarten davon betroffen, dass der Schultag inzwischen länger dauert. Doch gerade Klubs in Großstädten könnten durch die Veränderungen im Bildungssystem sogar noch wachsen.

Solange Yannick aus Karlsruhe die Grundschule besuchte, war Sport noch spielend leicht. Zwei- bis dreimal nachmittags Tennistraining und an einem Abend Fußball im Verein. Dann kam der Wechsel aufs Gymnasium – und alles wurde anders. In der von neun auf acht Jahre verkürzten Gymnasialzeit hat er fast jeden Nachmittag Unterricht. Die gewohnte Einteilung des Tags gibt es nicht mehr, weder für ihn noch für seinen Tennisverein, in dem jahrelang nachmittags die Kinder Training hatten und abends die Erwachsenen. Das entzerrte den Betrieb, gerade in der Hallensaison.

Es gibt viele Yannicks und viele Vereine, denen es so geht. Im Grunde sind alle Sportarten davon betroffen, dass der Schultag inzwischen länger dauert. Laut der sogenannten MedikuS-Studie 2013 zu den Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen wirkt sich die Präsenzzeit in der Schule auf die sportlichen Betätigungen insbesondere in den Vereinen aus. Die Quote der Vereinssportler ist bei den Halbtagsschulbesuchern um zehn Prozent höher als bei Ganztagsunterricht: 60,9 zu 50,3 Prozent. Droht der Vereinssport also vom neuen Bildungssystem erdrückt zu werden?

Erstaunlicherweise stellte sich auch heraus, dass G8-Schüler häufiger Vereinssport betreiben als G9-Gymnasiasten. Professor Rüdiger Heim, der Direktor des sportwissenschaftlichen Instituts der Universität Heidelberg, kann sich dieses überraschende Ergebnis nur damit erklären, dass G8-Schüler im Schnitt jünger sind und mit zunehmendem Alter weniger Sport betrieben wird. Ansonsten kommt auch er zu dem Schluss: „Veränderungen im Bildungssystem haben einen Einfluss auf die Aktivitäten in Sportvereinen.“

Der Forscher präsentierte die jüngsten Daten auf einer Konferenz, die der Deutsche Olympische Sportbund und die Deutsche Sportjugend unter dem Titel „Die Rolle des organisierten Sports in der Ganztagsbildung“ gerade in Karlsruhe durchführte. Experten aus Bildungseinrichtungen, Sportverbänden und -vereinen diskutierten über Strategien und berichteten über positive Beispiele aus der Praxis. Das Thema wird sie so schnell nicht loslassen, denn die Zahl der Ganztagsschulen wird weiter ansteigen.

In der Ganztagsschule stecken für die Vereine jedoch große Chancen. „Es gibt ein Potenzial für die Vernetzung des organisierten Sports“, sagte Heim. Gerade in Großstädten wie Berlin bildeten die Schüler aus einkommens- und bildungsschwächeren Schichten sowie mit Migrationshintergrund ein Reservoir potenzieller Vereinsmitglieder. Denn sie sind in Sportvereinen unterrepräsentiert, über die Schule können sie Zugang zum Sport finden.

Für den organisierten Sport heißt das Zauberwort Qualifizierung. Der sogenannte „Übungsleiter Ganztag“ ist eine Fortbildungsmaßnahme, um in den Schulen (sport)pädagogische Arbeit übernehmen zu können. Mittlerweile gibt es in Deutschland schon viele Kooperationen zwischen Schulen und Klubs, sie reichen von Arbeitsgemeinschaften bis hin zu Trägerschaften. „Wir bieten ein Rundum-sorglos-Paket an“, sagt beispielsweise Ervin Susnik vom SC Budokan Maintal. Der Verein aus Hessen ist Träger der Nachmittagsbetreuung an einer örtlichen Haupt- und Realschule. Zehn Prozent seiner rund 200 Mitglieder sorgen dafür, dass die Kinder und Jugendlichen außerhalb des Unterrichts beaufsichtigt, bekocht und beschäftigt werden. Finanziert wird das Angebot durch Elternbeiträge, das staatliche Schulamt und die Arbeitsagentur. Ein-Euro-Jobber haben die Chance, nach einem halben Jahr eine feste Stelle zu bekommen.

Barbara Hohkamp von der Falkertschule Stuttgart berichtete, dass die sportlichen Angebote des MTV Stuttgart im Rahmen der Ganztagsbetreuung gut angenommen würden. „Das ist Gold, was an Qualität ins Haus kommt.“ 42 Euro koste den Verein die Zeitstunde, die Kommune bezahlt aber nur 25 Euro. Die Differenz fängt die Schule über eine Stiftung auf.

Die finanzielle Förderung der Sportangebote innerhalb der Ganztagsschule ist jedenfalls noch ein Problem. Was die Ganztagsschule mit dem Sport anstellt, wird bestimmt noch einige Konferenzen beschäftigen.

Reinhard Sogl

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